Postdata – Let’s Be Wilderness
Es ist schön, dass Let’s Be Wilderness existiert. Ob Paul Murphy den zehn Songs allerdings einen Gefallen getan hat, sie unter dem Banner seines eigentlich abgeschlossen geglaubten Familienprojektes Postdata zu veröffentlichen, muss in Frage gestellt werden.
Wir erinnern uns: Relativ bald nach dem Wintersleep-Meisterwerk [amazon_link id=“B001GNG4FA“ target=“_blank“ ]Welcome to the Night Sky[/amazon_link] nutzte Paul Murphy die Plattform Postdata 2009 um als angedachtes Präsent an seine Mutter, im weitesten Sinne auch, um familiäre Schicksalsschläge zu verarbeiten. Er tat dies unter Mithilfe seines Bruders Michael auf einem [amazon_link id=“B002YVYI24″ target=“_blank“ ]selbstbetitelten Album[/amazon_link], das als intime Miniatur und filigrane Zurückhaltung vornehmlich aus leisen Gitarrentönen bestand, dazu Murphys Trademarkstimme und vor allem der unter die Haut kriechenden Dichte einer Atmosphäre voller nachdenklich sinnierender Melancholie. Eine Platte war das, so simpel, so traurig und so entwaffnend nahbar, dass sie zu Recht eine für sich alleine stehende Ausnahmestellung im Werk des kanadischen Musikers genoss.
Dass sich Murphy nun knapp ein Jahrzehnt später dazu entschlossen hat Postdata zu reaktivieren, konnte insofern per se ambivalente Gefühle hervorrufen. Spätestens seit den ersten vorausgeschickten Herolden, die ja gleich ohne Umschweife klar machten, dass die ehemals so flüchtige Spielwiese nun mehr Speck auf den (instrumentalen) Rippen haben sollte.
Tatsächlich ist Postdata auf Let’s Be Wilderness vom folkigen (mehr oder minder) Solo- zum voll ausformulierten Band-Format im folkrockigen -Kontext gewachsen. Vielleicht war es schon immer so gedacht. Murphy spricht von einem „revolving door of collaborators“ und meint damit diesmal insofern eben die Zusammenarbeit mit Grant Hutchison und Andy Monaghan von Frightened Rabbit, seine Wintersleep-Kollegen Loel Campbell und Tim D’Eon sowie Blonde Redheads Simone Pace, dazu Produzent Tony Doogan.
Mit ihnen hat Murphy eine Platte aufgenommen, die sich mit der Mystik und dem Vertrauten beschäftigt, mit der Dualität hinter „the desire for warmth and community, and the burrowing, unavoidable reality that, one day, it will be no more„. Letztendlich auch eine Auseinandersetzung mit dem Älterwerden: „You go through a lot of different emotions. Getting older is a theme that’s present in a lot of the writing.“
Womit Murphy Postdata ein Stück weit einen neuen Charakter zu verpassen versucht. Selbst eine immer noch zurückgenommen aufgebaute Nummer wie Window, die mit romantisch geschrammelter Gitarre an sich wenig Ressourcen benötigt, ist so nun nicht nur kräftiger produziert als das bisherige Postdata-Material, sondern lässt die Evolution im Sound auch durch ein elektronischen Bratzen erkennen, das subtil in den Song zu kriechen scheint.
Der Übergang und stilistische Wachstumsprozess vom Debüt zum Zweitwerk wird dabei allerdings nur selten derart versöhnlich inszeniert: Let’s Be Wilderness unterscheidet sich von seinem Vorgänger alleine dadurch markant, dass die Schüchternheit geblieben, aber die Unaufdringlichkeit von einst minimiert ist.
Zurückgenommene Gitarrenanschläge und Murphys Stimme genügen dem eröffnenden Wilderness nur eingangs, doch bald streicheln auch Klavierakkorde in den Song, ein Schlagzeug treibt ihn nachdenklich an, zärtlich und beruhigend, aber doch bestimmt. Weiche Gesangsharmonien umgarnen postrockige Gitarrenflächen und führen später zu einem regelrecht opulent feierlich schwelgenden Finale. Let’s Be Wilderness beginnt also bereits dort, wohin Postdata niemals hingewachsen ist.
Der elektronische Beat von Black Cloud zeugt deswegen wie selbstverständlich von einem latenten Radiohead-Einfluss. Bald rockt die Nummer unaufgeregt und trocken, aber auch soviel kräftiger, als man das im Postdata-Kontext für möglich gehalten hätte. Gleichzeitig dämpft diese Prägnanz im Auftreten auch minimal die Intensität und Leidenschaft der gesanglichen Performance, Murphy holt mit einem Gespür für Ohrwürmer etwas schaumgebremst an Bord. Gravity baut danach auf schimmernde Synthieflächen, eine Drummaschine sowie plingende Gitarrenfiguren, über denen Murphy schwerelos treibt. Der Songs bekommt eine elegisch ausgebreitete Dramatik, döst mit tröstender Grandezza dahin, kann sich aber genau genommen hinten raus nicht steigern oder intensivieren, sondern wiederholt nur mit mehr Schichten seine traumwandelndes Wesen. Als Vorwurf ist das nicht zwangsläufig zu verstehen.
So catchy und singletauglich die zehn Songs von Let’s Be Wilderness nämlich auch stets sein mögen, so sehr funktionieren sie im abwechslungsreich konzipierten Kontext eines angenehmen Spielflusses doch am schlüssigsten – weil sie für sich alleine stehend eben nicht immer die nötige Gravitation erzeugen.
Pasture etwa hat mit seiner bedächtig-klaren Gitarre dann etwas von den folkigen Momenten von A Moon Shaped Pool, ist eine leise tröpfelnde Reminiszenz und bekommt hinten raus funkelnde Synthiestreicher. Dennoch symptomatisch, dass es nicht nur hier wirkt, als würde Murphy die Dinge wunderbar ausschmücken, aber nicht zum tatsächlichen Kern der Songs vordringen. Dabei drehen sich die Kompositionen wie auch im Fall von Erase Your Heart durchaus bewusst im Kreis: So wuchtig, dicht, drückend, ja auch massiv und stoisch wie hier hat man Murphy selten gehört, während die Gitarren unter dem ungezwungenen Überbau in Postpunkiger-Interpol-Manier grätschen. Das optimistisch-beschwingte, luftig-ausgelassen die kleine Sause mit Handclaps und nobler Zurückhaltung zelebrierende Evil konterkariert diese konzentrierte Dynamik wie auch der hoffnungsvoll-gelöste, locker aus der Hüfte kommende Lalalala-Singelong Cling to Me (trotz Ahnungen eines kakophonischen Noise ganz weit unten im Hintergrund) nur kurzzeitig.
Am besten ist das rundum überzeugende Let’s Be Wilderness dennoch, wenn es die (ehemalige?) Essenz der grundlegenden Postdata-DNA am zerbrechlichsten in stilistisch weiter entfernte Gefilde übersetzt. Ithaca besitzt beispielsweise eine soulige Orgel, schnipst, Gitarren begleiten so unheimlich wehmütig. Das Schlagzeug läuft über den weit offenen Horizont und ganz vage ist das wunderbarer Americana/Heartlandrock mit Springsteen-Einschlag, Tränen in den Augen und dem Sternenmeer über dem Kopf. Fields and Valleys wiederum erinnert mit seinen staubig flimmernden Gitarren, der um eine abgedämpft stampfende Bassdrum pulsierenden Percussion sowie der pfeifenden Wüstensand-Lagerfeuerstimmung gar an Calexico.
Dass diese Expansion überzeugender funktioniert, als die ansonsten oft praktizierte, zumindest empfundene Annäherung an Murphys Hauptkombo, ist naheliegend. Gerade mit dem selbstbetitelten Postdata-Unikum im Hinterkopf wirkt Let’s Be Wilderness oft zwischen den Stühlen aus Stammband und Nebenprojekt taumelnd. Aber nicht: weder Fleisch, noch Fisch – sondern eher: in der Light-Version.
Sei es drum. Die versammelten 41 Minuten sind als kurzweilige, griffig-bescheidene Rocksongs mit direktem Unterhaltungswert ohnedies zu muskulös, um als klassische Postdata-Reduktion empfunden zu werden; aber zu filigran, um in die majestätische Wintersleep-Tiefe vorzudringen (Obwohl sie im verlagerten Stammband-Kontext übrigens vielleicht sogar das stärkste Album der Kanadier seit langem ergeben hätten können). Wo sich Let’s Be Wilderness unter dem firmierenden Banner deswegen zuerst ein wenig deplatziert anfühlt, ist das kein Punkt, der die grundlegende Qualität der Platte schmälert, denn das Songwriting stimmt rundum. Doch macht diese Entscheidung die Dinge für Let’s Be Wilderness aufgrund verschobener Erwartungshaltungen eben unfairerweise zumindest in der Kennenlernphase ein ganzes Stück weit undankbarer. Gut also, dass die Platte mit jedem Durchgang weiter wächst. Vor allem – wie schon ihre Vorgängerin – ans Herz.
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