Pearl Jam – Dark Matter
Pearl Jam lassen sich für ihr zwölftens Studioalbum von Katalysator Andrew Watt in den Hintern treten – wofür sie zwar dessen typisch grausame Produktion in Kauf nehmen müssen, durch Dark Matter allerdings auch eine veritable Renaissance in ihrem Werken erfahren.
Bei kaum einem zeitaktuellen Produzenten klafft die Schere aus hervorragendem Ruf und tatsächlicher Sound-Arbeit derart weit auseinander, wie bei eben jenem Andrew Watt, dessen miese Inszenierung nach etwaigen Chart-Anbiederungen mit Post Malone, Ed Sheeran oder Justin Bieber auch so mancher Platte kredibilerer Künstler (von Earthling über Every Loser und Ordinary Man bis hin zu Hackney Diamonds) extrem geschadet hat – und gleichzeitig dennoch den Status Quo des Zuständigen überhöht hat. Da schwärmen die Künstler von einer angeblich rohen Ungeschliffenheit, die der 33 jährige freilegt – und aus den Boxen hört man in der Regel eine auf Dynamik verzichtende Sterilisation der aufgefahrenen Impulsivität in glatter Kompression.
Im Fall von Dark Matter bedeutet dies spezifischer, dass die 48 Minuten des Gigaton-Nachfolgers klanglich (wie befürchtet) kaum Raum bekommen, dass sich ohne wirkliche Tiefenschattierungen alles auf einem Level abspielt und der Bass nahezu unhörbar im Hintergrund steht, während die Drums fern jeglicher aufregenden Spielwut wie dünner, unorganischer Plastik eingefangen wurden – derweil die Band selbst eben über die dreiwöchigen Aufnahmen in Rick Rubins Shangri-La Studios von einer der besten Erfahrungen ihrer gesamten Karriere schwärmt.
Was, abgesehen von dem wirklich miesen Sound von Dark Matter (und sicher auch angesichts eines ziemlich mediokren Outputs, den die Seattle-Institution seit gut zwei Jahrezehnten relativ konstant abliefert und der die eigene Fanbrille dann hinsichtlich der Erwartungshaltung an Dark Matter durchaus verrückt hat) überraschenderweise dennoch nachvollziehbar erscheint – und dabei, um es gleich vorwegzunehmen, noch nicht einmal einen Phyrhussieg für die Band bedeutet.
Denn mit Watt als Co-Songwriter agieren Pearl Jam wirklich (endlich wieder) erstaunlich motiviert, eifrig und voller Tatendrang, haben mit einem neu entfachten Feuer unter der Haube schlichtweg so starkes Material geschrieben wie lange (und zumindest seit dem Avocado-Album) nicht, und lassen so viele tolle Szenen in dem flächendeckenden Hochkaräter aufzeigen oder nachhaltig als Ohrwürmer hängen, dass es eine (über den Erwartungen und den klangtechnisch Mankos liegende) wahre Freude ist.
Gerade der Einstieg in das Album kann insofern als Statement am Gaspedal verstanden werden. Scared of Fear und das dringliche, fast mit fetzigem Drive im Refrain aufwartende React, Respond sind kompakt, knackig, flott, catchy und wirklich schmissig, lassen die Soli gniedelnd wirbeln und befreien die Band von der hüftsteifen Bemühtheit der vergangenen Jahre. Damit ist der Kurs der Platte gesetzt, auch wenn im späteren Verlauf eigentlich nur das straighte (genau genommen nicht über den soliden Filler hinauskommende, das grundlegend hohe Niveau jedoch tatsächlich keineswegs nach unten ziehende) Running auf eine derart verausgabende Dynamik setzt.
Ein entspanntes Waiting for Stevie (Wonder, übrigens) stellt etwa als unaufgeregt-toller Standard die Gitarren (vor einem ambienten Abspann) auf das Podest, während das angenehm poppige Something Special luftig schunkelnd Klinghoffer-Harmonien aus dem Chili Peppers-Fundus mit einer nonchalanten Leichtigkeit aus der keineswegs mehr steifen Hüfte schüttelt oder das gelungene Got to Give nach oben strebend ohne zu Glänzen mit dem Schwung der ersten Hälfte als Rückenwind eine souveräne Phase des Albums überzeugen lässt.
Selbst das Titelstück als wenig euphorisierende Vorabsingle (die für sich alleine genommen wie eine skandierenden Pseudo-Jack White-Fingerübung mit Handbremse statt ruppiger Wucht agiert) gewinnt im Verbund mit den restlichen Songs in seiner stoische Repetition groovend. Der Kontext trägt nämlich ein qualitativ ausgeglichenes Gesamtwerk, das zudem nette Impulse wie die mit The Cure-Synthies bestäubte, hymnische Sehnsucht in Won’t Tell spendiert bekommen hat, bevor Upper Hand erst lange atmosphärisch durchatmet und dann einen umso grandioser flehender Chorus hofiert, dessen Verve hinten raus alle Zurückhaltung abstreift und beinahe in den ausgelassenen Jam übergeht.
Wenn der radiotaugliche Konsens Wreckage zurückgelehnt hoffnungsvoll schwelgt, sich luftig in seine weihevollen Hintergründe lehnt und sich letztendlich aus dem Heartland Rock mit einem Gespür für gut akzentuierte Größe ausbreitet, kann sich die Band dann auch durchaus ein bisschen sentimentales Geklimper leisten: dass sich alle Mitglieder von Pearl Jam auf Tom Petty und Bruce Springsteen einigen können weiß man, die Feststellung, dass sie dabei selbst aber kein Nostalgie-Act sein wollen, tut allerdings verdammt gut.
Obgleich der latent soulig wärmende, kontemplativ-heimelige Schlusspunkt Setting Sun die Angelegenheit dann ansatzweise im Breitwand-Format angelegt ziemlich risikofrei nach Hause spielt und wie das gesamte Album auf jedwede überwältigende Gänsehaut-Momente zugunsten einer zurückeroberten Souveränität verzichtet (die mit stärkeren direkten Vorgängeralben zugegeben sicher weniger begeistern würde), ist es einfach ansteckend unterhaltsam, wieviel Bock die Band mit einem tollen Katalysator auf kreativer Ebene und einem suboptimale Egebnisse liefernden Produzenten so wieder am puren Pearl Jam-Sein hat – und das macht (angesichts des einfach frustrierenden, die Wertung herabsetzenden Sounds der Platte und trotz des Fiaskos der letzten Europa-Tour) einfach verdammt viel Lust darauf, dieses Material live erleben zu können. Dark Matter darf bis dahin verdient auf Heavy Rotation laufen.
Kommentieren