Pearl Jam – Gigaton
Wo die Vorboten in ihrer Spannweite vom vergleichsweise progressiven Experiment bis zum wachsenden Pflichtsieg abwechselnd für Unsicherheit und Vorfreude sorgen konnten, schafft Gigaton im Gesamten nun Klarheit: Überraschungen sind auf dem ersten Pearl Jam-Album seit sieben Jahren erlaubt, stehen aber wenn dann hinter einer vielseitigen Zuverlässigkeit.
Die unverbindlich zum New Wave schielenden Züge der mit Talking Heads sowie Gang of Four-Einflüssen flirtenden (und auch phasenweise einem in Jack Black-Persiflage intonierendem Eddie Vedder) ersten Single des elften Studiowerkes von Pearl Jam dürfen in Dance of the Clairvoyants nun nach als Paradigmenwechsel, sondern als Ausdruck einer neu gefundenen Motivation, eines endlich wieder hungriger komponierenden Auftretens der nicht jünger werdenden Institution Pearl Jam verstanden werden.
Diese Vorzüge, obgleich eben in deutlich puristischerem Ausdruck, geben Gigaton gleich beim starken Einstieg Starthilfe. Wenn der Highlight-Opener Who Ever Said als die Dynamiken stark anziehender Leviathan schön dringlich seine Lautstärke und Gangart zwischen Melodik und Kraft variiert, ab der traditionellen Bridge vor allem Matt Cameron mit engagierten Elan begeistern darf. Und das im Kontext deutlich besser als auf sich alleine gestellt zündende, zackig-eilige Superblood Wolfmoon als mittlerweile gereifter Hit aufzeigt, dass Pearl Jam die Direktheit von Backspacer ohne dessen eindimensionale Simplizität mit verdammt viel Spielfreude übersetzen.
Was freilich schon hier ebenfalls auffällt und bestätigt wird: Pearl Jam haben ihre legendären Meisterwerke (in Alben- und Songformat) endgültig hinter sich und werden mit den voranschreitenden Jahren wirklich nicht mehr zwangsläufig besser. Einige Stellen von Gigaton wirken tatsächlich ein wenig hüftsteif und nicht derart zwingend, wie es in jüngeren, wütenderen Jahren (und eventuell auch mit einem anderen Produzenten als Paul Nicklen) möglich gewesen wäre.
Besagtes Dance of the Clairvoyants verliert sich etwa trotz seines Grooves hinten raus in einem psychedelisch gemeinten Ausklang, der aber eher wie ein nicht zum Punkt findendes Mäandern anmutet. Und das tolle Seven O’Clock ist als entspannte Roadhouse-Nummer, die ohne Hast etwas subversiv-episches im Heartland-Rock von Springsteen findet, an sich eine durchaus einnehmende Zeitlosigkeit. Doch immer wenn die Synthie-Anstriche ins Geschehen treten agiert die Band einfach zu gemütlich und zahm, weshalb gerade hier ein paar Kürzungen Wunder wirken hätten können.
Ohnedies muß sich das gefühlte Comeback Gigaton in Summe vor allem einen elementaren Vorwurf gefallen lassen: Mit 57 Minuten ist die Platte einfach zu lang geraten, und kann auch deswegen nicht über die volle Spielzeit fesseln, weil nach dem euphorisierenden Einstieg das energische Momentum über einige leere Meter verpufft.
Dafür sorgt vor allem eine Passage kurz vor dem Finale. Comes Then Goes ist dort als obligatorisch geschrammelte Vedder-Solonummer keineswegs essentiell, weil der Ausnahmesänger ähnliches schon unzählige Male weniger beliebig hinbekommen hat. Zumal die Nummer zwar ästhetisch in den (nur auf den ersten Blick zerfahrenen) Albumfluß passen würde, aber der Spannungsbogen gerade auch mit ermüdenden 6 Minuten Spielzeit einfach komplett ausgebremst wird.
Und Retrograde ist danach ein zurückgenommer Balladen-Rocker, der sich wie der pflichtbewusste, gemütliche Appendix von Sirens anfühlt – ohne dabei aber die Catchyness der Lightning Bolt-Nummer zu erzeugen.
Diese Schönheitsfehler ändern allerdings nichts daran, dass Gigaton – sofern man der Platte die Chance gibt, sich als Grower zu beweisen – auch ohne jeden Klassiker-Anspruch nichtsdestotrotz das überzeugendste Album von Pearl Jam seit mindestens 2006 geworden ist. Immerhin machen die Veteranen wenig falsch – und eben nahezu alles besser als zuletzt – indem der Spagat zwischen einer leicht auszurechnenden Sicherheit und erfrischenden Impulsen gefunden wird, sich die Band über einen kurzweiligen Abwechslungsreichtum im Auftreten auf ihre routiniert-solide Klasse verlassen kann, die viele Fanpleaser-Momente bietet.
Quick Escape grummelt und kurbelt sich mit malmendem Bass beispielsweise zu einem soulig-beschwörenden Aufbegehren mit geballten Fäusten zum Himmel. Alright taucht aus einem ätherisch klimpernden Part auf, vorsichtig und zart, nimmt die Zügel dann aber mehr für eine Halbballade in die Hand, die mit eindringlicher Geste aufblüht und in seiner elegischen Atmosphäre trotzdem niemals gänzlich greifbar im Erbschatten von Thin Air lebt. Schön!
Die Revue-Bläser-Arrangements von Never Destination werden zwar den Killers gefallen, doch hat der souverän-zügiger Blues-Rocker viel Verve neben seiner Professions-Romantik. Take the Long Way hätte als kantiger Rocker so ähnlich sogar im B-Seiten-Programm von Binaural passieren können – wären da nicht die soulig-weiblichen Backinggesänge als Zugeständnisse an eine friedliche Gediegenheit.
Und wo das vorsichtig gehauchte Buckle Up als verspielt perlende, kleine Liebenswürdigkeit auf einer Platte zum Klimawandel und Trump-Präsidentschaft zur Einkehr ruft, ist River Cross ein würdiger, gemeinschaftlich getragener Schlusspunkt, den man so gerne als kleiner Teil eines vielkehligen Ten Club-Chors auf der hoffentlich stattfindenden, anstehenden Welttournee der Band mittragen können wird. Denn auch wenn Gigaton wohl nicht die Platte ist, die man sich insgeheim erhofft hatte, ist sie doch eine, an der man ohne Euphorie seine gepflegte Freude haben kann.
1 Trackback