Panopticon – The Rime Of Memory
Diese Krönung hat sich ein toller Atmospheric Black Metal-Jahrgang verdient: Austin Lunn unterstreicht die Vormachtstellung von Panopticon zum Ausklang von 2023 mit The Rime of Memory in beeindruckend massiver Imposanz.
„This album has 2 meanings. You can see this album solely as a rant about the climate crisis and wilderness advocacy. Or you can see this album as a coming to terms with the aging process…Or, as I do, you can see it allergoricaly about both.“ erklärt Lunn in dem sein zehntes Studioalbum begleitenden Manifest und fügt später (wohl auch nicht ohne einer gewissen Sentimentalität) hinzu: „Each day is sacred as we slowly march towards the end. Don’t forget to enjoy the beauty you see, smell, taste and feel along the way. It won’t last forever…so enjoy it, cherish it… protect it.“
Eine entsprechend von Glücksgefühlen und Verzweiflung angetriebene Tragik, die das Talent von Lunn, klangliche Landschaften von beeindruckend lebendiger Vitalität zu erschaffen und sie mit der Balance aus packendem Momentum und nachhaltiger Tiefenwirkung zu kreieren, mit cinematographischer Bestimmtheit, einer produktionstechnisch mitreißend klaren Dynamik und dem entsprechenden Bewusstsein für die eigene Größe praktisch unmittelbar einfängt: der Opener I erindringens høstlige dysterhet setzt mit keltischer Folklore und stoischem Piano müde durch den Schnee schreitend eine fesselnde Stimmung, die die bedächtige Atmosphäre einer kargen Winter-Landschaft in imaginativer Dichte bildlich greifbar macht, und installiert damit ein Panorama, um das Gefühl eines epischen, majestätischen und überlebensgroßen Dramas auszubreiten.
Direkt übernehmend (denn The Rime of Memory ist vor allem mehr als die Summe seiner Teile, gerade als Ganzes triumphal) zupft der instrumentale erste Part von Winter’s Ghost – Hiraeth – in den schneebedeckten Appalachen als malerisches Melodram, schwelgt nach fünf Minuten im Chor des mystischen Naturalismus, die Grandezza mit einem archaischen, altruistischen Pragmatismus konfrontierend, bis Panopticon über Part II: Hjemløs zu seinen Wurzeln und Kernkompetenzen vordringt, einen kraftvollen Strom aus tackernder Drums und sägenden Tremolo entfesselt, eine so klar zum Hymnik gerichtete Wut in sauberer, kraftvoller Inszenierung, phasenweise gar im doomigen Sturm mit sakralen Streichern reißend.
Das hat einen unerbittlichen Zug zur Vehemenz, eine solche Schönheit im Klangraum, dass Panopticon nicht nur in den Extremen – also dem modernen Black Metal und der Americana-Folklore – um das Quäntchen kompletter auftreten als bisher, sondern diese Pole auch in der dazwischen homogenisierenden Perspektive organischer zusammenbringen, den ganzheitlichen Aspekt des Wesens beschwören. Im Angesicht des zugrunde liegenden Konzepts bäumt sich jeder Aspekt auf, nichts resigniert.
Das Songwriting und die (auch von zahlreichen Freunden gestützte) Performance ist jedenfalls beeindruckend.
Im kongenialen Cedar Skeletons blasten die (frontalen, jedoch geschickt akzentuierten) Drums die Vocals in den Hintergrund, die Gitarrenwände beginnen irgendwann aus dem Rausch heraus epochal zu solieren – Intensität, Druck und Dringlichkeit lassen einfach nicht nach: harsch und muskulös keift und bellt der Sog konzentriert, unbeirrt zielgerichtet und effektiv. Man spürt zu jeder Sekunde: Lunn weiß, wo er mit diesem Album hinwill – und wie er dies als Machtdemonstration propagiert, die Einflüsse von Agalloch über Lankum bis hin zum Godspeed-Epigonentum authentisch assimiliert.
Die Einkehr über den kontemplativen Postrock ist insofern kein Umweg, sondern ein Wachstumsschritt für den noch einmal einsetzenden wilden Ritt (dessen Streicher-Arrangements so simpel wie hymnisch erhebend und grandios gelungen sind) in dem sakralen Fiebertraum, ohne Limit nach oben.
Das abruptes Ende geht ohne Bruch zu An Autumn Storm in Ordnung, wo sphärische Texturen über dem Mahlstrom einen somnambul bimmelnden Berserker (mit fantastischer Schlagzeug-Arbeit) wecken.
Die Kathedrale Enduring the Snow Drought repetiert ihr catchy Riff für sich genommen vielleicht eine Spur zu freigiebig, doch in den Verlauf gebettet zündet diese Form der direkten Griffigkeit mit wirklich euphorisierender Wirkung und sorgt zudem für ein in dieser triumphalen Prägnanz direkt in die Erinnerung eingefrästes Motiv, das heroisch aufzeigt. Der flimmernde Postrock des Abgangs wird durch den Beginn von The Blue Against the White – gewissermaßen eine klar gesungene Shoegaze-Ballade, ohne einen Bruch in der Ästhetik zu provozieren – sogar noch definitiver verlagert aufgefächert, bevor Lunn jenen massiven, sauberen amerikanischen Atmospheric Black Metal entfesselt und auskostet, für den Panopticon längst als qualitätskonstantes Synonym steht: „Either by ice or by rot/ This life is all we have got/ We have nothing else to lose, as we make a home of our tomb/ For all love we deny, for all the poison we imbibe/ For all memories lost to time/ Another part of us dies/ …./ Blind eyes still perceive the beauty of the dawn/ Beyond all sunsets and into the dark of loss“.
Tatsächlich rundet er das über 76 Minuten ohne wirklich gravierenden Ballast daherkommende The Rime of Memory damit sogar poetischer zum Monolithen ab, übertrifft die bisherigen Diskografie-Höhepunkte Kentucky (2012), Roads to the North (2014) und sogar …And Again Into the Light (2021) – und verdient sich durch die Konsistenz des Materials diesmal auch die Aufrundung zwischen den Wertungspunkten: Aus dem Bewusstsein der Vergänglichkeit heraus wird hier schließlich ein (wenngleich nicht unbedingt ikonisches, aber nahezu makelloses) Momentum befeuert, das mutmaßlich auch über die augenblickliche Begeisterung hinausgehend Bestand haben wird.
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