Philip H. Anselmo & The Illegals – Choosing Mental Illness As A Virtue
Phil Anselmo bittet zum nächsten Belastungstest, Mitleid ausgeschlossen: Choosing Mental Illness As A Virtue entfesselt eine unerbittliche Stream of Consciousness -Folter der Extreme und malträtiert ansatzlos dort weiter, wo bereits Walk Through Exits Only vor fünf Jahren selbst den hartgesottensten Metalhead in die Knie zu zwingen wusste.
Der 49 Jährige zelebriert den Titel seiner zweiten Platte mit den Illegals primär als rücksichtsloses künstlerisches Credo, doch natürlich kann – und muss? – man das Zweitwerk der New Orleans-Irren auch als Statement zu Anselmos unverzeihlichen rassistischen Ausbrüchen beim Dimebash 2016 deuten. Dass der umtriebige Frontmann dies jedoch so oder so als ideale Kampfposition für neue Konfrontationen nutzt – irgendwo klassisch.
„I swear if I could merely shake it off, I would” brüllt die sich selbst beschädigende Legende in Choosing Mental Illness, irgendwo im Inferno zwischen Scour aus der Weirdo-Perspektive und einem Minenfeld aus grotesk entstellten Riffmyraden, die sich zu Down verhalten, wie eine Heuschreckenepidemie zu einer Planierraupeninvasion, und presst in aller manischer Inbrunst ein genüssliches „But I embrace it!“ hintennach. Ein brachiales Statement, tatsächlich aber auch einer der wenigen lichten Momente in einem abartigen Rausch, der eine unberechenbare Achterbahnkarambolage aus höllischen Blastbeats und vetrackten Rhythmuswechseln, ständig die Ausrichtung wechselnden Gitarrenattacken auf der Überholspur und einem bellenden, keifenden, growlenden, fauchenden, kotzenden, brüllenden Anselmo mit Schaum vorm Mund an den agressiv rasenden Abgrund des Wahnsinns treibt.
Wie bereits auf dem zutiefst polarisierenden Walk Through Exits Only erklären Anselmo und seine technisch virtuos abliefernden Jungs das selbstzerstörerische Chaos zum System, zerstören ihre Songs vorab bis zur Implosion und setzen die Grundbausteine danach als brutales Minenfeld zusammen, das kaum Orientierung zulässt: Klare Strukturen existieren hier ebensowenig wie erinnerungswürdige Riffs, Refrains oder Melodien. Choosing Mental Illness As A Virtue ist eine zutiefst progressive, nihilistische, giftige Fuck You-Geste, die Versatzstücke aus Black und Death ebenso mühelos zersetzt, wie es Elemente aus Hardcore, Sludge und Crust in ein krankes schwarzes Loch zieht, praktisch nur aus Twists besteht.
Von Little Fucking Heroes bürsten Anselmo und Co. ihr Gebräu kompromisslos gegen den Strich und neben die Spur, jedes Instrument scheint permanent am Anschlag zu brettern, zu rotieren, zu prügeln. Symptomatisch deswegen: Wenn der Opener hinten raus bockig greifbar tackert, ist das absurderweise schon einer der spärlichen Momente der Rodeo-Platte, an denen man sich dankbar festzuhalten versucht.
Obwohl dieser Ritt derartige Sicherheiten nicht zulässt, nimmt man eben, was man bekommt. Utopian täuscht episch an, blutet danach aber genussvoll auf Speed aus und klingt wie die von einer Horde Gremlins gesteuerte Abrissbirne mit Nitroeinspritzung, dystopisches Horrorfilmflair inklusive. Invalid Colubrine Frauds schleppt sich dagegen hämmernd in die Zwangsjacke und die Gitarren heulen auf alptraumhafte Weise symphonisch . Delinquent ist entgegen aller Klammern kein straighter Nackenbrecher, weil all die dissonant gegen den Strich gebürstete Noise-Tollwut etwas dagegen hat. Dem textlich strunzdummen Bollerstück Finger Me nimmt man seine deformierte Hooks ausgehungert ab, doch erst wenn sich Soziopath Anselmo und seine Illegals in den letzten zwei Minuten des Closers Mixed Lunatic Results badass-mäßig auf der NOLA-Veranda zurücklehnen, lässt sich das erlebte zumindest ansatzweise verarbeiten.
Letztendlich eskaliert schließlich jeder Song hier vom ersten Moment an unerbittlich und schraubt sich dennoch unmittelbar noch weiter zum hyperventilierenden Fleischwolf, Verschnaufpausen – Fehlanzeige. Choosing Mental Illness As A Virtue ist ein purer Kraftakt und anstrengend zu hören, kein Spaß. Und ja, diese hirnwütig ansatzlos durchgezogene Spannung muss man als Musiker erst einmal zu halten schaffen – und als Hörer ertragen können, ohne abzustumpfen. Doch die Entlohnung ist so martialisch wie erschöpfend. Das Zweitwerk der detailversessenes Musiker ist hinter dem dumpf die Spitzen setzenden Derwisch ein gnadenloses Metal-Massaker, das praktisch referenzlos und zutiefst authentisch dafür erschaffen ist, um (spätestens live) den vollkommenen Kontrollverlust bei allen Parteien zu provozieren.
Der Mehrwert dieser Katharsis fällt dabei jedoch dennoch nicht ganz so hoch aus, wie noch auf dem Debüt. Zwar ist das Songwriting bei genauer Betrachtung mittlerweile noch enger und kompakter zusammengerückt, jedoch findet die Band dabei einerseits nicht die nötigen Ansätze, um Choosing Mental Illness As A Virtue gravierend andere Perspektiven zu verschaffen, als Walk Through Exits Only sie hatte.
Zum anderen drangsaliert Bully Anselmo die Kompositionen diesmal permanent mit blankem Hass und platzt wie ein wilder Stier auf Steroiden in nahezu jede Szene. So beeindruckend die Spannweite der Vocals dabei auch sein mag, asphaltiert Anselmo zu rücksichtslos über die Platte und beweist sich damit nicht gerade als zweck- und songdienlicher Teamplayer. Es wäre schließlich zum Vorteil aller, wenn er den Kompositionen auch einmal etwas mehr Raum zur Entfaltung geben würde, die faszinierend ekstatische instrumentale Arbeit atmen lassen würde – doch sein bestialischen Regiment steht beinahe zu jeder Sekunde, die Zügel liegen stets eng und straff, strangulieren.
Am besten gelingt deswegen auch – ausgerechnet – Individual: Die Illegals nehmen hier eine morastartigen Groove Metal in den Schwitzkasten, lockern das Korsett jedoch und spendieren später sogar noch ein psychotisches Solo, während Anselmo endlich einmal Pause macht und die Band sich merklich hemmungslos ausleben darf, um ihrem Können abseits des Steigbügelhalterdienstes Gehör zu verschaffen. In diesem Leviathan entwickelt Choosing Mental Illness As A Virtue dann auch nicht nur einen intuitiven Flow, sondern schärft auch das Bewusstsein für die Kompositionen an sich. Eine seltene Tugend in diesem 47 minütigen Sturm permanenter Reibungsfläche.
Weswegen man auch beruhigt sein kann: Ist diese besessene Hate it or Love it-Platte zu hart, bist du nicht notwendigerweise zu schwach.
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