Pinegrove – Cardinal
Pinegrove bringen ihren sorgsam zwischen Emo und Indie pendelnden Songs seit jeher subtile Americana- und Country-Kunststücke bei. Mit Cardinal nun im aufgeräumteren Rahmen und vor wachsenden Publikum.
Seit 6 Jahren ist die Band um Mastermind Evan Stephens Hall und die Levine Brüder Zack und Nick nun bereits unterwegs, hat es in dieser Zeit aber neben einem 2012 in Eigenregie eingespielten Debüt (Meridian) „nur“ auf eine Handvoll EPs und Miniveröffentlichungen gebracht. Lückenlos versammelt finden sich diese übrigens auf dem 2014 neu aufgelegten Run For Cover-Einstand [amazon_link id=“B016ZP6SZY“ target=“_blank“ ]Everything So Far[/amazon_link].
Weswegen man das überragende Finale von Cardinal bereits kennt – aber nicht in dieser funkelnden, bodenständig gebliebenen Produktion, die einen unpolierten Raumklang in angenehm ruppiger Versöhnlichkeit strahlen lässt und seinen charmanten Lo-Fi-Charakter nicht aus klanglichen Defiziten zieht, sondern aus seiner so warmen, nahbaren, simplizistischen Atmosphäre. Einer, die anpacken kann, aber vor allem liebevoll umsorgend eine absolute Intimität erzeugt, in der jeder Anwesende auch aus der hintersten Studioecke rufend noch Gehör finden kann.
Wenn Pinegrove Cardinal also nach herrlich kompakt auf den Punkt gebrachten 31 Minuten mit dem grandiosen, immer intensiver in seinen Spielwitz ausartenden Size of the Moon sowie dem verspielten, fast schon naiv ein Lächeln ins Gesicht zaubernde New Friends abschließen, dann ist das also in vielerlei Hinsicht eine Rekapitulation und Zäsur, die eine in ihren moralischen Entscheidungen hin und wieder strauchelnde, aber stets die Flucht nach vorne antretende Band nicht nur an einem vorläufigen Höhepunkt ihrer eigenen Karriere ankommen lässt, sondern dem Genrejahr neben Kollegen wie The Hotelier und Into It. Over It auch das nächste markante Highlight beschert.
Zudem schließen Pinegrove mit New Friends auch einen thematischen Kreis, der am anderen Ende mit Old Friends begonnen wird: „I saw Leah on the bus a few months ago/I saw some old friends at her funeral/My steps keep splitting my grief through these/Solipsistic moods/I should call my parents when i think of them/I should tell my friends when i love them/Maybe i should’ve got out a bit more/When you guys where still in town/But i got too caught up in my own shit/That’s how every outcome’s such a comedown „. Cardinal ist eine Platte, die mit viel Wehmut umzugehen hat, nicht nur einmal den Kloß im Hals spürt, aber am Ende den eigenen Kopf behält und immer wieder zu leisem Optimismus findet: „As if i needed a reminder/That i do only what i wanna/…/I knew happiness when i saw it/And i saw it„.
Aus dieser Ausgangssituation spinnt Hall seine klugen, berührenden, aufwühlenden Texte und Geschichten, singt sie mit einer schonungslosen Ehrlichkeit, die Cardinal ohne Umwege auf den emotionalen Landkarten aller Suchenden und vor allem auch Heranwachsenden positionierten sollte. Mehr noch: Pinegrove arbeiten entlang dieser 8 wunderbaren Songs bereits so energisch wie unaufdringlich daran, irgendwann einmal den Weg in jene Kammern der Herzen finden zu können, die eigentlich für Kaliber wie die Weakerthans, Decemberists oder Okkervil River reserviert sind. Kontrastiert das tiefsinnige Cardinal seine lyrische Nachdenklichkeit doch auf musikalischer Ebene mit einem erfrischend jugendlichem Tatendrang, ist von einer leichtgängigen Impulsivität geprägt und überrascht in Summe dennoch damit, mit welchem Fokus die Band aus New Jersey vorgeht, wie bestimmt sie ihre Kompositionen ausbalancieren. Dass praktisch jeder Song hier mit welchselnd agierender Besetzung rund um das dreiköpfige Kernteam entstanden ist (Hall stemmt den Gutteil des Instrumentariums, an den Bass darf allerdings beinahe jeder einmal ran), aber Cardinal absolut homogen seine Ziele verfolgt, kann man da durchaus als Ausdruck dieser herangereiften Bandbreite verstehen.
Da tänzeln also Pedal Steel, Banjo und leichte Keyboard-Ahnungen immer wieder hinter der kompakten, lebendigen klassischen Rockbesetzung hervor, während Pinegrove mal bis zu Wilco schielen (im flott-ausgelassenen The Again schubst das Country-Flair den Refrain gniedelnd an) oder das Geschehen mit mehrstimmigen Gesängen in punkig-liebevoller Vertrautheit antauchen (Visiting), dann schleicht sich anderswo ein Piano in die gemütlich und weich schunkelnden Harmonien (im nachdenklichen Waveform), bevor Pinegrove generell immer wieder die Dringlichkeit hochziehen, den Schwermut mit viel Drive ausstatten und unmittelbar von behutsam streichelnd zu entschlackt polternd umschalten können.
Die großartige Bandchemie und das exzellent nuancierte interne Zusammenspiel kommen vielleicht dennoch am besten heraus, wenn das Geschehen sich zurücknimmt und alle einen Schritt hinter Hall treten. Cadmium ist so lange Zeit beinahe eine gefühlte Solonunner, bevor die restliche Band sich doch noch vorsichtig in den Song tastet, man sich in Gemeinschaftsarbeit um die Spannungsbögen zu schlängeln beginnt und letzten Endes sogar noch kollektiv aufstampft. Auch im großen Aphasia steht Hall erst alleine im balladesken Rampenlicht, schwelgt nachdrücklich in leidenschaftlicher Melancholie, bis Nandi Rose Plunkett als Stützpfeiler einsteigt, sich die gemischtgeschlechtlichen Stimmen zu umgarnen beginnen, das Geschehen in strahlende Schönheit schaukelt und das finale Gitarrensolo den Song in den Sonnenuntergang mitnehmen darf. „So i resolve to make new friends/I liked my old ones but i fucked up so i’ll start again/…/What’s the worst that could happen/The end of summer and i’m still in love with her/…/I said forget it“ heißt es dann am Ende einer nostalgisch in die Zukunft blickenden Platte, die sich zwischen Verzweiflung und Aufbruchstimmung eine nachdenkliche Wohlfühlzone geschaffen hat, sich in dieser kantig austobt und – man traut sich zu orakeln – in der richtigen Stimmung (und Alter) konsumiert prägend auswirken könnte.
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