Roaming in Limbo – Eavesdropping
„Hello! I’m finally ready to share my second album Eavesdropping – it’ll be out on January 19th if all goes well, and it should be up on streaming services not too long afterwards!“ verkündete Daniel Gorseling noch vor rund einer Woche – nur, damit Spotify den Nachfolger von Permutations kurz darauf zu früh online stellte.
Wäre dies noch eine Woche früher geschehen, hätte die Eavesdropping EP ihren Platz im hiesigen 2023er-Rückblick verloren. Immerhin findet sich mit Riley’s Indifference und Storm Face (Leitmotif) der Großteil des Appetizers nun auf dem Album-Mutterschiff (was das Kurzformat beinahe redundant macht), eingebettet in die ambiente zweite Hälfte der Platte, die von Trying Day weg (einem meditativ zwischen Wind- und Wasser-Spiel plätscherndem Meditieren) den Kopfkino-Soundtrack-Aspekt von Roaming in Limbo forciert: The Subtle Art of Finding Out schwelgt durch Field Recording-Aufnahmen aus einer astralen Welt und das Titelstück sitzt friedlich am Lagerfeuer einer postapokalyptishen Kontemplation, sinniert zu sanften Drones und schraffiert sich hinten raus mit versöhnlichem Blade Runner-Retrofuturismus in hoffnungsvollem Optimismus als Variation von Films (For Eavesdropping).
Dass das Ende dort ziemlich abrupt passiert und der Stecker demonstrativ unmittelbar vor der nachhallenden Stille gezogen wird, spiegelt in gewisser Weise wohl nur das Momentum wider, das Eavesdropping davor in seiner ersten Hälfte gepflegt hat. Immerhin ist diese dezidiert rhythmischer angelegt, physisch greifbarer mit fast tanzbaren Grundierungen ausgelegt, die die Plunderphonics-Philosophie greifbar anlegt.
Hang the Abbot schlurft mit massivem Zeitlupen-Beat zu einer markant-minimalistischen Melodie-Folge, die so auch aus der Goth-Ära von The Cure stammen könnte (sich aber eigentlich aus Samples von Tujiko Noriko, The Black Dog, Massive Attack, FKA twigs, Spoon und Clark speist), bevor Hurtling regelrecht wuchtig poltert, zu erratisch verfremdeten Delirium-Vocals groovt und dennoch den eklektischen Signature Sound von Roaming in Limbo kultiviert. Eine klare Handschrift ist im Schmelztiegel aus Assoziationen und vereinnahmten Referenzen überdeutlich – fremdes Versatzstücke werden vom Niederländer auf eine universelle Weise umgedeutet und vereinnahmt.
Show of Hands schnipselt verspult pumpend wie wattierter R&B mit halluzinogener Melodik, als hätte James Blake sich von Massive Attack produzieren lassen (wobei James Holden, ODAE, Efterklang, Björk, Jon Hopkins, Tim Hecker, Everything but the Girl, Oneohtrix Point Never, Daniel Avery, Super_Collider sowie Steve Hauschildt in der DNA zusammenwirken), hat einen Flow samt atmosphärische Dichte und Bildhaftigkeit im Klang, wie sie eigentlich nur Veteranen erzeugen können, und Counting out Time poltert über stellare Space-Schwaden unter dem immer dichter treibenden Beat: von dieser Eingängigkeit könnte man in ihrer hypnotischen Ausstrahlung ewig weitergetragen werden.
Where I end and you begin – Roaming in Limbo lässt diese naheliegende Frage offen und verweilt noch deutlicher in einer Zwischenwelt, oder gar Übergangsphase, als die bisherigen Veröffentlichungen des bald 20 jährigen Wunderkindes Gorseling.
Die Dualität von Eavesdropping – erst auf das Songwriting in der borgenden Collagen-Technik konzentriert, dann den imaginativen Aspekt vertiefend; da wie dort aber niemals nach einem mit sich selbst ringenden Kraftakt klingend, sondern eher wie ein erstes Drittel als Ausblick in eine relative Pop-Zugänglichkeit, gefolgt von zwei Drittel in sich ruhender, subversiver Ambient-Kunst – beschreibt einen runden Spannungsbogen, wirkt aber in keiner der beiden Gewichtungen restlos erschöpfend, und ein bisschen so, als sollte die Symbiose vor allem als Momentaufnahme instinktiv Luft machen, bevor angestautes Material zur Altlast wird und sich die Akribie der Formvollendung im Arbeitsprozess zu verkopft in die Länge zöge: „I suppose this is a good time to release a sophomore record because I’m at the cusp of another major life change. I’m about to move into my own house and these tracks were written and recorded during a very insular and reclusive time in my life, so I am curious what it’s gonna be like looking back on this album in the future.“
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