Paint Thinner – Hagioscope to the Heart
Erst haben sich Paint Thinner für ihr Debüt über drei Jahre Zeit gelassen, nun folgt knapp acht Monate später mit Hagioscope to the Heart trotz personeller Umbesetzung jedoch bereits der Nachfolger.
Der Erstling The Sea of Pulp klang ja ein bisschen so, als hätte Syd Barrett Parquet Courts dazu überredet, das Erbe von Fugazi zu übersetzen. Dort macht die „Lepraspalte zum Herzen“ nun weiter, führt das Stil-Amalgam aus zahlreichen Genre-Versatzstücken (vom Postpunk und Shoegaze bis zum Indie- und Noiserock) nicht nur dem Artwork entsprechend jedoch in hellere Gefilde, sondern lässt es grundsätzlich ambitionierter wachsen – wie es Paint Thinner selbst am besten deklariert haben: „It is an expansion upon the band’s noisy blend of psychedelic Sturm und Drang showcased on their debut. But whereas the noise simmered below the gloom and murk on The Sea of Pulp, it’s present now in a more declaratory sense before either yielding to or consuming the melody entirely. The self-effacing desperation that permeated The Sea of Pulp while still present, is tempered by a sense of power. This isn’t anger, and this isn’t escapism. This is catharsis.“
Und am treffendsten: „Hagioscope is perhaps best understood as the sound of a band becoming, however unwillingly, comfortable with themselves.“
Was an sich vor allem auf den übergreifenden Kontext der Platte als Ganzes bezogen zutrifft, aber gleich eingangs keinen Irrtum diesbezüglich ausgekommen lassen will und den Opener als progressiv über zahlreiche Parts zusammengeklebtes Teilstück weitläufig streunen lässt.
Diatribes schrammelt slackermäßig munter vor einem spacigen Effektpedal-Raum, was als Overtüre für eine stakkatohaft den Text zu einzelnen Wörtern zerhackende Rezitation zu verstehen ist, hinter der sich eigentlich bereits alles für den hymnisch aufmachenden Rock in Position gebracht hat. Stattdessen kurz in der Halluzination auszuleiern, um neuen Anlauf im schwurbelnden Noiserock zu nehmen, passt aber auch. Zumal der Krach seine Riemen mit viel dringlichem Melodiegespür ohnedies immer beschwörender eng zieht, aber die Spannungen letztendlich ohne Exzess in den losen Trance-Jam kratzbürstig dösend lotst, der nach knapp neun Minuten im Feedback ersäuft.
Einen derart ausufernden Start (und auch ein solches Finale) kennt man ja bereits vom so maßlos eingeklammerten The Sea of Pulp. Nun aber trauen sich Paint Thinner auch im Rahmen mehr Abenteuerlust zu, nutzen den Einstieg ihres ehemaligen Produzenten Jeff Else als neuen Schlagzeuger entlang eines variableren Instrumentariums (Tape Loops, Piano, Vibraphone, Orgel und Keyboarde) tatsächlich für eine neue Selbstsicherheit. Die Songs von Hagioscope to the Heart wirken phasenweise wie eine lose zusammenhängende Session, die nicht immer mit der nötigen Konsequenz bei der Sache ist und in Summe die Genieblitze vermissen lässt – um das Quäntchen sogar die ebenbürtige Qualität zum Debüt – die aus einer sehr guten eine wirklich herausragende Platte machen würden. Aber genau dafür bringt das Quartett sich nun endgültig immer wieder in Position, um im nächsten Anlauf über sich hinaus zu wachsen.
Man Possessed konterkariert etwa eine weiche Zugänglichkeit zumindest in der Strophe mit betont räudig scheppernden Drums (die irgendwann auch die Gitarren zum giftig fiependen Radau überreden), nur um in Chorus umso versöhnlicher zu schwelgen. Und sobald man sich auf einen zu den 80ern gniedelnden Classic Rock eingestellt hat, folgt hinten raus noch der Twist mit 60s-Schlagseite und fuzzigen Stoner Doom. In dem orgelt auch das nahtlos übernehmende Touch in Arm’s Reach erst umständlich stacksend, dann mit viel Delirium aufgebrüht nach vorne gehend.
The Unrung Bell lauert mit schwerer Percussion und The Doors-Transzendenz in köchelnder Deckung brodelnd, wenn die denn auch Gitarren auf das Unterbewusstsein losgelassen hätten. Zur Mitte hin lösen Paint Thinner mit zusammengebissenen Zähnen aber ohnedies die Handbremse und täuschen lieber einen charmant-leichtgängigen Sunshine-Ohrwurm an, der anstelle großer Hooks oder Harmonien (leider) doch nur auf ein Gitarrenduell mit sich selbst aus ist. Sue nimmt sich zu lange eine schwammig-mäandernde Vorlaufzeit als Instrumental Rock – wenn die Nummer sich nach knapp 3 Minuten am Riemen reißt, hat das ein zwingendes Momentum und die schmissige leiernde Eingängigkeit. Während man sich noch wünscht, dass Paint Thinner sich trotzdem auch einmal ohne unbequem gegen den Strich gebürsteten Bruch einfach nur der Bekömmlichkeit hingeben und die Dinge auch kompakter angehen würden, kommt Painting With My Teeth sogar halbwegs knackig und riffinteressiert daher, auch wenn die Nummer sich irgendwann vor allem für die improvisierenden Extase interessiert aus dem Leim geht.
Dass auch der schillernde Groove des mit erdiger Rhythmusabteilung getriebenen Vision Quest eher angriffslustigen Postpunk praktiziert, sollte deswegen auch niemanden wundern: Näher dran am überschwänglichen Hit als hier war die Band auf Hagioscope to the Heart vielleicht dennoch nicht. Wenn der Titelsong das Tempo zum Gift spuckenden Monstrum mit dem Finale drosselt, dass sich die Platte in diesem hemmungslosen Exzess mit glühenden Verstärkern und bebenden Wänden verdient hat, darf deswegen vorerst auch weiterhin nur von der großen Zukunft geträumt werden, die Paint Thinner vor sich haben (könnten). Es muß aber keine Frustration darüber herrschen, dass sie diese hier abermals nicht erzwingen konnten/wollten.
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