Omar Rodríguez-López – Corazones
Auch wenn es gerade die Unberechenbarkeit ist, bei der man sich auf Omar Rodríguez-López stets verlassen durfte, konnte man (gerade auch nach Sworn Virgins) mit einer Platte wie Corazones eigentlich kaum rechnen: Ein waschecht um den Folk perlendes, unangestrengt aus der Hüfte schlenderndes Popalbum voller unkaschierter, intim werdender Emotionalität.
„What do you want me to do/ To make you love me?„, singt Rodríguez-López mit einer zarten Anschmiegsamkeit auf einer Platte, die inmitten eines überwältigenden Verlust-Gefühls immer wieder schlichtweg die Liebe sucht. Corazones entstand ursprünglich als Soundtrackarbeit für einen letztendlich nicht realisierten Film, zog seine Inspiration inhaltlich aber vom ersten Augenblick an aus dem nahenden Tod von Omars’s Mutter Frances Rodríguez-López und verarbeitet folglich mit melancholischer Nachdenklichkeit Empfindungen an der Achse Trauer, leiser Hoffnung und einem sich selbst verarztendem Schmerz. Rodríguez-López selbst ordnet das 2014 fertig gestellte Album insofern als straighten „mournful folk-pop“ ein und liegt damit durchaus richtig: Corazones tauscht das bisher oft frustrierend unübersichtliche Chaos typischer Omar-Solodiscografie-Vertreter gegen eine unaufgeregte Subtilität, ist Katharsis ohne arty Umwege oder überkanditelt experimentell-
So verletzlich, unterhaltsam und nahbar wie auf Corazones hat man den Puerto Ricaner auf mittlerweile immerhin 28 Soloalben deswegen auch noch nicht gehört. Selbst mit seinen bisher bekömmlichsten Arbeiten (Antemasque oder Bosnian Rainbows) war Rodríguez-López nie zugänglicher und bekömmlicher unterwegs. Corazones ist – nicht nur in Relation zum restlichen Œuvre des fieberhaften Veröffentlichers – Pop, der vor griffigen Melodien, runden Harmonien und eingängigen Hooks strotzt und den inneren Frieden mit sich selbst forciert.
Wo Corazones so alleine aufgrund seiner Beschaffenheit ein überraschendes Unikat inmitten der restlichen ORL Projects darstellt, müssen sich die versammelten 35 Minuten freilich dennoch die Frage gefallen lassen, ob das Songwriting der Platte mit der Faszination (und Freude) über den wohlig konsumierbaren Sound standhalten kann – nicht immer denkt der Multiinstrumentalist seine Gedankenexperimente schließlich bis zum Konsumgenuss der Hörerschaft zu Ende – was Rodríguez-López nun aber anhand einer Stafette an simplen Ohrwürmern und betörenden Kleinoden beantwortet.
We Feel The Silence eröffnet mit entspannter Akustikgitarre, der Gesang legt sich schmelzend über das leicht nonchalante Leiden, die Elektrische hallt zumeist countryesk und nur selten mit proggigen Soundflächen, eine Mundharmonika huscht sogar durchs Bild. Wie späer auch das enorm schmissige, simpel unterhaltende Arrest My Father zieht das flotte Running Away danach unmittelbar zur charmanten, waschechten Single (!): ein Akustikpopper mit androgyner Schlagseite und Terry Gender Benders weiblicher Umschmeichlung nicht nur im Refrain: Rodríguez-López lässt sich von seiner Lebensgefährtin im dazugehörigen Video von eben dieser, Langzeitkumpel John Frusciante, Ur-The Mars Volta-Bassistin Eva Gardner, Robin Laananen, Tatiana Velazquez, Aura T-09, und Melvins-Boss Buzz Osborne (dessen Gattin Mackie übrigens für das Layout der Platte verantwortlich zeichnet) vermöbeln.
Derart angriffslustig wird Corazones auf musikalischer Ebene nie: Ein It Was Her lauert erst mysteriös, flirtet mit Orgelunterstüzung und Gitarrensoli samt Jam-Optionen, stampft letztendlich aber mit schwerem Rhythmus, Piano und betörender Eleganz schlapfend zum pochenden Ohrenbalsam-Fade Out-Anhängsel Dead Heart. Das uhrwerkartige schnipselnde Kinderschlaflied Lola würde wohl auch Damon Albarn stehen, nur If I Told You the Truth I Would Be Made Of Lies will den Grad an Spannung tatsächlich enger ziehen. Etwaige Gefälligkeiten oder fehlende Reibungspunkte in der ob des vorsichtigen Schönklangs gelegentlich oberflächlich bleibenden Intensität werden jedoch mühelos von mittelalterlich schreitenden Folkszenarien mit Chain Gang-Weihe (das herausragende Wüstenklagelied Certainty), naiven kleine Hits (Five Different Pieces) oder zutiefst romantischen Lagefeuer-Miniaturen (Some Sort Of Justice) im kurzweiligen Gesamtgefüge aufgewogen.
Wie gut Rodríguez-López ein Plus an Nachvollziehbarkeit und Konventionalität steht, hat Omar immer schon angedeutet – nun demonstriert er es mit einnehmender Catchyness. Noch deutlicher werden die geschärften Vorzüge mittels Sea is Rising. Auf Unicorn Skelethon Mask fand der Song noch als diffuses Elektro-Soundexperiment mit verwaschenem Sound Platz, für Corazones strahlt er nun knackig-plätschernd, soulig schimmernd um seine griffigen Elemente, forciert die helle Atmosphäre der Platte. Die bissfertige Inszenierung, sie kommt den Kompositionen also zusätzlich entgegen, verleiht Rodríguez-López einen willkommenen Fokus und eine Zielstrebigkeit, die das Songwriting schlichtweg sinnvoller und kompletter klingen lässt.
Corazones sticht so aus dem Werk des Tausendsassas mit zurückhaltender Effektivität hervor, findet die emotionale Verbundenheit zum Hörer direkter, nimmt an der Hand und bisweilen tröstend in die Arme. Ein zwingender Massstab für die restliche Solo-Discografie mag das freilich nicht sein. Was den Hörgenuss, die Halbwertszeit und den Wiederhörfaktor angeht, hat Omar Rodríguez-López abseits seiner Bandprojekte hiermit aber dennoch ein Referenzwerk geschaffen.
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