Primitive Man – Immersion

von am 14. August 2020 in Album

Primitive Man – Immersion

Primitive Man erbrechen auf Immersion mehr vom selben, sadomasochistischen Torture Porn aus Doom- und Sludge, der sie 2017 mit Caustic in der ersten Reihe der Szene etablierte – allerdings in markant kompakterem Format.

Der markanteste Unterschied zwischen dem Vorgängeralbum und dem (man mag es angesichts der Fülle an Veröffentlichungen, die Primitive Man in nicht einmal einem Jahrzehnt der Existenz hervorgebracht haben ja kaum glauben) erst dritten Studiolangspieler des Trios aus Denver ist offenkundig die Spielzeit der beiden Platten: Wo Caustic sich über 12 Songs und 78 Minuten Spielzeit ausbreiten durfte, soll Immersion die Trademarks mit gerade einmal halb so vielen Nummern in etwas über einer schlanken 36 halben Stunde vermessen.
Was alleine insofern ein ambitionierter Ansatz ist, da Primitive Man sich dafür einerseits stilistisch kaum merklich aus ihrer etablierten Anti-Wohlfühlzone bewegen, andererseits gerade die erschlagende Maße und Länge der 2017er-Folter zur beängstigende Erfahrung beigetragen hat, die Caustic letztendlich auf einem anderen Level als noch das Debüt Scorn war und ist.

Primitive Man sind nun aber erfahren genug, um zu wissen, dass sich diese erschöpfende Tortur wohl nicht steigern lässt, ohne Substanz am Altar des reinen Selbstzwecks zu opfern. Und dass ein klarer Paradigmenwechsel an sich spannender gewesen wäre, als die exzessivst zelebrierte Richtung des seine Agenda auslaugenden Vorgängers noch weiter zu verfolgen, mag durchaus stimmen – eine Wiederaufnahme der Tortur ist eigentlich nur pure Konsequenz: Man hat das Martyrium einfach nicht überstanden, die Qual geht weiter, auch über das vermeintliche Ende von Caustic hinaus.
Doch eben: Wo der Inhalt deckungsgleich bleibt, hat sich die Form geändert: Die Daumenschrauben sitzen auf diesen gefühlten Trabanten nun enger und schärfen den Fokus für prägnante Szenen dort, wo die Summe von Caustic abschreckend war, aber auch, wo man sich Immersion nun wohl öfter und freiwilliger stellen wird. Was nach einem Kompromiss klingt, letztendlich aber eine garstige Falle mit falschem Sicherheitssiegel darstellt. Ersaufen kann man schließlich nicht nur in den endlosen Weiten des Ozeans, sondern auch im einladenden Pfuhl eines Morastes.
Die Differenz zwischen Caustic und Immersion liegt also weniger im Wesen der beiden Platten an sich, sondern in der Art und Weise, mit der man dem komprimierteren, nicht aber konzentriertere, Drittwerk nun selbst als Hörer begegnet – ohne die Angst alleine von der Menge an Material erschlagen zu werden, fällt es leichter, sich dem Einfluss von Primitive Man zu öffnen und hinzugeben.

Ohne die richtigen Songs wäre dieser Feinschliff am Kontext freilich wenig wert, doch Immersion hält das hohe Niveau der bisherigen Diskografie ansatzlos – zumal mit einem bisher ungenannt direkten Fluß im Gesamtgefüge.
The Lifer nimmt den direkter Einstieg ohne viel Vorlauf, ist zutiefst typische Primitive Man-Ware, die mit Haut und Haaren frisst. Die Riffs bewegen sich mit der Geschwindigkeit verschiebender Landmassen und zähflüssige Rhythmen durch den atonal vom Feedback und der Dissonanz verunstalteten Nihilismus einer sterbenden Welt, McCarthy intensiviert die Klaustrophobie mit seinem tief brüllenden Organ in röchelnder Hässlichkeit. Hinten raus bremst sich diese pure Entschleunigung noch mehr zu einer meditativen Heavyness aus, die die Gitarren mit einer düsteren Weite und der dramatischen Geste des Postrock aufgeraugt flirren lässt, letztendlich aber in köchelnden Rückkoppelungen lauert.

Entity will dort erst über einen wie ein psychotischer Hummelschwarm dräuenden Konsistenz geboren werden, die von martialischen Drumschlägen unheilvoll herbeibeschworen wird – ein lange hinausgezögerter Schwall an Nihilismus kotzt sich danach als Erleichterung in das apokalyptische Szenario und findet ein abruptes Ende. Der Einstieg in Menacing gerät mit seinem ballernd-tackernden Blastbeat danach umso unmittelbarer. Schnell wird die Nummer zu einem Reißwolf zwischen dieser brutalen Langsamkeit und manisch rasenden Adrenalinspritzen, Death und Postmetal werden von monolithischen Doom und Sludge assimiliert.
Ohne Eile blutet das aus, bis der Übergang zu ein absolut natürlicher ist, wenn das Herzstück der Platte ein im weiß rauschenden Noise a la Steel Casket um Luft ringendes Lichten der ansonsten so plättenden Dichte darstellt. Danach finden Primitive Man im zweiten Teil der Platte gewissermaßen Erlösung.
Foul schleift seine dystopische Kaskaden mit einer hypnotisch-stoischen Eingängigkeit und wieder sind es die atmosphärisch am Black Metal geschulten Texturen, die imaginativ nachwirken, bevor Consumption nach seinem wütend-bestialisch eingesperrten Beginn immer wieder in purer Radikalität mit weißem Schaum vorm Mund auszubrechen versucht, sich selbst kasteiend aber in der Zeitlupenaufnahmen misanthropische Geißelung zelebriert, und eine gelöste, fast überschwänglich dem Wahn ergebene Katharsis findet. So hat man McCarthy noch nicht gehört – als wäre er über den erstickenden Ballast seiner Band hinausgewachsen.
Insofern ist Immersion vielleicht auf den ersten Blick wirklich „nur“ mehr vom selben Gebräu, noch eher als ein Appendix oder knapper Snack für Zwischendurch aber womöglich auch ein erster Zeig zum Übergangswerk, sicherlich zudem ein Ausrufezeichen. So oder so: Es ist abermals keine angenehme Bestandsaufnahme, mit der Primitive Man ihren grässlichen Ausnahmestatus noch vor dem expliziten nächsten Evolutionsschritt mit genüsslicher Präzission zementieren.

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