Refused – Freedom
Refused drehen zur Selbstbestätigung nach der unsterblichen Kür eine überaus souverän zu gefallen wissende Ehrenrunde, die außer der Band wohl dennoch sonst kaum jemand gebraucht hätte: ‚Freedom‚ macht (erstaunlicherweise) vieles richtig, nur um letzten Endes doch vor allem als enorm abivalentes Dokument des Scheiterns dazustehen.
„Now it’s time for us to decide what we want our legacy to be“ erklärte Dennis Lyxzén im Vorfeld der ersten Refused Platte nach 17 mythossteigernden Jahren. Wie man an sich nun auch zu dieser Reunion steht, die sich hinsichtlich ihrer Historie (nicht ganz unberechtigterweise) mehr noch als die Rückkehr von Blur, Faith No More, den Pixies und allen anderen von der Bühne doch wieder ins Studio gewanderten Legenden mit Sellout-Vorwürfen auseinandersetzen muss: Lyxzén legitimiert mit diesem durchaus schlagenden Argument gleichermaßen jede Tonträger-Comeback-Ambition der Band, wie er auch den vielleicht eklatantesten Punkt anführt, den ‚Freedom‚ nun wie einen Schatten über deren bisherige (und eventuell noch folgende) Discographie zieht. Die Schweden beschädigen mit ihrem vierten Studioalbum nämlich keineswegs das vielzitiertes „Denkmal“ Refused (auch wenn natürlich nicht nur reputationstechnisch ein dezent fahler Nachgeschmack bleibt), Lyxzén und Co. scheitern aber insofern gerade an der Absicht das Zepter in die eigene Hand zu nehmen, weil anhand der zehn neuen Songs erst wirklich deutlich wird, dass gerade die wieder aktiven Refused selbst keinerlei Einfluss mehr darauf nehmen werden können, was ihr Vermächtnis sein wird. An diesem Punkt scheitern Refused neben der erdrückenden Erwartungshaltung also am deutlichsten mit ‚Freedom‚ – einem in seiner ersten Hälfte (egal aus welcher Perspektive) durchaus starkem Album, einem über die ganze Distanz zumindest sehr okayem Refused-Werk.
Wo man sich als Langzeitfan ohnedies bereits schwer damit tut ‚Freedom‚ losgelöst von der Geschichte der Band selbst zu hören, forcieren die seit jeher zitatfreudigen Refused mit zahlreichen Selbstreferenzen in den ambivalent bleibenden 44 Minuten den Vergleich mit ihrem Meisterwerk bisweilen geradezu exzessiv – wo man sich bei ‚The Shape of Punk to Come‚ etwa noch bei Nation of Ulysses bediente, schöpft man nun ohne Berührungsängste den eigenen nostalgischen Fundus von 1998 ab. Etwa, wenn gleich das im Kontext sehr gut zündende ‚Electra‚ als rhythmisch progressiv befeuerte, energiegeladene Explosion durchwegs einschlagender Funktionshardcore ist, der im Grunde aber nichts anderes macht als die Bridge von ‚New Noise‚ immer wieder neu zuzuspitzen, während sich ‚Dawkins Christ‚ sich in seiner intonierten ‚Protest Song ’68‚-Nähe ein eröffnendes „Can I scream“ noch verkneifen kann. Oder ‚Thought Is Blood‚, das sich erst aus verspulten Synthienebeln schälen muss um fettester Stadionrock zu werden, dazwischen aber eine zwischen Entspannung und Entladung pendelnde Homage an das ‚Refused Party Programm‚ darstellt und ‚366‚ im Endeffekt ein schon fast freches Update von ‚The Shape of Punk to Come‚ in zugänglich ausfransenden Shellback-Gefilden darstellt.
Nicht nur in diesen Ausschnitten inmitten eines phasenweise regelrecht übersättigend-unoriginellen Hommagen-Reigen wird klar: ‚Freedom‚ hat absolut nichts visionäres an sich, ist stattdessen als eine kurzweilige, generische, abwechslungsreiche, fesselnde Songsammlung angelegt, die sich in Summe anschickt, den Ertrag der vor 17 Jahren geernteten Früchte künstlerisch (als wohl auch kommerziell) einzufahren – und das deutlich souveräner, als man das dem Quartett aus Umeå (Jon Brännström wurde ja gegangen, Ex-The Soundtrack of Our Lives-Gitarrist Mattias Bärjed ist kein fixes Bandmitglied) offen gesagt noch zugetraut hätte. ‚Freedom‚ ist nun ebenso kein Meisterwerk wie definitiv keine Bankrotterklärung; es ist so stilistisch freigeistig wie verhältnismäßig enorm konventionell ausgefallen; es agiert schlichtweg nicht in den Extremen, sondern stellt über weite Strecken eine unterhaltsame Achterbahnfahrt der Solidität dar, im Guten wie im Schlechten, ebenso oft nach Oben wie nach unten ausbrechend.
Die immer wieder auftauchenden, an sich erfrischenden Funk-Exkursionen sind auf ‚Freedom‚ beispielsweise leider unabdingbar an eine galligen Hardrockmodus gekoppelt. ‚Françafrique‚ mag deswegen noch so sehr als stacksender, percussionlastiger Chili Peppers-Groover ohne Angst vor aalglatten Poprefrain oder bemühtem Arenaanimationsfinale aufdrehen, der fast schon infantil-unsubtile „Exterminate the Brutes/ Murder, Murder, Murder, Murder, Murder, Murder/ Kill, Kill, Kill!„-Kinderchor zeigt allzu nervend (und so verdammt catchy, dass man es kaum mehr aus dem Schädel bekommt!) auf, was schon Marilyn Manson bei Faith No More falsch verstanden hat. Das billige Audioslave-Riff im tanzflächentauglich mit viel Uffta stampfenden ‚Servants Of Death‚ lässt nicht nur durchblicken wie sehr sich David Sandström, Kristofer Steen und Magnus Flagge in ihren vorhandenen Möglichkeiten zugunsten der von Lyxzén immer schon geliebten musikalischen Konsumfertigkeit limitieren lassen, sondern Refused vor allem erschreckend altbacken wirken. Was sich die Band dazu bei ‚War on the Palaces‚, diesem kantenlos-gefälligem Rolling Stones-Stück mit seinen satten Casinobläsern gedacht hat, der so wohl selbst für The (International) Noise Conspiracy viel zu reibungslos, handzahm und lahm abgelaufen wäre?
Zumindest stellt er klar, dass es der Platte generell an der inneren (personellen) Spannung fehlt, aus der ‚The Shape of Punk to Come‚ seinerzeit geboren wurde. ‚Freedom‚ ist erstmals in der Bandhistorie keine zerberstende Zerreißprobe, sondern ein wohldosiertes Miteinander. Das Revolutionäre und die Unberechenbarkeit ist gewichen, die Intensität funktioniert primär über den immanenten Unterhaltungswert. „Ich glaube, dass zwischen Dennis und uns eine Art Wettbewerb entstand. Je radikaler wir mit der Musik wurden, desto radikaler wurde er mit der Politik. Es schaukelte sich gegenseitig hoch“ erinnerte sich Steen 2006 an den vermeintlichen Schwanengesang seiner Band, was nun symptomatischerweise auch den großen Unterschied zwischen den Refused von damals und heute nahezu ideal auf den Punkt bringt.
Lyxzéns ambitioniert gebliebene, an sich nicht weniger aktuell oder wichtig gewordene Texte versprühen in ihren banalsten Phasen die selbe Dringlichkeit wie geteilte Facebookinitiativen den Weltfrieden sichern, zwischen den Zeilen ist die angepisste Brutalität gewichen: „I’m just going to scream now“. Man agiert gesitteter, weniger impulsiv, vieles bleibt als Ankündigung im Raum stehen. Dabei zeigt ‚Freedom‚ gerade in den funkensprühenden Momenten auf, die in erster Linie die Eingangsphase der Platte zu einem grandiosen Schlagabtausch machen: dem beißenden Refrain des soulig befeuerten “Destroy the Man‚ fehlt es an genügend spitzen Zähnen und dem unbedingt erschöpfenden Momentum, die Abfahrt wird aber wohl wie viele seiner Albumkollegen als massiver Blutauffrischer für kommenden Livedaten mit Rise Against unnachgiebig von der Bühne krachen. ‚Dawkins Christ‘ ist dagegen bereits jetzt ein programmatischer Stimmungsanheizer mit brillant aggressiver Gitarre, nach vorne peitschend, gnadenlos. Die runtergepitchten Vocals im Acoustic-Hardcore-Stampfer ‚Old Friends / New War‚ erwischen dagegen jedes Mal am falschen Fuß, während sich dieses seltsam zerrissene Gerüst von einem Song elektronisch unterfüttert zu einer gefühlvollen Verschnaufpause ballert, die in einem beinahe psychedelischen Finale kulminiert. Dass das fast kontemplativ pulsierende, versöhnlich Gift spuckende ‚Useless Europeans‚ einer sakralen Ballade wohl näher als jede bisherige Refused Nummer kommt, für die Dauer seiner Laufzeit triumphiert, ohne danach jedoch wirklich Rückstände im Langzeitgedächtnis zu hinterlassen, passt dann irgendwo in das Gesamtbild einer relativ schnell ausgewachsenen Platte, die am Stück gehört ohne jeden Klassikeranspruch das Erbe der eigenen Erschaffer mit einer zielsicheren Zweckmäßigkeit fortführt.
„Down in the dirt, nothing has changed/ Nothing has change“ brüllt Lyxzén gleich zu Beginn. Womit er in Bezug auf das seiner Band tatsächlich so viele Freiheiten einräumende ‚Freedom‚ in mehrerlei Hinsicht durchaus Recht hat, wie er sich in den gravierendsten Punkten jedoch irrt: Refused erlösen sich selbst zwar aus der Messias-Rolle, spielen allerdings nicht von Bürde ihres bisherigen Schaffens frei, wiewohl sie aber ihr absolutes Recht unterstrichen, zumindest in dessen Schatten weiterzuexistieren. Mit einer Platte, mit der es sich (ohne Fanbrille betrachtet) schlichtweg [sehr] gut leben lässt.
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