Pharmakon – Bestial Burden
In Worte zu fassen, was genau die ekelerregende Anziehungskraft der abgründigen Industrial/Noise-Welt von Margaret Chardiet ausmacht, bleibt auch anhand der zweiten Pharmakon Platte ‚Bestial Burden‚ ein schwieriges Unterfangen. Fest steht , das wohl niemand sonst derzeit der Kunst des absoluten Unwohlseins einen derart ausdrucksstarken Klangkörper aufzwingt.
„I don’t belong here!“ rezitiert Chardiet im abschließenden Titeltrack unter Hallschichten und oszillierend wummernden Synthiewänden, in manischer Psychose krakeelend, von der gemeinsamen Tour mit Michael Gira und seinen Swans geprägt, bis sich wirre Loops selbst in ein schwarzes Loch schleifen und die Nerven blank liegen. Der mit sieben Minuten längste Song der Platte ist dabei auch der vielleicht zugänglichste dieses Zweitwerks, ein intensiver Brocken freilich dennoch, und weit von der schiefen Versöhnlichkeit entfernt, die ‚Bang Bang (My Baby Shot Me Down)‚ von der ‚Todo Muere Vol. 4‚-Compilation vor wenigen Monaten fälschlicherweise in Aussicht stellte.
Das einzige Entgegenkommen, das von ‚Bestial Burden‚ letztendlich in seinen knapp 30 Minuten zu erwarten ist, ist seine relative Kürze: dass der bis zum erbrechen komprimierte Ekel von Chardiet auch so fordernd und quälend genug ist, verkündet bereits das abermals so fabelhafte Artwork. Kippte einem das grandiose 2013er Debüt ‚Abandon‚ die Abscheu noch in den Schoß, werden die selben Zutaten nun in kanibalistischer Sorgfalt neu arrangiert – mit einem belastenden Krankenhausaufenthalt im Rückspiegel gerät ‚Bestial Burden‚ zu einem wütenden Dokument über die verzweifelte Fragilität des menschlichen Körpers und des Daseins an sich.
Nach der schwitzend-schnaufenden, panikartig hyperventilierenden Aufwärmrunde ‚Vacuum‚ drangsaliert ‚Intent Or Instinct‚ deswegen auch mit einer sich selbst geißelnden Kasteiung, als würde ein hirnwütiger Hexenzirkel den bestialisch keifenden Gollum in einer Fabrik aus Eraserhead foltern, aggressive Industrial-Kriegstrommeln stehen blutlüsternd vor den Toren.
‚Body Betrays Itself‚ hämmert dagegen kalt, der Synthesizer kommt aus einer postapokalyptischen Zukunft, um mit schmutzigem Skalpell jeden Freude aus den Herzen zu schneiden und ist eine in seiner monoton laufenden, wellenförmigen Repetition meditative Alptraumerfahrung – wie sich im hoffnungslosen Geschrei gar dezente Melodieahnungen auftun, kommt das irgendwann einer mit Rasierklingen bestückten Trance in der Klappsmühle gleich. Bevor ‚Autoimmune‚ später pulsierende Clubmusik für die Vorhölle- oder zumindest Zahnarztstühle ohne Narkosemöglichkeit – darstellt: Dirty Beaches hätte als musikalischer Leiter von Khanate vielleicht A Serbian Film derart untermalt.
‚Bestial Burden‚ versucht seine Grenzen auf radikalere, frontalere Art auszuloten als sein Vorgänger. Am deutlichsten führt dies ‚Primitive Struggle‚ vor: der sparsame Beat verdichtet sich, der bereits stockdunkle Himmel verfinstert sich immer bedrohlicher – der Rest ist sprichwörtliches kotzen, würgen, ausspucken.
‚Bestial Burden‚ funktioniert weniger unterschwellig, eliminiert subversive Elemente beinahe vollständig und beschwört auch ohne den Überrumpelungseffekt von ‚Abandon‚ die selbe beklemmende, kakophonische – beispiellose! – Pharmakon-Atmosphäre, führt die malträtierende Reise tiefer in beklemmende Seelenruinen und macht die psychische und physische Pein von Chardiet mit Detailverschiebungen auf handfestere Art greifbar.
Warum genau man sich diese tongewordene Belastungsprobe für den Geist antun sollte – möchte! – ist nach sechs Malstromen weiterhin schwer zu ergründen. Die immanente Anziehungskraft der Platte speist sich nicht nur aus dem Exotenbonus der bedingungslosen Andersartigkeit – die minimalistisch komponierten Songs entwickeln eine tiefgründige Sogwirkung und verstörende Anziehungskraft, ‚Bestial Burden‚ entlohnt sogar durchaus mit einer weniger garstigen Abwehrhaltung als noch ‚Abandon‚, zieht direkter zur Abhängigkeit und ist unter seiner grausamen Schale gar nicht unbedingt eine derartige Tortur, wie das auf den Erstkontakt wirken mag. Man muss trotzdem nicht zwangsläufig verstehen, was Chardiet mit ihrer gewachsene Stimme brüllt, worum genau es ihr bei diesem Irrsinn geht: ‚Bestial Burden‚ evoziert eine schonungslose Katharsis in seiner brutalsten Konsequenz. Pharmakon klingt schmutzig und krank; ihre Musik zu hören, hat aber etwas beunruhigend reinigendes an sich.
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