Ought – Sun Coming Down
„Tim Beeler no more, Tim Darcy for ever.“ heißt es nicht ganz unkryptisch im Pressetext zum zweiten Album der kanadischen Querköpfe Ought. Wo deswegen im ersten Moment die Sorge besteht, auf ‚Sun Coming Down‚ ohne die markanten Moves des elaborierten Frontmannes auskommen zu müssen, folgt jedoch bald die Enthüllung: Der Mann hat sich nur umbenannt. Was insofern passt, da seine Band auf dem Nachfolger des gefeierten ‚More Than Any Other Day‚ auf ganz ähnliche Weise mit irritierenden Sachverhaltem und gemächlich auftauenden Lösungsvorschlägen arbeitet.
Schon das Debütalbum des so kunstvoll den schrammelndem Krach-Architekturen im Spannungsfeld aus Noise-affinem Indierock, universitärer Avantgarde-Ästhetik und mitreißendem DIY-Postpunk huldigenden Quartetts aus Montreal verstand es mit seiner referenzlastigen Verehrung der späten 80er und frühen 90er (David Byrne und Mark E. Smith; Wire, Sonic Youth und Lungfish; darüber hinaus auch Liars und natürlich die niemals eingelösten Möglichkeiten von Clap Your hands Say Yeah) zu fordern und nicht unmittelbar zu offenbaren, welche Ziele seine unberechenbaren Songs letztendlich anvisieren würden. ‚Sun Coming Down‚ geht nun diesbezüglich sogar noch einen Schritt weiter, gleicht über zahlreiche Hördurchgänge einem wahren zwiebelschalenartigen Kompositions-Labyrinth, einer eng gedrängt vermengten, 41 minüten Masse, deren Fäden erst einmal entwirrt werden wollen – auf den Erstkontakt augenscheinlich aber nur in Sackgassen mit Falltüren hinter versteckten Geheimgängen führen.
Das verleitet in der Kennenlernphase zu letztendlich nicht vollends richtigen Schlüssen: ‚Sun Coming Down‚ tritt nur zu leicht als ein zwar nicht kopflos brütender, aber ohne die nötige Reifungszeit gar zu ungeschliffen zwischen den Liverterminen der dauertourenden Kanadier eingespielter Schnellschuss-Brocken in Erscheinung, der einmal mehr in Erinnerung ruft, welche Entwicklungen und Korrekturen einige ältere Songs (etwa zwischen der verschrobenen in wenigen Stunden eingespielten ‚New Calm‚-EP von 2012 bis zu ihren regulären Versionen zwei Jahre später) erst durchlaufen mussten, um zu ihrer letztendlichen Größe heranzuwachsen.
Tatsächlich haben sich Ought für ‚Sun Coming Down‚ jedoch zwei Monate im Studio vergraben und dabei ein akribisches, konzentriertes Album zusammengesponnen, dass den Schwung von ‚More Than Any Other Day‚ und ‚Once More With Feeling‚ ohne Energieverlust mitnimmt und destilliert, die Räume im gestaffelteren Sound zwischen den Eruptionen mit chaotisch anmutender Scharfkantigkeit verdichtet, die Ansätze entlang der gesteigerten Disziplin zu einem runderen Ganzen verschweißt und damit durchaus das Momentum ausnutzt. Allerdings eben nicht, um dem Hörer durch hervorstechende Hits wie im letzten Jahr mit ‚The Weather Song‚ entgegenzukommen, sondern um sich noch weiter in die eigene Handschrift und Spielweise zu vertiefen.
Wo also abseits des ruhig beginnenden ‚Passionate Turn‚ stellenweise ein wenig die Luft zum Atmen fehlt, ist das allgemeine Gefälle weniger eklatant geworden und das Gesamtwerk konsistenter: Die Destinationen der Einzelnummern kollidieren einerseits in weniger nachdrücklichen Melodien und Ausnahmemomenten, generell wirkt das Songwriting weniger passiert und leichtgängig. Ought sind sich der Erwartungshaltungen hörbar bewusster als dem auf das Überraschungsmoment setzen könnenden Vorgänger, wodurch ‚Sun Coming Down‚ allerdings eben auch konsequenter und geschlossener im Auftreten agiert, wieder mit eigenständigem Charisma und Präsenz fasziniert.
Findet man sich in dem seinen Fokus und seine Intensität schnell wechselnden Album also erst einmal zurecht, tut sich dann auch ein in Relation zum bisherigen Schaffen nur marginal zurückfallender Wirbelwind auf: ‚Passionate Turn‚ gibt sich erst zurückgenommen, um dann eine in Schüben hervorgewürgten Unruhe zu beschwören, gefällt sich gut darin ein zerschossen zwischen seinen Gängen umherschaltendes Gerüst ohne klare Konturen oder Auflösungen zu bleiben, das so anziehend verloren wirkt wie sein Text: „But I have given up love/…/I don’t know why do I become when I/ Hang my head and cry out„.
Vielleicht eine Ballade in massiver Schräglage, bevor ‚Celebration‚, das launige Stop-And-Go-Ringelspiel ‚On the Line‚ oder die Gang of Four-Irritation ‚Never Better‚ ihre archaische und direkte Gangart mit zahlreichen Notbremsungen, Finten, Tempowechseln und launischen Hakenschlägen erfolgreich kaschieren, dahinter aber drückender konzipiert sind als die Songs des Debütalbums – was das Zweitwerk in Summe sogar zur straighteren Platte machen.
‚Men For Miles‚ rockt sich ungemütlich zu seinem supergriffig und impulsiv angeschobenen, polternd-galopierenden Refrain, groovt spontan, simpel, archaisch und ambitioniert, findet hinten raus sogar die Muße seine Jamwurzeln freizulegen.
Das kompakte ‚The Combo‚ gibt sich bereits tollwütig nach vorne streunend, zieht nach einem U-Turn die Zügel aber plötzlich noch enger und drückt das Gaspedal durch, Darcy’s Gitarre und Matt May’s Keyboard werden zu einem fiebrigen Delirium getrieben. Und der kreuz und quer liegende Noise des Beinahe-Titeltracks ‚Sun’s Coming Down‚ muss sich erst einmal auf eine Gangart einigen und mäandert danach hypnotisierend in die Nacht. Eine Single wie ein hemmungsloser Live-Exzess.
Letztendlich spitzt sich all dies dramaturgisch auf die ätzende Hymne ‚Beautiful Blue Sky‚ zu, in der Ought ätherische Ambientklänge zu nervösen Television-Aufschürfungen zu einem sarkastischen Smalltalk schüren: „Well, how’s the family?/ How’s your health been?/ Fancy seeing you here/…/Beautiful Weather today/…/How’s the church?/ How’s the job?“ skandiert sich Darcy bis zum sich den Schaum vom Mund abwischenden Conclusio: „I’m no longer afraid to die/Cause that is all that I have left/…/And I’m no longer afraid to dance tonight/ Cause that is all that I have left„. Im Grunde kann die Quintessenz von ‚Sun Coming Down‚ eben doch so verdammt unkompliziert und simpel sein.
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