Quicksand – Interiors
Der unfehlbare Walter Schreifels setzt mit seinem dritten Bandalbum innerhalb von knapp elf Monaten einen sowohl quantitativ als auch qualitativ beeindruckenden Lauf auf verschiedenen Baustellen fort, reiht Quicksand mit Interiors vor allem aber auch an die vorderste Front starker Comebackalben jüngerer Vergangenheit ein.
Interiors ist keine Platte, die überhaupt erst zu suggerieren versucht, dass die 22 Jahre seit dem direkteren Vorgänger Manic Compression spurlos an der 2012 (abermals) wiedervereinigten Post Hardcore-Institution aus New York vorbeigezogen wären.
Das beginnt natürlich leider damit, dass Gitarrist Tom Capone nach persönlichen und rechtlichen Problemen aktuell keinen Platz im Bandgefüge einnimmt, artikuliert sich vor allem jedoch durch eine stilistisch Färbung, die aus der Düsternis in eine neue hauseigene Wärme findet: Schreifels überschäumende Discografie hat definitiv ihre Spuren in der Ausrichtung des dritten Quicksand-Albums hinterlassen, indem sie den unverkennnbaren Trademarksound der Genre-Institution einees beständigen Evolutionsschrittes unterzogen hat.
Wo die kritischen Texte und Schreifels nach wie vor so erstaunlich jugendlich wirkende, nun auch bei Quicksand um ein vielfaches legerer agierende Stimme an all den Exkursionen des fortschreitenden Alters gewachsen sind, verweisen die (den Albumfluss stimmungsvoll erweiternden, aber ihn auch kaum essentiell ausbremsenden) Interludes > und >> etwa implizit auf Dead Heavens.
Schreifels selbst sagt, dass Interiors ein wenig psychedelisch ausgefallen sein. Was er damit meint, lässt sich etwa im Speziellen am Ende von Under the Screw nachvollziehen, das sich in seinem Wellengang erst aufbäumt und dabei anschickt, ein unverzichtbarer Akt in künftigen Liveshows zwischen all den hauseigenen Klassikern zu werden, bevor der Appendix der Nummer über ein Piano stolpert, seine Einzelteile auseinanderfallen lässt und eben tatsächlich ein klein wenig in die Trance zeigt.
Im Allgemeinen haben Quicksand mit Interiors aber tatsächlich ganz grundsätzlich eine mit sich selbst im Reinen sinnierende Platte zum darin verlieren geschrieben – keine solche, um aggressiv und kühl auszubrechen. Wenn Psychedelik also eine melancholischere, auch mal mit geschlossenen Augen über das Effektebrett dösende Gangart meint – ja dann ist Interiors insofern wahrhaftig psychedelisch angehaucht.
Im Hang zu Formen verändernden Dynamiken knüpft das Drittwerk sogar mehr oder minder direkt an die eigene Vergangenheit an, doch die nicht gleich auf den ersten Blick knackig erscheinenden Posen hat der 48 Jährige Schreifels auch von seiner nonchalanten Frontman-Rolle für Vanishing Life übernommen, wohingegen sich die generelle Ausrichtung von Interiors vor allem wie eine Mischung aus Schreifels Liebe zu der stetig adaptierenden Deftones, zu Far oder kontemplativer inspirierten Nachfolgern wie Sparta anfühlt. Mehr als alles andere wachsen Quicksand 2017 aber wohl explizit als Mutation der Rival Schools.
Dabei arbeitet das (temporär als Trio zu Werke gehende) Quartett immer noch über dem zwingenden Quicksand-Groove von Drummer Alan Cage, dem traumhaft wuchtigen Gurgeln von Bassist Sergio Vega und einer vielschichtigen Gitarrenarbeit. Die Band hat sich ihre kantige und bisweilen spröde Identität bewahrt, operiert darüber hinaus mittlerweile jedoch deutlich näher an alternative-rockigen Gefilden, gemächlicher und beherrschter, überlegter und auch ruhiger. Das aufbrausende Momentum ist nunmehr larmoyanter, die Geschwindigkeit im Midtempo verankert: Interiors versteift sich nicht, lehnt sich zurück, schwelgt mit relaxterem Gesang in einer prinzipiell veränderten Grundstimmung.
Gerade in der Kennenlernphase wartet man so bis zu einem gewissen Grad über weite Strecke der Platte zwar ein wenig unbefriedigt auf die demonstrativen Ausbrüche purer Leidenschaft und auflösenden Zuspitzungen, auch auf die spezifische Härte der Band. Interiors läuft stattdessen akribisch in seiner famosen Rhythmuskunst dahin, verharrt zumeist in sich selbst lauernd, brütend, hockt sich in eine arschtighte Unterschwelligkeit und flirtet eher damit die eng gehaltenen Zügel zu lösen, als sich wirklich gehen zu lassen. Man würde sich deswegen nicht nur im mäandernden Titelsong manchmal wünschen, dass die Band ihre Kompositionen auch mal in die Ecke treiben und provozieren würde; mehr Biss und Druck an den Tage legen oder das Songwriting hemmungsloser ausbrechen lassen sollte – eben ungerechterweise Dinge zu tun, die man nicht primär unbedingt von Quicksand fordern würde, aber von Rival Schools gewohnt ist. Subjektiv haben sich die Maßstäbe unbewusst ein klein wenig verschoben und den Perspektiven angepasst.
Interiors jedoch nicht so – was sich spätestens dann als geschickte Prinzipientreue entpuppt, wenn einen die Platte auch ohne diese expliziten Explosionen weitestgehend kriegt. Sobald man es der Band gleichtut, sich dem erzeugten Sog hingibt und der rumorenden Quicksand-Mediation aus angespannten Muskeln und driftenden Passagen bedingungslos folgt.
Dann trumpfen Schreifels, Cage und Vega mit Glanztaten wie der absolut überragend verträumten Schönheit Cosmonauts, dem shoegazend glimmernden Hyperion oder dem in steter Spannung pulsierenden Robot Rock von Fire This Time auf, während sich Schreifels durch das verdächtig frickelnde Feels Like A Weight Has Been Lifted rezitiert und das ziellose Sick Mind gleichzeitig leichtfüßig bleibt und die Magengrube am Noise entlangstacksend aushebelt, ohne die wirklich großen Melodien und Hooks zu liefern, für die Quicksand hier diesmal eigentlich den Nährboden ausgelegt hätten.
Aber diese kreisende Haltung ist Teil des Charakters der Platte – durch ihn fühlen sich selbst potentiell direkte Anknüpfungspunkte zur ersten Bandphase von vor knapp zwei Jahrzehnten suchende Zuverlässigkeiten wie Illuminant oder Warm and Low merklich anders an, als das Material von Slip und Manic Compression. Weil Quicksand in ihrem zweiten Leben geduldiger, sanfter, konzentrierter, dichter und weniger unbedingt packend klingen, als zuvor – sich aber gerade durch diese leicht nachjustierten Trademarks letztendlich ihre Relevanz bewahrt haben.
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