Paysage d’Hiver – Geister
Erst lässt sich Wintherr knapp zwei Dekaden Zeit, um mit Im Wald das offizielle Debütalbum von Paysage d’Hiver vorzulegen, nun geht es Schlag auf Schlag: Geister ist nur knapp zehn Monate später die bisher wohl zugänglichste Veröffentlichung des Schweizers.
Womöglich sind die nun in vielerlei Hinsicht geradezu sportlich nacheilenden 70 Minuten des nominellen Zweitwerks eine direkte Reaktion auf die Wirkungsweise des ebenso auslaugenden und erschöpfenden wie fordernden und erfüllenden 2020er-Monolithen, sicher aber denkt der Dark Space-Mann aus Schwarzenburg in Bern sein Projekt einmal mehr mit gravierenden Facettenverschiebungen weiter und gewichtet die Ausrichtung von Paysage d’Hiver hinter den markanten Trademarks neu und öffnet auch inhaltlich neue multidimensionale Perspektiven: „Each release constitutes a chapter of a continuing story, which PAYSAGE D’HIVER narrate about a protagonist called „Der Wanderer“, who roams an otherworld realm. In „Geister“, the Wanderer has a lucid dream in which he meets beings from another dimension, which is in fact our world. To him, we terrestrials appear as the ghosts. Our only means of contacting the Wanderer in the world of PAYSAGE D’HIVER is through the rites of winter, such as the Tschäggättä, which is a traditional mask cult from the Lötschental, a valley in the canton of Valais in Switzerland. Such a hereditary mask is depicted on the album cover and the lyrics are set in the local dialect.“
Alleine ästhetisch und inszenatorisch bleibt Wintherr seinem Sound für diese Reise zwar weitestgehend treu, indem er einmal mehr dreckig und verrauscht am LoFi geifernden Black Metal der Mayhem-Schule beschwört – die Drums rasen treibend und die Gitarren sägen, das harsch im Noise badende Geschrei fletscht psychotisch die Zähne. Aber mehr noch als bereits auf Im Wald wirken die Schraffuren der Produktion dabei akzentuierter, die Instrumente differenzierter wahrnehmbar, ohne deswegen von einer Politur oder Glättung sprechen zu wollen.
Das Songwriting verstärkt diese Eigenschaften durch einen bisher unbekannten Fokus, der die ambienten Parts beinahe vollständig eliminiert, die durch den Schnee wandernden Übergänge und Zwischenstücke auf ein absolutes Minimum reduziert. Beeindruckend ist dabei, dass Wintherr selbst wenige Sekunden genügen, um mit stimmungsvollen Segmenten die Atmosphäre der Platte absolut fesselnd zu vertiefen, bevor er im finalen, astral versöhnend durch percussivc-nebulöse Träume wandernde (und mit zehn Minuten Spielzeit klar am längsten ausgefallene) Geischtr seinen Status als einer der kompetentesten Ambientklangmaler in der Metalszene unterstreicht.
Bis zu diesem stilistisch aus dem Rahmen fallenden Epilog sind jedoch alle Songs der Platte direkter und kompakter geraten, rifforientierter und griffiger, balancieren den dringlichen Rausch aber gleichzeitig auch variabler aus, vermessen eine auslagenwechselndere Dynamik innerhalb der Kompositionen und greifen doch auf konventionellere Strukturen zurück als bisher: das Material wirkt unkaschiert aggressiver, knackiger, schneller verdauend auf den Punkt findend und mit einem regelrechten Black’n’Roll-Drive ausgestattet – und deswegen entlang einer gratwandernden Ambivalenz auch einfacher gestrickt.
Bluet animiert etwa als Paradebeispiel zügig unterhaltend, wirkt wie eine (nun ja…) Entertainment-Version, die der Gravitation von Im Wald einteilt und damit einen erfrischend Dampf-ablassenden Gang einlegt. Dass die (auch im späteren Verlauf als schwächstes Element der Platte immer wieder ermüdend aufgefahrenen) stampfenden Uff-Zack-Drums hier nicht wirklich einfallsreich konzipiert sind (was generell für die im Midtempo angesiedelten Phasen der Platte drohend gilt), aber als Ventil ökonomisch arbeiten, ist im Grunde zudem ohnedies nur eine Startrampe: Sobald die Synthies subtil texturierend geistern und die Drums tackern, erheben sich die Melodien mit einer sakralen Größe.
Wenn Im Wald also die Odyssee in den Kaninchenbau hinein war, ist Geister der Moment, wenn man aus diesem gewissermaßen in einem Schwall aus Frost, Finsternis und Schnee wieder wütend herausgespien wird, geradezu rasant und atemlos.
Dass sich dabei über die gesamte Spielzeit einige Momente der zu gleichförmigen Simplizität ergeben, eine strengere Selektion dem Charakter der Platte zuträglich gewesen wäre, lässt in der nach vorne gehenden Sogwirkung vielleicht nicht die vielschichtige Intensität der besten Paysage d’Hiver-Werke entstehen. Doch wenn Songs wie ein Wärza dafür ihre Kaskaden mit mit einer epochalen Tragweite mahlen, bevor etwa Anders manisch pressend in der rasenden Sucht der Hässlichkeit tackert und Gruusig erst mit melodischen Synth-Gravuren hypnotisiert, um sich als deliranter Nackenbrecher erkennen zu geben, dann negiert das in der furiosen zweiten Hälfte der Platte bis zum hervorragenden Schuurig vollkommen ausfallfrei mit einem simplen Kniff jedwede eindimensionale Oberflächlichkeit: Geister macht einfach erstaunlich viel Bock, wirkt wie der loslassende Befreiungsschlag nach dem Kraftakt Im Wald, wird wohl eine der meistgehörten Veröffentlichungen in der Diskografie des Schweizers werden.
Dass da manch einer von einem Ausverkauf spricht, ist insofern in jederlei Hinsicht lächerlich; dass die Ausrichtung polarisiert hingegen zumindest absolut nachvollziehbar. Wintherr ringt sich und seiner Spielwiese hier jedenfalls einmal mehr ein neues Extrem ab – und dass dieses nicht die Lieblingsfacette im so kohärenten wie mutationsfähigen Sound von Paysage d’Hiver sein muss, macht diese Band im übergeordneten Kontext auch nach all den Jahr(zehnt)en eigentlich nur noch faszinierender.
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