Portrayal of Guilt – Let Pain Be Your Guide
Portrayal of Guilt haben mit ihrem Debütalbum (natürlich? natürlich!) keineswegs das traditionsbewusste Screamo-Feuerwerk aufgenommen, dass man sich nach der selbstbetitelten EP von 2017 erwartet hatte. Viel mehr ist Let Pain Be Your Guide die Skizze eines größeren Masterplans geworden.
Dass das Debütalbum der vier Texaner hier und da dennoch gerne in die über ihre (bisher relativ kometenhaft verlaufende) Karriere bediente Schublade gesteckt wird, hat dann eventuell ja ähnliche Gründe, weswegen Birds in Row wiederum referenztechnisch in der Melodic Hardcore-Ablagerung rund um Touché Amoré und Co. landen. (Genretechnische Haarspaltereien außen vor, wird man bis zum proklamierten Jeromes Dream-Comeback aktuell übrigens wohl bei Ostraca am puristischsten fündig, was klassischen Revival-Screamo angeht).
Dass hinsichtlich Let Pain Be Your Guide hingegen auch etwaige Vergleiche mit dem Schockzustand der ersten Converge-Begegnung erzwungen werden, erscheint (ungeachtet aller sich wiederum daraus ableitender Unzulänglichkeiten) insofern durchaus nachvollziehbarer – dafür reicht ein Blick auf Artwork- und Titel-Ästhetik von Portrayal of Guilt, mehr noch aber der Einstieg mit Daymare.
Die Band klopft in diesem absolut überragenden Opener nach kurzer Aufwärmphase ordentlich nach vorne knüppelnd los, Matt King bellt im Verbund mit Matt Michel (Majority Rule) zur Begrüßung röchelnd ins Mikro, installiert den maßgeblichen bolzender Hardcore mit Schaum vorm Mund und keifenden Death/Grind-Tendenzen, der nunmehr das Grundgerüst des Songwritings ausmacht, und in den Derwischen Among Friends und A Burden über drängelnde Gitarren und ein fauchendes Schlagzeugspiel weiter auskotzen wird, bevor sich die Nummer erst ausbremst und noch einmal Spannungen aufbaut, mit geißelnder Vehemenz und bedrohlicher Dramatik zu einem growlenden Morast stampft, der auch Phantom Winter gefallen wird. Als bemühte Referenzpunkte im nihilistischen Minenfeld sind Circle Takes the Square oder Plebeian Grandstand ebenso zulässig, wie sie am Kern der Sache vorbeihämmern.
Die Eröffnung in Form von Daymare ist neben dem Closer Until We’re Dust (mit fantastisch ungestümen Drums, bösartig-giftiger Aggressionen und der flüsternder Eingängigkeit von NØ MANs Maha Shami) jedoch der am ausführlichsten formulierte Song. Alleine spielzeittechnisch nimmt der Rahmen der Platte mit gut 8 Minuten bei der Gesamtdauer von 23 Minuten schließlich eine Ausnahmestellung ein, bilden die für Gewicht sorgende Pole.
In einem stilistisch freizügigen Spektrum toben sich Portrayal of Guilt nunmehr weniger als pg.99-Erben, als vielmehr wie Schüler von Code Orange in diversen Spielarten – von Ansätzen des Powerviolence über postpunkige Tendenzen und elektronisch-inspirierten Synth-Ambient bis zum Emocore und Punk – aus: Your War landet unter der Mithilfe von Dylan Walker (Full of Hell) letztendlich gar beim hyperventilierenden (515) von Slipknots [amazon_link id=“B00005MNB9″ target=“_blank“ ]Iowa[/amazon_link].
In dieser Veranlagung ist Let Pain Be Your Guide phasenweise sehr wohl zu fragmentarisch ausgefallen, weswegen das dennoch keineswegs unentschlossen wirkende Album über weite Strecken seiner zu kurzen Spielzeit jedoch eher wie ein Anreißen von zusätzlichenIdeen wirkt, dass seine Substanz ein wenig frustrierend nicht vollends ausschöpft.
Das separat als Non Album-Single geführte Chamber of Misery (Pt. I) hätte den Kontext etwa durchaus gravierender bereichert, gerade auch, weil beispielsweise das hirnwütige Inferno Life Holds Nothing über grandiose Drums in einen herrlich garstigen Tumult stolpert, diesen aber eher als Ästhetik denn als Songwriting versteht, und zudem nach 60 Sekunden plötzlich vorbei ist. Auch erweisen sich die stimmungsvollen Interludes als unausgegorene Schwierigkeit. Gerade der nicht einmal halbminütige Titeltrack hängt als kalter Industrial wenig essentiell zwischen den Songs in der Luft, verpufft ohne konkret zwingendes, nicht essentiell integriertes Element und bremst vor allem die eigentlich idealerweise atemlose Spieldynamik aus. Die nachdenklich-düstere Gitarrenlinie von Chamber of Misery (Pt. II) führt hingegen einnehmend in eine pessimistische Noise-Welt, die zwischen Type 0 Negative und Alice in Chains zu liegen scheint, bevor die sinistre Klaustrophobie des unangenehmen, The Haxan Cloak-artigen Zwischenspiels The Hunger in das abrupt ausgedampfte Death is Gentle mündet, eine Skizze aus atmosphärischer Gitarre und drückenden Bässen, die erst spät ihren Biss findet.
Das Potential, das dass Quartett dabei allerdings freilegt und hinter einer – so unfokusiert das Material auch zwischen Stühlen sitzen mag – durchwegs homogenen und kohärenten Gesamtausstrahlung in einer schlüssigen Atmosphäre vereint, hält stets mit kurzweiliger Intensität an der Stange. Let Pain Be Your Guide ist hungrig und mitreißend, impulsiv und ambitioniert, leidenschaftlich und unberechenbar. Die Platte macht mit ihrer infektiösen Ruhelosigkeit süchtig und vor allem neugierig darauf, wohin diese Band mit mehr Gespür für Konturen und einen stringenteren Gesamtfluss noch wachsen wird können. Einstweilen ergibt ein eskalierender Teaser der Extraklasse eine beachtliche Talentprobe mit einigen Kinderkrankheiten und mehr noch grandiosen Perspektiven.
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