Pyrrhon – Abscess Time
Klangen sie bisher vor allem immer so, als würden sie sich und ihren technischen Death Metal selbst zerfleischen, vertilgen und verdauen Pyrrhon auf Abscess Time nun auch dezidiert ihr Umfeld.
Schon der Opener und Titelsong sprengt dafür den Weg in angrenzende Gefilde weiter frei, als es bereits What Passes for Survival (2017) tat, walzt mit sehnigem Ungemach mitten hinein in einen Noiserock, der aus Pyrrhon‘scher Perspektive geradezu unkompliziert, stoisch und beruhigt anmutet, auch eine Liebeserklärung an Bands wie Unsane, Swans oder ken MODE sein könnte. Die Rhythmusabteilung schleppt sich jedenfalls manisch sediert wie in Trance kämpfend dahin, Doug Moore legt darüber aus dem Lärm quietschende Reibeisen von Stacheldraht-Gitarren, gemein und tollwütig, faucht und brüllt seine Stimmbänder zudem aus dem Untergrund des Äther jenseits des Doom wund, unterstreicht gleich auf Anhieb, dass er einer der variabelsten Brüllwürfel der Szene ist.
Another Day in Paradise ballert ebendort zähflüssig, lässt sich vom inneren Schweinehund zwar auch zum Adrenalinrausch des technischen Death verführen, doch wieviel Raum zu atmen Pyrrhon der Nummer geben, wäre bisher wohl kaum denkbar gewesen. Noch weiter draußen ist The Cost of Living, das neunminütige Herzstück der Platte. Was als avantgardistische Gitarren-Odyssee in eine vage Vision des Bewusstseinszustandes von Imperial Triumphant beginnt, dabei aber eine dreckige Bodenständigkeit ohne verkopftes Muckertum zeigt, bewahrt sich ein Delirium, als hätten sich Slint von den Melvins und ihrem Sludge mit viel Sühne schleifen lassen, bevor am Ende die Dämme eingerissen werden. Das ist auch deswegen einer der besten Songs der Band überhaupt, weil der Spannungsbogen so geduldig verfolgt wird, das entwickelte Motiv seinen verdienten Klimax bekommt.
Und sonst? Kann man im Zuge von Human Capital etwa sogar schon von einem catchy Mitsingpart sprechen, nur weil so etwas wie Melodik ausgekotzt wird? Hat Cornered Animal seine Lektionen etwa im Mathcore bei Botch und den frühen Dillinger Escape Plan erteilt bekommen, oder leidet Solastalgia als ambiente Klangcollage im Fiebertraum absolut atmosphärisch aus dem Jazzkeller heraus an der Dissonanz? State of Nature brüllt zumindest sicherlich mit malmendem Bass (Erik Malave ist weiterhin das einende Bindemittel im Dound) voll zurückgelehntem Groove.
Immer auch nahe am bisherigen Schaffen veranlagt, ist auch das vierte Album der New Yorker freilich primär wieder eines, das sich in der Büchse der Pandora austobt, die Gorguts mit Obscura (avancierte irgendeine andere Platte des Metiers in jüngerer Vergangenheit derart unbedingt zu dem Referenzwerk des Genres?) geöffnet haben, doch ist die Evolution der Band immanent und schlüssig.
Abscess Time inszeniert sein hirnwütiges Chaos wenn schon nicht kontrollierter als die Vorgängeralben – denn auch die waren ja alles andere als unüberlegt konzipiert – dann doch weitaus zugänglicher. Pyrrhon geben nunmehr eine geradezu beherrschtere Übersicht über das Geschehen, überfallen einzelne Szenen nicht hinterrücks mit zehn anderen und ändern dabei noch fünfmal die Ausrichtung – sondern drosseln diese virtuose Reizüberflutung auf gefühlt die Hälfte des gewohnten Wahnsinns. Man kann sich so besser auf diesen Wirbelsturm aus progressiven Ideen einlassen, wenn der Fleischwolf das Songwriting auf ein Plateau über der Attitüde hebt, die Komplexität nicht vor dem Narrativ steht.
Zusammengehalten von spitzfindigen Samples als Stachel gegen die kapitalistische Welt und Moores starke Texte darf man sich dann freilich fragen, ob es bei 57 Minuten Gesamtspielzeit ein frickelndes Interlude wie Overwinding unbedingt gebracht hätte (eher: nein!) gibt es so vieles hier, dass den Fokus verlangt: Wenn Down at Liberty Ashes etwa irgendwann ein diffuses Solo in die Auslage stellt oder Teuchnikskreis für 61 Sekunden im malmendem Deathcore quietscht. The Lean Years mutiert vom Thrash in die Albtraum-Zeitlupe und zurück in den Grind, mehr oder minder, die Gitarren hyperventilieren extatisch.
Im Closer Rat King Lifecycle kulminiert die Platte so als Monolithen, der sein griffiges Riffing zum Mantra führt, den Grundfesten der Band einen Ausblick auf Gegenwart und Vergangenheit verschafft, während die Zukunft dieses explorativ expandierenden Quartetts vorerst ein Mysterium bleibt. Während allerdings die selben Gründe dafür herangezogen werden können, weswegen man nach den beiden Vorgängern enttäuscht von Abscess Time sein könnte, wie sie dafür dienen zu argumentieren, warum Pyrrhon hiermit ihre bisher beste Platte aufgenommen haben, kann man sich ja vielleicht darauf einigen, dass die New Yorker so oder so noch immer nicht restlos am Zenit ihres schier erschreckenden Könnens angekommen zu sein scheinen, und jede neue Platte ein Versprechen ist, dieses Potential noch plättender einlösen zu wollen.
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