Ryley Walker – Deafman Glance
Ryley Walkers Discografie bleibt weiterhin in ruheloser Bewegung. Sein viertes Studioalbum Deafman Glance porträtiert den 28 Jährigen aber deutlicher als zuvor in einer Phase des Nicht-Ankommens.
Mit jeder Platte, von All Kinds of You über Primrose Green (2015) hin zu Golden Sings That Have Been Sung (2016) – ebenso seine zahlreichen Kooperations-Nebenschauplätze freilich – hat Walker bisher eine latente Entwicklung in seinem Schaffen zugelassen. Für Deafman Glance wollte er nun jedoch erstmals konkrete Veränderungen evozieren: „I was under a lot of stress because I was trying to make an anti-folk record and I was having trouble doing it. I wanted to make something deep-fried and more me-sounding. I didn’t want to be jammy acoustic guy anymore. I just wanted to make something weird and far-out that came from the heart finally. I was always trying to make something like this I guess, trying to catch up with my imagination. And I think I succeeded in that way — it’s got some weird instrumentation on there, and some surreal far-out words.“
Später sagt er dann auch folgendes über Deafman Glance: „It’s more Chicago-y sounding. Chicago sounds like a train constantly coming towards you but never arriving.“ – und bringt damit den Charakter der Platte idealer auf den Punkt, als er dies in der restlichen Umschreibung seines aktuellen Zugangs zu Komponieren – oder des Songwritings an sich – tut.
Im eröffnenden In Castle Dome klingt das dann nämlich in etwa so, als hätte Beck seine Liebe für Tim Buckleys [amazon_link id=“B000005ISE“ target=“_blank“ ]Lorca[/amazon_link] für sich entdeckt: Behäbig plätschernd, aber nicht schwerfällig, sondern eher so ungezwungen und unaufgeregt in eine verzauberte Melancholie zurückgelehnt. Mit folkigem Flöten-Hintergrund und von allen Zwängen losgelöst, schwebt Walker, lässt sich von Songfluß treiben, der psychedelisch schimmernden 60er- und 70er-Space-Halluzinogenen begegnet.
Der jazzige Rhythmus von 22 Days groovt nonchalant und schmeichelweich, aber exakt – hinter Walker sind eben wieder einmal technische Virtuosen am Werk, die Komplexität wie die leichteste Sache der Welt wirken lassen können. Deswegen lässt man sich Zeit, um in die Spur zu finden, bevor sich der Song irgendwann kakophonischer auf den Hinterpfoten aufbäumt.
Im sinister schleichenden Accommodations linst Walker dann hinterlistig um Ecken, sieht Captain Beefheart in dunklen Seitenstraßen und spitzelt „Don’t let me spoil fun“ – ein kleines Sperrfeuer, ohne Ziel, aber viel Müßiggang. Can’t Ask Why ist ebenfalls erst lange ein ambientes bimmeln im Windspiel, bevor Walker den Song mit einer unwirklichen Melancholie Konturen verleiht, doch das Stück den Traum einer niemals greifbaren Erinnerung bleiben lässt, bevor es plötzlich mit energischer Kante losstapft und den Rock findet.
Dann übernimmt das locker aus der Hüfte kommende Kalifornia-Stück Opposite Middle verspielt nach vorne anziehend und gibt sich Telluride Speed irgendwann einem verspielten Stakkatoausbruch hin, zeigt Expired das Wachstum in der Stimme Walkers und verändert seine inszenatorische Dynamik permanent, packt zwischen schüchterner Fragilität und einer relaxten Aufbruchstimmung.
Es ist nun keineswegs so, dass Walker sein abwechslungsreichstes und vielleicht sogar neugierigstes Werk dabei inkohärent zusammengefügt hätte. Dennoch offenbart sich mit Fortdauer der Platte, dass der Kontext diesmal trotz einer feinen Balance ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten ist. Gerade, wenn Rocks on Rainbow als nettes Interlude wenig Eigengewicht entwickelt und das darauf folgende, überragend abschließende Spoil with the Rest mit wundervoller Motivation agiert, aber Deafman Glance letztendlich zu abrupt beendet auch schlichtweg latent unbefriedigt entlässt.
Wo Walker nur bedingt das aufgenommen hat, was man als Anti-Folk katalogisiert, liegt der Wahl-Chicagoer in der Selbstreflektion seines xten Studioalbums ohnedies ein wenig daneben.
„I think more than anything the thing to take away from this record is that I appreciate what improv and jamming and that outlook on music has done for me, but I wanted rigid structure for these songs. I don’t want to expand upon them live. There’s a looseness to some of the songs I guess, but I didn’t want to rely on just hanging out on one note.“
Tatsächlich ist Deafman Glance in seinem Auftreten, den Arrangements und Strukturen nun weniger griffig und zugänglich als seine bereits ebenso eklektischen und zutiefst referentiell veranlagten Vorgängerplatten geworden, experimenteller und proggiger gar, und findet, indem es eine lockerere Haltung in der Konzentration pflegt, das wohl ambivalenteste Werk von des psychedelisch angehauchten Singer-Songwriters. Eines, dass entgegen seiner Intentionen erstmals eher orientierungslos, als gelöst wirkt; nicht zum Punkt findet und in steter Abstraktion einnehmend – nicht erfüllend, aber faszinierend fesselnd – mäandert; und ausgerechnet damit das erste Album Walkers wird, dass eine Live-Umsetzung benötigen wird, um offene Fragen konkret zu beantworten nicht mit einer spannenden Unverbindlichkeit zu entlassen. Vielleicht aktuell eine minimale Enttäuschung, die auf lange Sicht in ihren bann ziehen könnte.
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