Preoccupations – New Material
Auch wenn das transportierte Gemeinschaftsgefühl hinter New Material zwischen den Zeilen gestiegen sein mag, die Dark Wave-Sequenzen in ihrem Postpunk nunmehr noch dunkler als bisher schon funkeln und die Kanadier zudem definitiv Pornography als Stimmungsmusik gehört haben, macht das Zweitwerk von Preoccupations praktisch nahtlos beim selbstbetitelten 2016er-Debüt weiter. Weiterhin ist insofern kaum jemand schnörkelloser darin, seine Alben adäquat zu betiteln.
Zugegeben: Insgeheim hätte man nach der Wandlung von Viet Cong zu Preoccupations ja mit einer abermaligen Umbenennung der Band aus Calgary mitsamt einem dritten selbstbetitelten Album als neuerlichen Quasi-Debüt gehofft. Nun weiß man zumindest, dass originelle Namen für Ihre Alben generell nicht die Stärke von Preoccupations sind, auf den Punkt kommende Direktheit aber sehr wohl.
Simpel und prägnant benannt serviert das Quartett knappe drei Jahre nach dem Ende ihrer ersten Identität also – nomen est omen – primär tatsächlich schlichtweg neues Material aus (mehr oder minder) der selben Ecke, in der bereits Preoccupations brodelte. Dort also, wo düster packender Postpunk mit verrucht glimmernden Synthies bezaubert, eine erhebend-drückende Stimmung der postindustriellen Revolution nur vereinzelt ans Tageslicht blinzelnden Gitarren zulässt.
Überraschungen gehen also anders, doch eine sinnigerweise immer noch frisch und ambitioniert gelungene Detaildefinition der Kampfzone exakt dartartig. Außerdem ist eine nahtlose Fortsetzung von Preoccupations alleine schon insofern keine schlechte Idee, da der süchtig machende (zweite) Erstling des Quartetts den Hunger auf charakteristisch sinister pulsierende Ohrwürmer entlang eines zerschossener Albumfluss durch das skizzenhafte letzte dritte Viertel der Platte (aka: Sense und Forbidden) ohnedies nicht restlos befriedigend stillen konnte.
Was dann allerdings auch im Falle von New Material gleich zum gravierendsten Manko führt: Preoccupations bleiben auf Albumsicht eine unrunde Band. Sie schaffen es zumindest nicht, aus dem vorhandenen Material ein kohärent geordnetes Ganzes zu formen, den Spannungsbogen über die gesamte Spielzeit schlüssig zu halten und ihre Agenda erschöpfend auszuformulieren. Anders ist es nicht zu erklären, weswegen New Material mit dem dichten, aber kompositionell beiläufigen Abspann Compliance zu unverbindlich verglüht, das Dystopie-Instrumental gefühltermaßen als Atem holendes Intro für ein potentiell großes Finale, das letztendlich nicht kommen wird, in der Luft hängen lässt: Das zu abrupt folgende Ende der Platte kann nur irritieren. Ein Nachgeschmack – das war es jetzt? – bleibt insofern, auch wenn sich das frontverlagerte New Material als nicht nur ästhetisch sofort in seinen Bann ziehender Magnet erweist.
Zu Beginn entwickelt sich da eine kompakt gestrickte Eingängigkeit, die ganz wunderbar in einem demonstrativen Gemeinschaftsgefühl aufgeht. Espionage klopft erst kalt, industriell und karg, treibt dann wie ein neonfärbig halluzinierender Depeche Mode-Song über seine Synthieflächen. Die verruchte Stimme von Matt Flegel wirft sich im Refrain in ein fibriges Call and Response-Gefecht, nervös aber konzentriert, das sich immer weiter in die hymnische Geste wiegen lässt: Ein Instant-Hit.
Decompose lässt die Gitarren dagegen im Loop perlen und den unerbittlich dominierenden Rhythmus schieben, der Bass drückt abgedämpft, hat etwas von der archaischen Aufgeräumtheit der frühen Secret Machines. Flegel singt entrückt, schwebt über die ungemütlich-einladenden Moll-Backingchöre, die Keyboardarrangements schimmern hypnotisch – es wird komplizierter, doch eingangs holt New Material eben tatsächlich bedingungslos an Bord, agiert kompakter und relativ straight. Zudem zeigt sich, dass New Material seine Schrauben auch an der Basis eines gesteigerten Bandgefühls ansetzt – die besten Szenen stemmen Preoccupations in einer demonstrativen Zusammenarbeit.
Als schwer einschätzbarer Wechselbalg verlagert sich der Fokus des Songwritings dabei im Verlauf der Platte immer wieder um Nuancen, findet seinen roten Faden kompositorisch nur in dosiert auftretenden Passagen. Wo New Material auf herausragende Monolithen wie Memory ebenso wie auf Nichtigkeiten wie Sense oder Forbidden verzichtet, fächert sich das Material hinter der intensiven und homogenen Atmosphäre immer wieder abschnitthaft auf.
Der offene und optomistischerer Klang von Disarray kann also verwundern. Die Vocals verschwimmen im Hall, doch irgendwann packt Flegel seine unter die Haut gehende sonoren Beschwörung aus,während die Gitarren fließen, als wären wir hier im Indierock – ein hämmernder Industrial Beat aus der Konserve erweist sich als Finte. Das tranceartige Manipulation döst dort als ätherischer Fiebertraum. Im nebulösen Taumel täuschen Preoccupations immer wieder an, den elektrifizierenden Schalter umzuschmeißen, doch legt die Band stets nur einen minimal nuancierten nächsten Gang ein, variiert die Rhythmik ohne aus der Ruhe zu kommen, und rollt sich danach ohne den angekündigten Ausbruch zusammen. Das einleitende Atemholen im Kontext einer an den Nahtstellen zwischen den Songs nicht restlos sauber funktionierenden Ganzen. Dabei denkt Antitode den Mittelteil der Platte als wie ein aus der Maschine kommender Fließband eckig und trotzdem elegant weiter, exerziert seine Schlagzeugpattern über einem latenten Bowie-Flair, der Weg ist das Ziel.
Ohne jedoch einen Climax zu erzeugen, arbeiten Preoccupations mit akribischer Miene detailversessen um sich selbst zirkulierend, evozieren eine Nabelschau und interpretieren das Momentum eher als legere Konzentration der Gegebenheiten. Deswegen gedeiht das Händchen der Band für eingängige Melodien in weiterer Folge auch geradezu nebensächlich catchy und weniger zwingend über eine sickernde Vehemenz in den Hinterkopf.
Das solide Solace suhlt sich in einem anachronistischen 80er-Flair, läuft Smiths‚esk gitarrenlastiger dahin und findet trotz einer gewissen nonchalanten Unverbindlichkeit ein funkelndes Licht am Ende des Tunnels. Es bleibt jedoch das Gefühl, dass Preoccupations hier nicht zum vollen Potential der Nummer vorgedrungen sind, sondern sich in ästhetischen Ausschmückungen vom Wesentlichen ablenken ließen, den Fluss der Platte nicht essentiell bereichern. Deutlich besser deswegen das wie unter Betäubung hämmerde Doubt, das als purer The Cure-Tribut einen brillant mäandernden Refrain provoziert.
Im Verbund mit Doubt funktioniert das abschließende Compliance als Blade Runner-Apokalypse dann auch ganz wunderbar – nur eben nicht, wenn man einen Schritt nach hinten tritt und sich New Material als Gesamtes ansieht. Viel mehr steht es symptomatisch für eine dynamisch zu wenig organisch shiftende Platte, die wie eine Zusammensetzung einzelner Teilpassagen ohne Grand Finale anmutet, sich eben eher wie New Material als ein New Album anfühlt.
Restlos befriedigend ist das Ergebnis insofern auch im zweiten Anlauf wieder nicht, vielmehr ein neuerlich aufflammender Rausch in der Sucht. Was bleibt, ist nichtsdestotrotz primär die bestätigte Erkenntnis, dass Preoccupations in ihrem Metier rund um stilistisch nahverwandte Nachzügler wie Criminal Body aktuell mitunter unerreicht schalten und (selbst)verwalten.
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