Pyrrhon – Exhaust
Ohne große Vorankündigung fallen Pyrrhon mit ihrem fünften Studioalbum Exhaust mit der Tür ins Haus – und könnten damit ein größeres Publikum als bisher mitreißen.
Nachdem sich die Band aus Brooklyn mit der ständigen Steigerung von An Excellent Servant but a Terrible Master (2011) über The Mother of Virtues (2014) bis hin zu What Passes for Survival (2017) einen fixen Platz im zeitgenössischen Olymp des Dissonant/ Technical Death Metal verdient hat, hätte spätestens Abscess Time (2020) als dezente Kurskorrektur zu einem Mehr an Noise Rock in der proggigen DNA ein Katalysator in Sachen Breitenwirksamkeit bedeuten können – bis die Pandemie das Momentum das Quartetts ausbremste.
Exhaust fühlt sich insofern wie eine Reaktion auf diesen Umstand an: Erstmals provoziert ein Pyrrhon-Album nicht den existentiellen Quantensprung zu seinem Vorgänger, sondern als Schritt zur Seite wie eine Kulmination der bisherigen Entwicklung, indem die Band ihre stilistische Bandbreite gewissermaßen einkocht, das Songwriting präsziser auf den Punkt bringt und mit 38 Minuten Spielzeit nicht nur den kürzesten, sondern auch entschlacktesten und zugänglichsten Vertreter ihrer Diskografie aufgenommen hat.
Der Opener Not Going To Mars steht praktisch synonym mit diesem Zustand. Das Disso-Motiv ist erstaunlich catchy und die heavy Riffs brettern kompakt dahin, die Basis ist als Auftrittsfläche vergleichsweise simpel und direkt. Dahinter tut sich mit den gewohnt unorthodoxen, mal poetischen, mal sozialpolitisch motivierten Texten von Doug Moore jedoch der gewohnte Wahnsinn aus progressiver Unberechenbarkeit auf, technisch so komplex und virtuos wie immer. Ob Steve Schweglers Schlagzeugspiel Dylan DiLellas Gitarrenarbeit eindrucksvoller ist, muss man nicht entscheiden: beides raubt einem die Spucke.
Und dafür, dass Bassist Erik Malave nicht untergeht, sorgt der Sound – trocken und organisch, schnörkellos – und spätestens auch explizite Spotlight-Szenen wie im zähen Last Gasp, wo der Tieftöner ein schabendes Postpunk-Flair verbreitet.
Indem First As Tragedy, Then As Farce eine punkige Hardcore-Mentalität zum Grind galoppieren lässt oder das hyperventilierende The Greatest City On Earth den Circle Pit im Zeitraffer an Calculating Infinity lehnt, und vor allem die zweite Albumhälfte wie ein sofort zufriedenstellender Instant-Fanpleaser auftrumpft (wenn Luck Of The Draw schwindelfrei groovt, Concrete Charlie den Math-Abgang anbietet, Stress Fractures sich als Hummelflug in die Psychose immer weiter nach oben schraubt, um im Jam auszufransen und im Exzess zusammenzuziehen, oder Hell Medicine als Schneise durch alle Tugenden den Schlussstrich zieht) lässt Exhaust aber trotzdem Extreme in der abstrakten Aggression seiner Katharsis zu.
Mehr noch: Strange Pains rockt regelrecht und goutiert als konventionellster Song der Bandgeschichte fauchende Metalcore-Breakdown Kaskaden, bevor Out of Gas direkt im Anschluss einen Noise Rock verschleppt, der tollwütig rezitierend wie ein Fiebertraum-Trance anmutet. Es geht also nicht nur darum, die Früchte zu ernten, die schon vor vier Jahren reif gewesen wären.
Das hinterlässt in Summe dennoch nicht einen derart überwältigenden Aha-Effekt wie es ihne die Vorgängeralben stets auf ihrer Seite hatten – dafür aber kann man an Exhaust gewissermaßen seinen Spaß haben. Und damit schon wieder eine neue, keineswegs weniger hässliche Seite an Pyrrhon für sich entdecken.
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