Oranssi Pazuzu – Mestarin kynsi
Vier Jahre nach Värähtelijä lassen die eklektischen Paradiesvögel Oranssi Pazuzu den Black Metal weitestgehend/ endgültig hinter sich und steigern sich auf Mestarin kynsi in einen Space-Krautrock-Rausch.
Dass man für eine Platte, die vollkommen ohne klassische, an sich unbedingte Genre-Motive wie Blastbeats und Tremolo-Gitarren auskommt, überhaupt noch eine Verortung in jenem (ohnedies nur mit viel Wohlwollen als angestammten Ausgangspunkt der Band klassifizierbaren) Metier in Erwägung zieht, hat dann einerseits mit dem immer noch gnarlig-guttural aus der Death-Ecke kriechenden Röcheln von Juho Vanhanen zu tun; andererseits mit der Attitüde, Einstellung und Aura von Mestarin kynsi, das seine gemeine Finsternis eben doch noch aus dem Black Metal beschwört.
Außerdem ist da noch das finale Taivaan portti, das mit mathematisch in Schüben bolzenden Drumpattern und besonders hirnwütig keifenden Kotz-Vocals klärt, warum man den Terminus in der mitunter hilflosen stilistischen Bestimmung nicht streichen muss.
Selbst hier zünden die mittlerweile explizit wie nie zuvor die Synthies vor die Gitarren stellenden Arrangements und Texturen jedoch Feuerwerke und Lightshows in anderen Sphären, wenn der Closer bereits am Limit beginnt und sich trotzdem mit immer mehr Manie noch weiter nach der Crescendo-Extase an der Decke zu strecken gedenkt.
Oranssi Pazuzu führen dort auch ein letztes Mal vor, dass ihr Songwriting sich auf Mestarin kynsi weitestgehend und längst von (ohnedies niemals nahen) konventionellen Songwriting-Strukturen entfernt hat, die Finnen eher Ideen über die Ästhetik, den Rausch und das Momentum entlang einer freizügigen Intuition und fließenden Instinkt mutieren lassen, den Weg zum Ziel erklären und die tatsächliche Sogkraft ihrer Reise wohl erst über vereinnahmende Live-Auftritte destillieren wird.
Auf Platte konserviert gibt Mestarin kynsi mutmaßlich nur den bestmöglichen Ausblick darauf, wie die eklektische Trance auf der Bühne in transzendentalen Überblendungen, Farbfiltern und Lavalampen im schwarzen Nebel flimmern werden; wie progressive Art-Metal-Kunstinstallation, die sich im kreativen Umfeld von Can und Motorpsycho, von Neu! und Kairon; IRSE!, von Hawkwind und Pink Floyd eben wohler fühlen, als im Fahrwasser von Mayhem und Konsorten.
Dabei funktioniert Mestarin kynsi sicherlich am Stück aufgesogen deutlich besser, als wenn man sich der Platte zu ausschnitthaft nähert. Die einzelnen Songs sind wie mosaikartige Stücke eines dystopischen Scores zu verstehen, der den Charakter des Waste of Space Orchestra aus dem vergangenen Jahr vertieft, sich konzentriert in den ureigenen Kaninchenbau vergräbt, wo Värähtelijä (2016) stets weiter nach vorne wollte.
Dennoch: Was hier im Detail passiert, ist allerdings durchaus beachtlich.
Ilmestys beginnt als pochende Tempelmusik mit bedrohlich rumorenden Elektronik-Untergrund und exemplarisch psychedelisch verwaschenen Texturen, der halluzinogenen Ahnung einer Melodie, sediert hämmert. Dazu tröpfeln abstruse Synthies aus modulierten 80ern, die Rezitation faucht als garstiger Zeremonienmeister unter der Kutte. Irgendwann lassen Oranssi Pazuzu die Zügel los und stürzen die Nummer in einen rumorenden Groove, stoisch und wild, führen in die Kakophonie und die auch danach herrschende Kontrast-Dualität aus einer zwingenden Rhythmusarbeit als Grundfeste und dem unbändigen Chaos darüber.
Ein jazziges Schlagzeug und gefühlvoller Bass tänzeln in Tyhjyyden sakramentti behände umeinander, formen den geschmeidigen Rahmen für Keyboard-Meere im nebulösen Weltall, zwanglos und unaufgeregt – bis sich die Band unvermittelte einen Wasserfall aus energisch (von ganz vorne im Mix bis nach ganz hinten) geschrubbten Post Punk- Gitarren eilig hastend hinunterstürzt, immer dringlicher und energischer faucht, den Jam exerziert und zu stellar schimmernden Schleifen den Trip langsam ausklingen lässt.
Uusi teknokratia ist die Symbiose aus potentiellem Soundtrack für einen Agentenfilm oder Alien-Horror. Die Konturen sind griffig und repetitiv, darüber drückt sphärische Ambient – Vanhanen scheucht alles wie ein hirnwütig intonierender Wrestler vor sich her und Oranssi Pazuzu kippen plötzlich (aber nicht willkürlich – das tut Mestarin kynsi niemals!) in einen manischen Retro-Rock samt beschwörendem Chor-Okkultismus jenseits von Suspiria und Hereditary, nur um die Handbremse danach noch einmal umso massiver und kraftvoller zu lösen, exzessiv nach vorne zu preschen. Die Gitarren eskalieren beinahe, ätherischen Furien-Gespenster geistern umher, sinistrerer Folk liebäugelt mit minimalistisch dräuendem Darkjazz, dessen Suspence in eine unergründliche Dunkelheit führt.
Das überragende Oikeamielisten sali treibt seine aus dem Leim laufenden Streicher stolpernd neben der Spur vor sich her, packt die orchestrale Atonalität an den Hörnern, stichelt und funkelt, steigert sich zu einer Opulenz samt martialischem Percussion-Finale. Und Kuulen ääniä maan alta hat wieder einen so unerbittlich coolen Groove, während das Posaune klingt wie eine monströse Bedrohung aus einem Schwarz/Weiß- Krimi und nachdem die Verstärker in den roten Bereich durchgedrückt sind, steht man mit einem Bein am neonblinkenden Experimental-Dancefloor.
Trotz derartiger Nuancen in der Radikalität ist Mestarin kynsi vielleicht nicht das beste Album der Band – gerade der direkte Vorgänger war noch faszinierender, abstruser und variabler. Es ist dann aber alleine schon Triumph genug, dass Oranssi Pazuzu selbst mit ihrem Einstand beim Giganten Nuclear Blast abermals eine derart eigenwillige Platte aufgenommen haben, die niemals auch nur den Ansatz einer diplomatischen oder kalkulierten Kompromisslösung erweckt.
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