Paul Weller – True Meanings
Modfather Paul Weller beschenkt sich selbst und seine Anhänger nachträglich mit dem vielleicht besten Präsent zum 60er: True Meanings schwebt in der ruhigen Beobachterposition über dem Alltag und zeigt mit ein bisschen Weisheit ganz unverhohlen die Ambition, ein traditionsbewusster Klassiker zu sein.
Daran lässt alleine die erhaben mit introspektiven Überlegungen und melancholischer Unaufgeregtheit sinnierende Grundstimmung keinen Zweifel, die selbst in der allgegenwärtigen Vergänglichkeit einen Funken Optimismus findet: True Meanings ist zumeist getragener, schwelgender und balladesker als sein Vorgänger A Kind Revolution, setzt generell auf ein homogeneres Gesamtgefüge und hofiert in der Hinwendung von ruhigen, akustischen Singer Songwriter-Konturen mit Folk-Tendezen zum introvertierten Chamber Pop eine romantisch-orchestrale Opulenz von berührender Grandezza.
Stilistisch also eventuell eine Ahnung davon, wie Wild Wood heute auf Albumlänge oder Black is the Colour mit ergiebiger Streicherbegleitung klingen könnte.
Zwar liegen genau hier auch die Achillessehnen der Platte begraben. Wo beispielsweise das mit geschlossenen Augen in die sanfte Gelassenheit treibende Aspects („I thought this is the best song I’ve ever written and perhaps I could just stop now“ – das darf man anders sehen!) oder das in unschuldiger Leichtigkeit wie ein altmodischer Liebesbrief schunkelnd-flanierende Gravity im Speziellen um Nuancen als zu elegische Harmlosigkeiten dösen, droht True Meanings im Allgemeinen gerade im zu gefälligen Mittelteil in einer gewissen Gleichförmigkeit zu plätschern und unter der zum Kitsch tendieren Schwülstigkeit der Arrangements zu vergehen.
Tatsächlich wäre ein klein wenig Abwechslungsreichtum im konsistenten Songwriting aufgrund der Inszenierung gut gewesen, hätte der eine oder andere Ausbruch der Dynamik in die Hände gespielt und im Zentrum ein wenig straffende Selektion True Meanings effektiver auf den Punkt gebracht. Andererseits strickt sich der kontemplative bezaubernde Anachronismus gerade durch diese Konsequenz noch dichter, streift ohne Verpflichtungen durch die Gegend, lehnt sich in der Hektik des Alltags in das 55 minütige Äquivalent eines sonnigen Sonntagmorgens.
True Meanings stellt seine Highlights in dieser Position deswegen auch nicht derart demonstrativ in die Auslage wie die 2017er Glanztat A Kind Revolution es tat, hinterlässt aber über ein angenehm zu konsumierendes Gefühl der besinnlichen Unaufgeregtheit praktisch ausnahmslos Ohrwürmer und wundervolle Kleinode als Seelenbalsam.
The Soul Searchers tänzelt jazzig-beschwingt im Shuffle flimmernd, bleibt mit einer unvergleichlichen Lässigkeit zurückgenommen, macht als zurückhaltender Traum mit dem kongenialen Villagers-Kopf Conor O’Brien in den Hammond-schwangeren Soul auf, während das im Vogelgezwitscher aufgehende Mayfly ein schmeichelweich formvollendeter Blues ist, dessen sorgsam tröpfelnden Pianoklänge für das immense Gefühl stehen, mit denen jede einzelne Note von True Meanings gespielt wird: Routinierte Veteranen wie Rod Argent (The Zombies), die Folk- Koryphäen Martin Carthy und Danny Thompson oder sogar Noel Gallagher an den Keyboards („When I asked him to come down, he said: ‘You do realise that I can’t play keyboards?’ and I said, ‘You’re just the person we’re looking for. And he was.„) zeichnen die Backingband aus.
Sie begleiten Weller im zärtlich gezupften Glide oder definieren Old Castles mit fluffigem Lounge-Rhythmus und lassen ausnahmsweise sogar eine elektrische Gitarre gniedeln, während What Would He Say? seine Quasi-Unplugged-Gemütlichkeit sporadisch von lieblichen Bläsern begleiten lässt. In Books setzen eine dezent die Psychedelik von George Harrison borgende Sitar sowie Gastsängerin Lucy Rose Akzente, das majestätische Doppel aus May Love Travel With You sowie Movin On hat dann die tröstende Schönheit entschlackter Elbow-Nummern und dem neckischen Come Along steckt trotz rührseliger Herzen in den Augen der Schalk im Nacken.
Erland and the Carnivale-Anführer Erland Cooper hat dann die Lyrics zur herzerwärmenden Ode an die Sterblichkeit Bowie („Do you know there’s no journey?/ We’re arriving and departing all the time/ You were just mortal like me„), Wishing Well (zwischen Neil Young und Nick Drake schwelgend bedient die Nummer seine bis zum Vibraphon reichenden Arrangements zu konventionell, um die Grundidee über die volle Distanz zu tragen) sowie dem brillanten Closer White Horses beigesteuert, der von Weller und seiner Band so geduldig immer epischer ausgebaut wird und die Klammer aus Schluß- und Anfangsphase der Platte überragend strahlen lässt.
Gerade hier transportiert True Meanings eine Zeitlosigkeit, die mit sich selbst im Reinen und vielleicht sogar ein bisschen weise ist – anhand derer Weller seinen jüngsten Lauf gerade im so natürlich wirkenden Kontext jedenfalls trotz einiger Makel bisweilen triumphal verlängert.
Ob es das vierzehnte Studioalbum der lebende Legende unter diesen Vorzeichen tatsächlich zu einem weiteren Klassiker im Repertoire bringen wird, kann wohl dennoch nur die Zeit und ein wenig Abstand zeigen. Zumindest der bestmögliche Einstieg in sein potentielles Alterswerk ist dem nimmermüden Weller allerdings eindrucksvoll gelungen.
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