Pyrrhon – What Passes For Survival
Pyrrhon bieten drei Jahre nach The Mother of Virtues gefühltermaßen wieder mehr Auftrittsflächen und attackieren das Establishment damit schonungsloser denn je: What Passes for Survival dreht sich kompromisslos durch den Fleischwolf und nagt sich notfalls auch einmal selbst die Glieder ab, um nicht zu stagnieren. Eine Radikalkur, die sich nicht nur Freunde macht.
Man wird sich dieser Tage sogar schwer damit tun, eine Platte zu finden, die es ähnlich mühelos zu polarisieren schafft, wie What Passes for Survival: Zwischen den ausgerufenem Meisterwerk und gerade von Puristen als prätentiös Sauhaufen verpönte Willkürlichkeit scheint es praktisch keinen Spielraum in den aktuell erscheinenden Reviews zum dritten Studioalbum der Band aus New York zu geben.
Klare Fronten sind vielleicht die einzig nachvollziehbare Reaktion auf eine Platte, die keine Gefangenen nimmt, da das Quartett um Frontmann Doug Moore weiterhin zur raten Spezies da draußen gehört, die keine Sekunde ihrer Musik mit einem zumindest ansatzweisen Sicherheitsgedanken auspolstern wollen; die sich selbst und den Hörer mit permanent im roten Bereich malträtierenden Anstrengungen lieber permanent fordert – alleine schon der Versuch einer bloßen Kategorisierung wird da einmal mehr bereits zum Tanz auf dem Minenfeld.
Nach dem bisherigen Bandzenit The Mother of Virtues sowie einigen eingeschobenen EP-Happen zelebrieren Pyrrhon auch auf What Passes For Survival eine progressive Karambolage aus unorthodox aufgearbeiteten Stilen, bauen ihren Sound auf einen technisch hochkomplexen und trotzdem archaisch brutalen Death Metal, der zutiefst unkonventionell an der Schnittstelle zum Grind und Mathcore Haken schlägt. Das ist unheimlich aufreibend und detailliert, chaotisch und abstrakt, vielleicht auch phasenweise ein wenig zu forciert, treibt die verstörenden Anforderungen der Band aber stets bewusst an neue Limits und entlässt damit dezidiert orientierungslos.
Nach und nach zeigt sich nämlich, dass das dritte Studioalbum der Instrumentalvirtuosen seine Extreme eben nur knapp vor die Selbstdemontage schleift, das Songwriting zwar mit sich selbst kollidieren lässt, es aber nicht schrottet. Mehr noch: What Passes For Survival ist strukturell unberechenbar, aber gleichzeitig wird diesmal den weniger hirnwütigen, schon beinahe am Noiserock walzenden Ausprägungen auch mehr Raum gegeben, was für eine zusätzlich intensivierende Fallhöhe und Balance sorgt. Wenn jede Wendung fiept und kratzt, die allgegenwärtige Dissonanz die verteufelt akribische Arbeit aber eben nach und nach weniger kaschiert, dann eskalieren Pyrrhon mit ihrem Amalgam irgendwo zwischen Psyopus, frühen The Dillinger Escape Plan, eventuell auch Gorguts – und klingen letztendlich doch wie niemand sonst da draußen.
„The writing process for the new album felt much more visceral, by comparison. It’s more physically wrenching to perform than anything we’ve done before, but we didn’t have to think and struggle our way through the vocabulary of sounds we use the way we’ve had to in the past.” erklärt Moore, seine Band fällt dazu gleich mit dem Opener The Happy Victim’s Creed in einen verspulten Irrsinn, der praktisch unentwegt das Tempo wechselt, growlt und brüllt und schreit, bollert und rast, Breakbeats passiert, und neben der tollwütigen Rhythmusarbeit vor allem auch von den unpackbar variablen Gitarreergüssen von Dylan DiLella lebt – spätestens sein hemmungsloses Solo im Eingangs noch verführerisch groovenden Tobsuchtsanfall The Invisible Hand Holds A Whip agiert mit einer freigeistigen Prägnanz, die seinesgleichen sucht, während Pyrrhon dahinter kurbeln, als gäbe es kein Morgen: Immer weiter schraubt sich der Track in einen nackenbrechenden Stoizismus.
Wo die unmittelbare Rasanz von Goat Mockery Ritual trotz aller Finten immer nur den Weg nach vorne kennt und tatsächlich mit weichgeklopftem Verstand den Spaß der Band an ihrer eigenen Tortur transportiert, passt es auch durchaus ins Bild, dass ausgerechnet das dreiteilige The Unravelling sich als knackigster Sprint der ganzen Platte entpuppt und konventionellen Maßstäben der elaborierten Suite damit den Mittelfinger zeigt und Bassist Erik Malave kurzerhand das Spotlight überlässt – wo andere den Epos suchen, zucken Pyrrhus durch ein improvisiert wirkendes jam-Interlude in mehreren Akten.
Auf einer Platte, die (mit Ausnahme des dekonstruierend explodierenden, für sich selbst stehend wenig individuellen Eindruck hinterlassenden Trash Talk Landfill) vom monumental aufgebauten „Ruhepol“ Tennessee (mit sinister grummelndem Doom-Feeling und Khanate-artig giftendem Ambiente, das tatsächlich eine zurückgelehnte Ausbreitung von melodischen Ansätzen zulässt, erlaubt es die Band über einen implodierenden Southern-Abgang zumindest ansazuweise durchzuatmen) bis hin zur knapp 12 minütigen Freejazz/Ambient/Tour de Force Empty Tenement Spirit (Kudos an Neo-Drummer Steve Schwegler!), lässt der Mikrokosmos What Passes For Survival seinem ideal vielschichtig texturierten Artwork (Caroline Harrison) folgend so unheimlich viele Details zur Entdeckung parat.
Die wahrscheinlich imposanteste davon ist dann wahlweise trotzdem weniger, dass Doug Moore unlängst zu „Sexiest Dude in Metal“ gewählt wurde, sondern, dass er weiterhin einer der faszinierendsten Texter da draußen bleibt, der immer wieder wichtiges zu sagen hat und mit einer regelrecht poetischen Ader den Finger in die Wunde drückt.
Ein Grund mehr (vielleicht sogar der beste?), sich umso aufmerksamer in dieses vermeintliche Tohuwabohu zu stürzen, dessen nervenzerfetzende Wendigkeit eben über 43 Minuten absolut anstrengend ausfällt, aber dabei nie zum reinen Selbstzweck verkommt. Zwischen den Fronten positionieren wir uns deswegen näher beim prolongierten Meisterwerk mit Abstrichen.
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