Reverend Kristin Michael Hayter – SAVED!
„To live ye must be born again“: LINGUA IGNOTA ist nach dem persönlichen Trauma, das 2021 im epochalen Sinner Get Ready gipfelte, Geschichte, nun widmet sich Reverend Kristin Michael Hayter auf SAVED! ihren inneren christlichen Dämonen.
„Farewell to everyone that I know/ Judgment is coming I’m ready to go/ I won’t stick around to see where you all stand“ beginnt eine Platte zwischen Wurzelbesinnung, Zäsur und Neubeginn, als Blick zurück und Blick nach vorne – eigentlich auch nach Innen. Denn wo die christliche Religion immer schon ein prägendes Motiv für Kristin Michelle Hayter war, sie ist auch zuletzt für LINGUA IGNOTA durch etwa EPISTOLARY GRIEVING FOR JIMMY SWAGGART wieder stärker in den Fokus rückte, und nun für den selbsternannten Reverend praktisch die komplette Perspektive ausfüllt, schließt die 37 jährige, wie von ihr proklamiert, auf SAVED! musikalisch dahinter jedoch vor allem gewissermaßen gleichsam einen Kreis, indem sie ihre bisherige musikalische Entwicklung durch konsequente Reduktion und das Aufräumen des Spektrums absolut schlüssig fortführt.
Hayters eindrucksvolle, theatralische und so eindringlich beschwörende Stimme und ein Piano genügen den meisten Songs, dazu geistern hier und da rostige Ansätze knirschende und knarzende Percussion-Fragmente oder Field Recordings durch die dunkle, folkloristische Horror-Atmosphäre, die Seth Manchester kongenial durch eine kaputte, für die Essenz der Platte so absolut essentielle Ästhetik („a sound that is without era or place, high-fidelity recordings of each song were committed to a 4-track recorder, and then further degraded in a series of small half-broken cassette players“) noch verstärkt, nein, mitdefiniert!, indem alles hier vom Zahn der Zeit angefressenen klingt – als wären diese Songs aus einem modrigen Grab in einen verstörenden Sonnenschein exhumiert worden, um mit geballten Fäusten gen Himmel gereckt zwischen sakraler Wut und fast archaisch-prosaisch oder zumindest altruistischem Stoizismus zu wehklagen und verzweifelt zu preisen: SAVED! sucht mit assimilierten Gospel-Fremdmaterial und zugängliche Erlösung seine eigene Apokalypse in der Ambivalenz aus kompositorischer Schönheit und einem Sound-Design, das aus faszinierend weihevolle Art nicht hässlich, aber nicht wirklich angenehm zu hören sein will, quasi eine verführerische Einladung zur Kasteiung im predigenden Gottesdienst.
I’m Getting Out While I Can simuliert ein in Lautstärke und Tonqualität an der Grenze zum Jenseits torkelndes Klavierstück, einladend und anstrengend von Stör-Elementen angegriffen, bis der simulierte Mitschnitt kippt und sich Hayter im dramatisch beschwörenden All of My Friends Are Going to Hell aus der Nähe zu War Pigs im beklommenen, repetitive Tastenschlag tauft, um sich himmelstauglicheren Umgang zu suchen.
Die 52 sekündige, fragmentarische Choral-Skizze There Is Power in the Blood unterstreicht, wie elementar der Raum jenseits der Töne für SAVED! ist, während Idumea mit feierlicher Traurigkeit Bilder vor dem inneren Auge erzeugt, als würde eine unverwüstlich von der Realität isolierte Gemeinschaft jubilieren, wo rundherum bereits der naturalistische Untergang um sich gegriffen hat. Ein schwer schreitender Bußgang und das herausragende I Will Be With You Always erzeugt dennoch eine fast verzweifelte Leichtigkeit und Unschuld über dem melancholischen Abgrund eines nur angedeuteten Drone, derweil auch May This Comfort and Protect You hinter der rostigen scheppernden Scharfkantigkeit der Tasten einen ruhigen, versöhnlichen und friedlichen Trost erhebt.
Verbunden durch die beschwingten Interludes Precious Lord Take My Hand (in dem ausnahmsweise eine Gitarre die getragene Dynamik und Dichte als ausgelassene Folk-Party mit Handclaps löst) und dem ähnlich veranlagten Nothing But the Blood of Jesus (eine locker in den Noise getriebene Gemeinschaftsübung an den Saiten) dominieren in der zweiten Plattenhälfte Hayters Interpretationen von Traditionals das Material – in etwa so originär und authentisch vereinnahmt, wie es auch Lankum zuletzt einmal mehr so gekonnt praktizierten.
Gerade das zu lange ausgefallene The Poor Wayfaring Stranger absorbiert mit gelentlich schepperndem Becken eine unzählige Male gecoverte Nummern so ansatzlos in das Wesen der Platte, mit faszinierender Aura und fesselnder Ausstrahlung, bevor I Know His Blood Can Make Me Whole das ikonische Gewicht von Blind Willie Nelson jenseits der Katatonie umschichtet. How Can I Keep From Singing betet sogar noch gefasster, ganz bei sich selbst agierend, sein Schicksal annehmend, derweil das im Hintergrund wachsende Jammern und Flehen immer besessener und psychotischer nach vorne tritt, im Abklingen des Bekömmlichen den Fokus der Aufmerksamkeit weit wimmernd knebelt.
Ohne Zynismus oder ironischen Bruch gibt sich Reverend Hayter so ganz und gar dem religiösen Konzept hin, geht darin auf – polarisiert dabei wohl auch ihre loyale Basis. Doch vielleicht es es die eigentliche Stärke des Gesamtkunstwerkes SAVED!, dass die Musikerin den säkularen Hörer dabei vielleicht ohnedies in emotionaler Hinsicht in der Beobachterrolle lässt, aber seine Aufmerksamkeit dennoch zu jeder Sekunde fesseln kann.
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