Paint Thinner – The Sea of Pulp
Psychedelisch angehauchter Post Punk aus Detroit, der asketisch auftritt, aber an sich durchaus eine beachtliche Spannweite vermisst: Paint Thinner fallen mit ihrem Debüt The Sea of Pulp aus dem Rahmen und der Zeit.
Drei Jahre sind seit dem ersten Demo-Lebenszeichen des Quartetts vergangen. Zeit, in der die aus den Ruinen von Szenebands wie Terrible Twos, Fontana, Frustrations oder Human Eye entstandenen Paint Thinner ihr aufgezeigtes Potential weiter verinnerlicht haben – nachzuhören am besten anhand der vier bereits damals eingespielten, und nun neu aufgenommenen, weitestgehend auch noch einmal gewachsenen Songs.
Generell ist das aber so eine Sache mit der zeitlichen Verortung, wenn es gleich im Opener heißt: “I can’t wait for this day to end, so I can be with my dreams again, the world outside today seems obscene, cos I’m 28 and it’s 2015“ – und A Day in My Head dazu ausfransend stackst, die Vintage Orgel halluzinogen schimmert, die Schrauben mal enger gezogen gezogen werden und Paint Thinner dann wieder treiben, als würden Parquet Courts mit frühen Syd Barrett–Pink Floyd einen Spießrutenlauf veranstalten, der Royal Trux und MC5 in einen Strudel mit The Jesus Lizard und den Stooges schickt.
Irgendwann fällt der Song in einen hypnotischen Trance-Groove mit fernöstlicher Patina in den Gitarren zu einem konturlosen Jam, der den nonchalanten Ausdruckstanz zwischen Wire und Sonic Youth wagt. Kein forcierter Spagat, sondern ein natürliches Verlangen.
Mag die Produktion von The Sea of Pulp sich schließlich auch mit einem Minimum an Schönheit begnügen, nackt und direkt und archaisch aus dem Proberaum kommen, wo der Bass und die Drums knackig, trocken und knochig sind, während die Gitarre angriffslustig darüber wandert und immer wieder mit der Psychose flirtet – Paint Thinner wollen als Songwriter (nicht immer, aber immer wieder) mehr, als nur den einfachsten, ausgemergelten Weg zu gehen.
The Sea of Pulp drängt seine Post Punk deswegen aus dem verschwitzen Keller heraus immer wieder in neue Situationen, fordert Perspektiven ein. Das kraftvoll zum Punk polternde Fell Flat gibt sich in seiner monotonen Zielstrebigkeit schmissiger, asketisch und simpel, attackiert hungrig den Fuzz und ist wohl sowas wie der Hit der Platte. Distortion drosselt dagegen das Tempo und schleppt seinen bauchig-stampfenden Rhythmus und die kratzig aufgerauhten Gitarren rostig abgekämpft an den kontemplativen Momenten von Fugazi. Soft Features lüftet die Schieflage dagegen kurz mit einer Halbakustischen durch, legt sich dann aber doch ansatzweise in den unaufgeregt surfenden Space Rock – doch erst das kompakte Glistering Dots springt shuffelnd auf die Welle und twistet schmissig, die Gitarre geniedeln.
Durch die übergeordnete Soundästhetik und die klare charakterliche Handschrift der Band wirkt The Sea of Pulp dabei trotzdem homogen und niemals unentschlossen, eben eher wie ein wilder Versuchsritt, der sich keine Optionen verbauen will.
Was gerade im überragenden Schlußpart des Albums deutlich wird, wenn The Sea of Pulp in einen nahtlosen Fluß verfällt, der die letzten drei Songs zu einem durchgehenden Ganzen verschweißt und damit die trippige Kraft von Paint Thinner auf einen geradezu rauschhaften Level hebt.
Hidden Key knistert spannend und sinister, heult aus der krautigen Improvisation heraus: die Gitarren oszillieren nervös, der Bass bratzt, man lässt sich mit geschlossenen Augen gehen und gibt sich dem gegen den Strich gebürsteten Vibe hin. Diesen übernimmt die ambiente Interlude – als atmosphärisches Intermezzo allerdings mehr als nur ein Fugenkitt und tatsächlich nicht die kürzeste Nummer – und führt zum Finale In Your Tower: Die erste Hälfte der hier aufgefahrenen neun Minuten lauern Paint Thinner, beschwören ein unheilvolles Fieber in lethargischen Schüben, bevor der Closer durchatmend neuen Anlauf nimmt und dann mit rauen Drums und krachenden Gitarren losbrettert, manisch den epischen Exzess anvisiert und hinten raus sogar Streicher einlädt.
Dass The Sea of Pulp auch hier noch eher wie ein Anreißen des Potentials von Paint Thinner wirkt, passt dann irgendwo zum anachronistischen Wesen der Platte: Jeff Arcel (Bass), Zak Bratto (Drums), Colin Simon (Guitar/Vocals/Keys/Percussion) und Paul Derochie (Guitar/Backing Vocals/Keys/Chimes) skizzieren hier zukünftige Großtaten, deren Aussicht bereits jetzt in Euphorie versetzen darf.
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