The Roots – … And Then You Shoot Your Cousin
Nur wenige Kombos sind derart über alle Zweifel erhaben wie The Legendary Roots Crew aus Philadelphia. Daran ändert auch ‚… And Then You Shoot Your Cousin‚ nichts – allerdings verlaufen sich Black Thought, Questlove und Co. diesmal etwas ziellos hinter den Möglichkeiten in der aufgebauten Komfortzone der letzten jahre.
‚Black Rock‚ tängelt regelrecht überdreht mit neben der Spur plingender Gitarre und dramatisch geklimmtertem Piano, eine Art schaumgebremstes, wild gestikulierendes Partydrama das sich nie zu weit von seinem supereingängigen Chorus entfernen will und eigentlich schon wieder vorbei ist, bevor die Sause überhaupt richtig an Fahrt aufnehmen oder gewichtigen Eindruck hinterlassen kann. Der Track steht damit symptomatisch für eine gesamte Platte, die einnahmend, vielversprechend, zerrissen und skizzenhaft bleibt. Doch der Reihe nach.
‚… And Then You Shoot Your Cousin‚ führt The Roots auf dem 2010 mit ‚How I Got Over‚ eingeschlagenen Weg weiter, ist praktisch die nahtlose Fortsetzung ohne direkte Verknüpfung zu ‚Undun‚ – ein weiteres Konzeptwerk (genauer: „a satirical look at violence in hip-hop and American society overall„), wenngleich der Fokus auf den elf neuen Songs diesmal nicht auf einem einzelnen Protagonisten, sondern einer Vielzahl an am Menschsein strauchelnden Charakteren liegt. Dennoch ist die stringente Linienführung und kontinuierliche Entwicklung der Kombo eklatant: The Roots spielen ihre Rapparts mittlerweile regelrecht um die von Joanna Newsom erweckte Liebe zu poppig eingängig funktionierenden Hooklines, Features und Refrains herum, servieren ihre Leckerbissen gemäß ihres Brotjobs als Jimmy Fallons Hausband auch im immer kompakteren Format: mit nicht einmal 34 Minuten Spielzeit ist ‚… And Then You Shoot Your Cousin‚ das bisher kürzeste (und um sich zu entfalten auch deutlich zu kurze!) Roots-Album überhaupt.
Hatten die letzten Studiowerke der Band gezeigt dass der Hang sichknapp zu fassen der zugänglicheren Gangart der letzten Jahre durchaus in die Karten spielt, passiert diesmal das Gegenteil, nutzen The Roots die vorhandene Spielzeit doch schlicht nicht um gewichtige, nachhaltige Szenarien zu kreieren: ‚Never‚ hat zwischen dem nervigen Heliumgastspiel von Pete Crash kaum Raum für Black Thought, beim tänzelnden Kinderchor von ‚When the People Cheer‚ darf man an Marteria’s ‚Kids‚ denken und dabei erinert, dass The Roots ihr Händchen für R&B-Hits in diesem Jahrzehnt so ausgeprägt in die Auslage stellen wie nie zuvor in ihrer Geschichte, und nicht nur die beiden Raheem DeVaughn Auftritte ‚The Unraveling‚ oder das regelrecht optimistisch pfeifende ‚Tomorrow‚ begnügen sich in ähnlicher Auslegung damit über nette Pianomelodien (gefühltermaßen jeder zweite Song der Platte beginnt mit einer solchen) und gefühlvoll zubereiteten Ohrwurm-Soul die gewohnt tighte Bandarbeit der makellosen Handwerker zu schieben. Das Ergebnis ist enorm geschmeidiger und durchwegs angenehm zu konsumieren Hip Hop mit dem unverkennbar organischen Sound der wie immer brillant produzierten Roots – aber eben nicht mehr. Das schmeichelt den Gehörgängen und geht runter wie Öl – aber alleine von der kompositorischen Seite aus niemals dorthin wo es wehtun könnte.
Dazu kommt dass der herbeizitierte Konzeptüberbau oft als reine Rechtfertigung herhalten muss um das immer wieder Richtung unverbindlicher Gefälligkeit zu kippen drohende Werk mit kunstvoll gemeinten, sich aber in aufgesetzter Kunstfertigkeit verlaufenden Spielereien ausbalancieren zu wollen: wo das Nina Simone-Intro ‚Theme From Middle of the Night‚ noch durchaus stimmungsvoll die Atmosphäre vorgibt hinterlassen unnötige Exkursionen wie das 38 sekündige ‚The Devil‚ oder das enervierend den gerade aufgekommenen Spielfluss unterbrechende Sendersuchlauf-Interlude ‚Dies Irae‚ ratlos: ein weiteres Paradebeispiel für die so entstehende Ziellosigkeit artikuliert ‚The Coming‚ auf Songlänge, das vorhersehbar eine Klaviermelodie mit der effektverwischten Stimme von Mercedes Martinez zusammenbringt, zur Hälfte aber mutmaßlich in eine jazzige Kakophonie kippt. Das klingt nach einem Wechselspiel aus berührend und verstörend – fühlt sich aber weder nach dem einen, noch nach dem anderen danach an.
Zur Hochform laufen The Roots auf ‚… And Then You Shoot Your Cousin‚ zu selten auf – vielleicht alleine deswegen, weil Black Thought schlicht und einfach zu kurz kommt – meistens ausgerechnet dann, wenn die Feature-Allianz Dice Raw und Greg Porn mit am Start ist und die Zügel enger zieht: in ‚Understand‚ genügen dem Duo 3 Minuten um das sexy groovende Orgelschunkeln mit einer zwischen Lässigkeit und aggressiver Direktheit pendelnden Performance zu kontrastieren. Noch stärker gelingt der entspannte Marathon im schwermütigen, von Questlove optimal sinister befeuerten Fender Rhodes-Lauf, den nicht einmal ein kleiner Oper-Auswuchs aufhalten kann: „The law of gravity meets, the law of averages, ain’t no sense in attempting to civilize savages, even though I wish I could be spared my embarrassment, I’m a nigga, other niggas pale in comparison„. In diesen Momenten agieren The Roots so zwingend wie man es von ihnen erwartet, im gelieferten Kontext regelrecht erfrischend bissig und umgehen die mittlerweile vorherrschende, sich im Gegensatz zu den beiden neue Wege beschreitenden Vorgänger als kreative Sackgasse auftuende Easy Listening Beliebigkeit, die ‚… And Then You Shoot Your Cousin‚ über weite Strecken deutlicher im Griff hat als die anvisierte, fragmentarisch zusammengeheftete Experimentierfreude. Eine per se schlechtes Album ist der immer noch über jeden Zweifel erhabenen, in ihrer eigenen Liga spielenden Gruppe damit letztendlich auch im elften Anlauf – natürlich – nicht gelungen: tatsächlich aber ihr erstes unbefriedigendes.
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