PJ Harvey – The Hope Six Demolition Project

von am 28. April 2016 in Album

PJ Harvey – The Hope Six Demolition Project

Die längste Plattenpause ihrer Karriere hat PJ Harvey nicht gemütlich werden lassen. Dennoch gönnt sie sich mit dem mutimedial veranlagten The Hope Six Demolition Project die Freiheit, vordergründig den Brennpunkt des unwerfenden Let England Shake auf einer stilistisch breiteren und sozialpolitisch globaleren Ebene weiterzudenken.

Nachdem die heute 46 Jährige Engländerin 2011 neben der uneingeschränkt erfahrenen Ehrerbietung von Kritikern und Fans mit einem zweiten Mercury Award geadelt Musikgeschichte geschrieben hatte, begab sich Polly Jean Harvey auf Reisen: Mit dem Fotografen und Filmemacher Seamus Murphy besuchte sie bis 2014 den Kosovo, Afghanistan und Washington D.C.
Die dabei gesammelten Eindrücke und Erfahrungen spiegelten sich bereits letztes Jahr im Poesie/Bildband The Hollow of the Hand wider, während Harvey gemeinsam mit ihren langjährigen musikalischen Kompagnons Flood und John Parish in London zur Recording in Progress lud: Eine zur Quasi-Kunstinstallation erhobenen, öffentlich zugänglichen Aufnahmesession, dessen musikalisches Endergebnis nun das schon im Titel zutiefst referentielle The Hope Six Demolition Project darstellt.

Alleine in seinem Entstehungsprozess unterstreicht das neunte Studioalbum von Polly Jean damit das Bild der sich stets neuen Herausforderungen stellenden Künstlerin – und dennoch setzt The Hope Six Demolition Project nun im weitesten Sinne doch auch Motive und Gedanken fort, die Let England Shake etablierte. Zwar ist Harveys Sound 2016 rauher, roher, rumpeliger, ungeschliffener und aufgrund der immer wieder markanten, so herrlich launigen Backing Vocal-Auftritte der Kerntruppe um Flood, Parish, Jean-Marc Butty und Mick Harvey schlichtweg Bandlastiger als das doch weicher und runder auftretende 2011er Werk, auch das an allen Ecken nun ein prominent vertretenes Saxofon um die Ecken der angenehm unkonkret zwischen Blues, Folk, Gospel und schrammelndem Rock torkelnden Songs schleichen kann, verleiht der doch auch so minimalistisch inszeniert anmutenden Platte auf musikalischer Ebene im Detail einen Charakter, der sich durchaus Eigenheiten genehmigt.
Gerade in Anbetracht der bei früheren Alben doch so eklatanten Sound-Wandlungen der PJ Harvey wirkt The Hope Six Demolition Project in Sachen Stimmung, Ausrichtung und Songwriting dann aber doch immer wieder wie eine Fortsetzung zu Let England Shake. Man meint einige Ideen, Motive und Melodien, die Atmosphäre der Kompositionen an sich so ähnlich bereits zu kennen.

Im sich so aufdrängenden direkten Vergleich zum Vorgänger ziehen die Songs von The Hope Six Demolition Project da beinahe ausnahmslos – und natürlich irgendwo notgedrungen – den kürzeren. Weil Harvey, die sich auf inhaltlicher Ebene aufgrund der trocken dokumentierenden, Distanz wahrenden Lyrics bereits von vielen Seiten den (nicht wirklich fairen) Vorwurf des Elendstourismus gefallen lassen musste, diesmal auch in ihren Melodien oftmals oberflächlich betrachtend anmutet, als würde sie um den Kern ihrer Songs schlendern, ohne wirklich Nägel mit Köpfen zu machen, einen unverbindlichen Reigen an Kinderlieder-Harmonien hofierend.
Zwei Punkte relativieren dies letztendlich. Einen tatsächlichen Ausfall gönnt sich Polly Jean zum Einen nur im unsagbar nervig repetierten, so leicht zu durchschauenden Schunkler Near the Memorials to Vietnam and Lincoln. Und zum Anderen ist das alles immer noch Jammern auf immens hohem Niveau – das höchstens im Discographie-Kontext schwächelnde The Hope Six Demolition Project hält zahlreiche brillante Augenblicke parat.

The Community of Hope listet nüchtern den Kontrast zwischen beschwingter Leichtigkeit und bedrückenden Texten samt feierlich-ernüchternder Auflösung („They’re gonna put a Walmart here„), das harte, stakkatohaft riffende The Ministry of Defence löst sich irgendwann im marschierenden Gemeinschaftgefühl und halluzinogenen Bläser-Nebel auf, während das shuffelnde A Line in the Sand wie eine unwirkliche Rock & Roll -Oase rumpelt und Chain of Keys sich nicht zwischen militärischer Stränge trippigem Jazz entscheiden will. Der spirituelle River Anacostia: eine traumwandelnd fließende Ziellosigkeit von transzendentaler Schönheit.
Dass The Orange Monkey und Medicinals eher wie eine lose verfolgte Skizze mit vergeudetem Potential wirken, ist an sich nicht uncharmant, lässt das dritte Viertel der Platte dennoch als das am wenigsten zwingende dümpeln. Zumal The Hope Six Demolition Project über das aus dem kargen Blues in eine leidlich inspirierte, aber durchaus fesselnde Extase schlapfende The Ministry of Social Affairs zu seinem schlicht brillanten Finale findet: Wo das ätherische Dollar, Dollar mit Ambientanleihen vor dem inneren Pop-Auge verschwimmt, hat sich der handbeklatschte erste Vorbote The Wheel aus einer anfänglichen Enttäuschung zu einem wuchtigen Manifest fiebrig rollenden Call-and-Response-Akustik-Rocksausgewachsen.
Die große Klasse der Ausnahmekünstlerin PJ Harvey, sie kommt diesmal durch die Hintertür. Genau diesem Muster dürfte The Hope Six Demolition Project generell folgen, indem es seinem Grundcharakter nach als ausschnitthafter Verbund selektiver Einzelbetrachtungen auftretend wohl vor allem von der Zeit profitieren wird.

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