Omar Rodríguez-López – El Bien y mal Nos Une
Halbzeit geschafft. Wohl der ideale Moment um Erwartungshaltungen zumindest ansatzweise einzuholen. Auf Album Nummer 6 von 12 klingt Omar jedenfalls so, wie man sich seine 2016er Veröffentlichtlichungsserie vor – und eigentlich auch unmittelbar nach – Sworn Virgins ausgemalt hatte.
El Bien y mal Nos Une entspannt sich auf diesen Bausteinen seltsam relaxt und gleichzeitig enorm hyperaktiv, schaltet immer wieder zwischen beruhigt staunend durch die eigenen Synthielandschaften spazierend und überdreht motiviert vorneweghüpfend umher, ist irgendwo Experimental Pop für lateinamerikanische Raumstationen – enorm dicht gestrickt und doch künstliche Luft atmend. In gewisser Weise ist El Bien y mal Nos Une damit wieder typischer Omar Rodríguez-López als es etwa Corazones oder Blind Worms, Pious Swine noch war, wenn man so will vielleicht gar als vages Konglomerat von Sworn Virgins und Umbrella Mistress zu verorten – tatsächlich aber ist El Bien y mal Nos Une eine noch weiter in der Vergangenheit anknüpfende Revitalisierungsübung.
5 der 10 Tracks sind (personell eben um den Backinggesang von Teri Gender Bender erweiterte) Überarbeitungen, Neuinspielungen oder regelrechte Remixe von Songs, die bereits auf Un Escorpión Perfumado von 2010 vertreten waren: Acuérdate kann man also als Que Dice Pessoa? kennen (2016 ist der Song zu einer gurgelnden Effektorgie über dem stacksenden Schlagzeugspiel mutiert, die trotzdem mehr Raum für Melodien und Zugänglichkeiten lässt); Amor Frío (ehemals: Incesto O Pasión?) verrät, dass El Bien y mal Nos Une trotzdem gerne dazu neigt, mehr Ästhetik, Tüfteln und Annäherung an konventionelle Schemen zu sein – weil alle Songs zwar relativ klar strukturiert und keine spleenigen Hirnwichsereien sind, aber zwingendes Songwriting eher in den Hintergrund stellen, wenn es eine Atmosphäre gibt, in die man sich in diesem Rausch haltlos stürzen kann;
Estrangular el Extranjero heißt nun Humor Sufi und klingt mit seinen traurig wandernden Synthie-Suchscheinwerfern bedrückend wie die ersten Momente des Batman-Game am Gameboy, das mitten drinnen in einen Flipper Automaten geschossen wird, bevor die Thriller-Klammern anziehen und die Bridge dann zum enthemmten Tastenjam abhebt; Dazu gibt es noch das Doppel (weil: keine aktuelle Omar Platte ohne nahtlosen Übergang zwischen einigen Tracks am Ende!) aus Yo Soy la Destrucción und Planetas Sin Sol (vor 6 Jahren noch: Mensaje Imputente und El Diablo y la Tierra): Streicher- und Bläsersamples, orientalische Nuancen, wummernde Basslinien aus der Steckdose und das frickelnde Schlagzeugspiel taumeln, häckseln und zittern infektiös um den flächigen Unterbau, leiten über in ein herrlich hektisch frickelndes, zuckendes Stück, in dem Gitarren und Drums fiepend um die Wette explodieren, bevor Omar die Dinge plötzlich ruhig plätschernd beendet – das folgende Estrella Caída entlässt als abgedämpft pochendes Mysterium, als perkussive Wasserglastanzoutro, dann darauf auch etwas ratlos.
Was anstrengend klingen mag, funktioniert tatsächlich erstaunlich anstandslos, ist spannend und macht zumindest dem unersättlich Aficionado unmittelbar Spaß. Der Rest der Songs erweitert dieses Gefüge nahtlos, schärft den Fokus der Strukturen zudem, und lässt El Bien y mal Nos Une im Wechselspiel mit aufgefrischtem Bekannten so mühelos zu mehr mutieren, als „nur“ einem Un Escorpión Perfumado 2.0: Das lüstern funkelnde Un Acto De Fe etwa nimmt die Orientalik von The Bedlam in Goliath zur Soundästhethik von Noctourniquet mit und zeigt einen leichtgängigen Optimismus – nicht immer bedient sich Omar auf El Bien y mal Nos Une zudem derart klar strukturierter Gitarrenmuster, für die andere erst John Frusciante engagieren müssten. Allerdings bleiben die angenehmen Melodien wie überall auf dem Album dafür eben etwas zu vage und flüchtig, um sich wirklich auf Distanz festzusetzen.
Enorm schmissige Passagen wie im drückenden Schaltkreise-Intermezzi Perdido oder das auf ein ätherisches RPG-Loop gebaute La Voz (im Grunde eher ein treibendes Interlude, hypnotisch und unwirklich) sind deswegen die Szenen, an denen man sich entlanghangelt, die El Bien y mal Nos Une letztendlich auch ein physisch präsentes, aber kaum greifbares Suchtpotential aussprechen. So verquer und zerschossen die am Stück um einige Längen nicht unherkommenden 36 Minuten damit vielleicht auch an der Oberfläche wirken mögen (eventuell fehlt auch nur der eine herausragende Highlightsong, um die Platte auf die nächste Ebene zu heben!), hat Omar hier letztendlich doch wieder ein weiteres erstaunlich unterhaltsames Stück Forschungsmusik vorgelegt, das über weite Strecken gar wie das schlüssigere, zielorientiertere und nachvollziehbarere Aufarbeitung seiner früheren Soloalben anmutet. Ob das bedeutet, dass Omar mittlerweile eine klarere Perspektive auf seine Vergangenheit bekommen hat? Fest steht jedenfalls: Der beste Veröffentlichungslauf seiner Karriere geht unaufhaltsam weiter.
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