Okkervil River – The Silver Gymnasium
Keine Verschlüsselungen mehr, sondern der Blick nach innen und in den Rückspiegel: Will Sheff inszeniert das siebente Album seiner Band als einladende autobiographische Konzeptreise in die eigene Vergangenheit im beschaulichen New Hampshire des Jahres 1986.
‚The Silver Gymnasium‚ erzählt von Sheffs Jugendjahren in Meriden sowie der Schulzeit im titelgebenden Gymnasium und nimmt seine Hörer dafür in vielerlei Hinsicht klarer an der Hand als vielleicht alle Platten der Band seit dem Ausstieg des kongenialen, bei Shearwater konstant beachtlich abliefernden Jonathan Meiburg. Ein Dechiffrieren der Lyrics ist kaum mehr von Nöten, wenn Sheff scharf-verschwommene, zuweilen schmerzhafte Nostalgie-Bilder von vergangenen Tagen, Freuden und Sorgen zeichnet – die abstrakten, fiktiven Ansätze seines Stoytellings weichen konkreten Erinnerungen. Noch handfester wird die Zeitreise durch das liebevoll ergänzende Artwork als wegweisenden Stadtplan zur Vergangenheitsaufarbeitung Sheff’s. Vor allem aber geht der Okkervil River-Vorstand auch musikalisch wieder deutlich konkretere und deutlich unmittelbarere Wege als zuletzt.
Knapp 49 Minuten formen das musikalisch mit Abstand eingängigste Album der Band seit ‚The Stage Names‚ von 2007 – es reiht Ohrwürmer und klassisch zwischen Folk, Rock und Americana pendelnden Okkervil River-Hits ohne große Umwege aneinander, so dass selbst das lange Zeit in verschlossener Melancholie schwelgende ‚Lido Pier Suicide Car‚ (neben dem betörenden ‚Black Nemo‚ die einzige Verschnaufpause) letztendlich hemmungslos aus sich heraus platzen muss: ‚The Silver Gymnasium‚ ist eine unheimlich ausgelassene Angelegenheit, in Momenten wie dem hymnischen Refrain des überragenden ‚Where the Spirit Left Us‚ geradezu feierlich, mögen die gerne niedergeschlagen in Gedanken verlorenen Texte auch ein kontrastierendes Bild zeichnen. ‚It was my Season‚ baut etwa auf ein ungemein flapsig tapsendes Piano das den Bärenanteil des Songs trägt, Streicher und 60s Hatmoniegesänge haben dennoch spielend Platz.
Sheff verführt eben mit reich instrumentierten Poprockern (‚On a Balcony‚) und handclapsbefeuerten Singalongs (‚Pink-Slips‚), lässt übermütige Bläser durch zahlreiche Songs fliegen, siehe etwa ‚Stay Young‚. Dieser setzt zudem wie auch ‚Down Down the Deep River‚ retrofuturistische 80er Synthies als Beiwerk ein ohne in die Disco zu kippen. ‚All the Time Every Day‚ schunkelt dagegen weihevoll über die Erkenntnis Sheff’s Meriden zwar verlassen zu können, aber niemals die Spuren davon in der eigenen Existenz verschwinden lassen zu können. ‚Walking Without Frankie‚ oder das marschierende ‚White‚ sind dagegen schon beinahe straighter Rock’n’Roll.
Das zugängliche ‚The Silver Gymnasium‚ macht es der Fangemeinde jederzeit leichter als die letzten, polarisierenden Okkervil River –Alben, führt seine Qualitäten versöhnlich vor. Was dem siebenten Album der Band dabei jedoch ein wenig abhanden abhanden gekommen ist sind die beinahe magischen Momente, die Sheff auf den ersten Platten scheinbar mühelos so zahlreich zu kreieren verstand: wo Okkervil River Songs nicht nur berührend waren, sondern ihre Spannungen in bestenfalls schier erschütternd intensiven Szenen jenseits der blanken Gänsehaut entluden. Das durchwegs hochkarätigen Songmaterial mag dies zwar abfedern, anhand der Tatsache es mit dem doch persönlichsten und intimsten Okkervil River-Werk bisher zu tun zu haben subjektiv dennoch eine dezente Schmälerung des stärksten Bandalbums seit einigen Jahren bewirken.
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