Panopticon – Roads to the North
Seit ‚Kentucky‚ vor weiß man: Austin Lunn ist ein Folkmusiker im Körper eines Black Metal-Derwischs und ein Anarchist und fähiger Träumer, wenn es darum geht, sein Songwriting zwischen den Stühlen zu positionieren. Zwei Jahre später denkt ‚Roads to the North‚ die scheuklappenbefreiten Ansätze seines Vorgängers mit noch weiterem Blickwinkel und gleichzeitig geschärfterem Fokus imposant weiter.
Bandalleinunterhalter Austin Lunn benötigt keine 10 Minuten, um unmissverständlich klar zu machen, dass er zu jener Generation an Black Metallern gehört, die sich weigern nach Genre-Spielregeln zu spielen – oder selbst Trends wie der aktuellen Blackgaze Welle rund um Deafheaven und Co. hinterherzurennen, indem er mehr denn je versucht sein ganz eigenes Süppchen aufzukochen.
‚The Echoes of a Disharmonic Evensong‚ stapft als Field Recording durch eine Schneelandschaft, die Wölfe heulen, die Schritte werden schneller, beginnen zu laufen, der Black Metal bricht irgendwann los: wie die Leadmelodie sich verquer durch den Song spannt hat dann etwas irritierend verspieltes. Bald explodiert der Song aber ohnedies als irgendwo in der Nähe von Metalcore-Anleihen, irgendwann verschmelzen Blastbeats, Growls und Achterbahn-Gitarrenfiguren zu einem berauschenden Teufelstanz, der sich selbst in einem Ambient-Folkpart beruhigt. Eine Verschnaufpause und Anlaufphase für den finalen, atmosphärischen Black Metal-Ausritt inklusive einem gespannten Bogen im Songwriting, der gar von einem Refrain sprechen lassen will, und einem ausufernden Solo, das so true oldschool ist, wie nur irgendwie erdenklich.
‚Roads to the North‚ selbst ist hingegen in weiterer Folge so Black Metal – mittlerweile nur noch der Ausgangspunkt und Kleister, der das wilde Stilamalgam zu jedem Zeitpunkt schlüssig zusammenhält – untrue wie möglich, ein Herzattacken-Risiko-Maximierer der Extraklasse für Genre-Puristen und Traditionalisten. Alleine die Transformation, die das dreiteilige ‚The Long Road‚ durchmacht: ‚I. One Last Fire‚ beginnt mit Banjo und Fidel die verhaltene Bluegrass-Partystimmung in einer Goldgräberstadt am Sonntag Vormittag einzufangen und ist in seiner Unbeschwertheit regelrecht ulkig; ‚II. Capricious Miles‚ öffnet dann dem Black Metal die Schleusen, artikuliert ihn aber als Progrocker entlang von Pink Floyd-Synthies, bevor ‚III. The Sigh of Summer‚ auftaut, indem es an Postrockmotiven ala Alcest entlangschwelgt. ‚Norwegian Nights‚ findet am Lagerfeuer in den verschneiten Wäldern Kentuckys statt, ist eine Akustikballade zwischen Country und Blues, vorgetragen mit rauchigem Klargesang. ‚Where Mountains Pierce the Sky‚ baut sich dagegen langsam auf, webt unter die strukturellen Grundrisse einen Midtempo Part der alten Metallica-Schule (Lunn hat sein Melodieverständnis und die Auffassung wie Gitarrenexkursionen zu klingen haben generell vom Metal der 80er gelernt!) bettet seine 13 Minuten Spielzeit in eine Klammer aus Flöten, Akustikgitarren und melancholischen Violinen – mehr als nur freigeistige Ausschmückungen.
Denn die Zügellosigkeit in Sachen weitschweifender Unberechenbarkeit, sie verkommt auf ‚Roads to the North‚ nie zum reinen, plakativen Selbstzweck, sondern wirkt an jedem stilistischen Schwenk absolut homogen kreiert und ohne erkennbare Schweißnähte lückenlos verarbeitet, in einer beispiellosen Atmosphäre und Stimmung badend: Lunn lässt seine Streifzüge stets auf einem beachtlich starken Songwriting wachsen, veranstaltet nicht nur wenn das nach vorne gehende Brett ‚In Silence‘ das lyrische Eisenbahnmotiv aus ‚NorwegianNights‚ kurzerhand in rhythmischer Form aufgreift einen regelrechten Staffellauf der Ideen.
Am selbstverständlichsten verschmilzt das Spektrum der stilistisch weitreichenden Einflüsse erst im abschließenden ‚Chase the Grain‚ und hat dabei nicht nur auch noch genug (Spiel)Raum, um mit ausladender, orchestraler Opulenz zu liebäugeln, sondern darf wohl auch als symptomatischer Ausblick dafür gesehen werden, dass Lunn immer besser im mutigen, barrierefreien Hantieren zwischen den großen Polen Folk und Black Metal wird. Dass ‚Roads to the North‚ bereits den Zenit seiner beachtlichen Entwicklung darstellt scheint nach kompakten 72 Minuten von rauschhafter Sogwirkung jedenfalls kaum denkbar. Als vorerst geltende Momentaufnahme ist dem Black Metal im Jahr 2014 einstweilen zumindest kaum etwas passiert, das eingerostete Genreraster besser (weil spannender, unkonventioneller, eigenständiger – und vielleicht sogar visionärer) aufgebrochen hat.
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