Okkervil River – Away
Dass Will Sheff Away nur veröffentlicht hat, um die Kosten für die aufgefahrenen Streicherarrangements wieder hereinzubekommen, muss man wohl als geschickte Publicity abstempeln. Denn immerhin dürfte sich das achte Studioalbum vor allem rückblickend durchaus als wichtiger Scheidepunkt für den 40 Jährigen und Okkervil River erweisen.
Away ist in vielerlei Hinsicht ein Abschiedsalbum geworden; eine Platte die loslässt und Frieden schließt. Gleich im so unsagbar zärtlich gezupften Epitaph Okkervil River R.I.P., der sein sparsames Instrumentarium immer akribischer zu einem gediegenen, lieblichen Folkrock-Erhabenheit ausstaffiert, steht Sheff etwa nicht ohne trauernde Wehmut am Grab seiner eigenen Band, von der im 18. Jahr nur noch er selbst übrig geblieben ist: „They had some great songs/Must have been a great time/So long ago“ schwelgt Sheff in Erinnerungen und scheint gar nicht zu bemerken, dass er Away mit einem der schönsten Melancholiker seiner Karriere eröffnet.
Das fast schon unsterblich erhabene Comes Indiana Through the Smoke verarbeitet hingegen abseits sonstig bedienter Meta-Ebenen mit einer bedrückenden Nahbarkeit den Tod von Sheffs Großvater, Weltkriegsveteran T. Holmes “Bud” Moore, eingebettet in die Geschichte des Schlachtschiffs Indiana, das selbst dann noch seine monumentale Größe behält, wenn die Atemzüge des Sterbenden immer mühsamer werden: „She won’t sink or run aground/She won’t turn back, she won’t back down/When you find your time to finally let go„.
Im ausgelassen seinen Enthusiasmus kaum in Zaum bekommenden – und trotzdem ohne reelle Fröhlichkeit feiernden – Wortschwall Frontman in Heaven („And you, my weeping friend/I can’t wait to describe to you what I’ll see up there/…/And ‚Calm down,‘ says the Sky Man, ‚you’re raving‚“) kann Sheff wiederum gar nicht erwarten, eine klarere Sicht auf die Dinge zu bekommen: „We are born wired-up and our heads are all flooded with messages/ That get harder to pick out, except at the start and the end„.
Wie es dem Okkervil River–Mastermind in einer Zeit persönlicher Verluste und wegbrechender Bandmitglieder gegangen sein muss, als er alleine in der Hütte einer Freundin Song um Song kathartisch von der Seele schrieb, lässt sich anhand von Away wohl relativ distanzlos nachvollziehen. Zumindest vermitteln die knapp 60 Minuten dieses Reigen dieses unmittelbare Gefühl bedingungsloser Intimität – dem man sich als Hörer jedoch dennoch erst einmal öffnen muss: Away ist durchflutet von einer stillen Grandezza und einer zeitlosen Subtilität, die direkt die Seele streichelt, sofern man es denn zulässt.
Nicht zuletzt verabschiedet sich Away im Gesamten nämlich auch vom Gedanken daran, das Vermächtnis der bis hin zu The Stage Names andauernden Hochphase der Band toppen zu wollen und geht neue Wege. Sheff scheint an einen Punkt seiner Karriere angekommen zu sein, an dem er niemanden mehr etwas beweisen muss; an dem er mit einem Album, dem nicht wenige träge Langeweile vorwerfen werden, ganz wunderbar leben kann. Und sich so nur umso konsequenter in einen ohne jeden Druck oder Gezwungenheit treibenden Songfluss stürzt, der entlang überlanger Song-Epen auf ein unaufdringlich plätscherndes Flüstern setzt.
Denn was nur zu leicht als Ereignislosigkeit gedeutet werden kann, ist hier eben der feinfühlige Drang zur kleinen Geste, zum elegischen Ausbreiten und majestätischen Schwelgen. Away baut seine sorgsamen Dynamiken auf weihevolle Pastelltöne und detaillierte Arrangements, auf getragene barocke Stimmungen und eine versöhnliche Atmosphäre. Okkervil River schmiegen sich 2016 in einen beruhigenden Schön- und Wohlklang, der die schier endlosen Kompositionen mit einer unaufdringlichen Entspanntheit dekliniert, nur selten kleine Nuancen verschiebt. Flotte Schunkler wie das gemütliche zum Country schielende The Industry bleiben die Ausnahme, während das zärtliche, betörend optimistische Days Spent Floating (in the Halfbetween) die unwirkliche Aura der Platte am Ende wohl am besten zusammenfasst: Sheff dirigiert seine Sessionmusiker durchaus in Sphären, in denen die Textur das Songwriting vereinnahmt.
Okkervil River ziehen damit noch weiter „Very Far“ und „Away“ als jede bisherige Okkervil River-Reise, öffnen das Kopfkino mit immaginativen Bilderschwällen entlang nachdenklicher Innenansichten, in dessen gefühlvoll ausgelegte Tiefen man sich sanftwiegend verlieren kann. Sheff und Mixer Jonathan Wilson haben hier auch bei der Produktion ganze Arbeit geleistet und wohlwissend keine Platte für jeden Augenblick gezaubert, sondern einen angenehmen Begleiter für spezielle Stunden. Die dann eben mit unscheinbaren Juwelen entlohnt, die zum besten gehören, was Okkervil River bisher geschaffen haben – wie dem seine märchenhaften Streicher und Bläser immer ziselierter aufkeimen lassenden Judey On A Street oder Call Yourself Renee, in dem sich Sheff durch einen Orchestergraben tastet, um letztendlich in einem herzzerreißend unaufregenden Anmutsmeer mit Marissa Nadler zu baden, das vor purer Sehnsucht zu implodieren droht.
Eine kongeniale Kooperations-Symbiose in Zeiten der besetzungstechnischen Umbrüche – die dann ausgerechnet auch Shearwater-Frontman und Ex-Okkervil River-Stütze Jonathan Meiburg auf die Gästeliste des so unheimlich homogenen Gesamtwerks Away gespült hat. Vielleicht symptomatisch für ein ruhiges Album, das viele Dinge zu Grabe trägt und Kapitel beschließt, damit vor allem die Weichen für die Zukunft stellt: „Eventually, I realized I was kind of writing a death story for a part of my life that had, buried inside of it, a path I could follow that might let me go somewhere new.„
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