Øjne – Sogno #3

von am 6. Juli 2023 in EP

Øjne – Sogno #3

Ein waschechter Screamo-Traum mit Postrock-Grandezza: Øjne bündeln auf Sogno #3 eine Erinnerung daran, warum man sich vor einem Jahrzehnt quasi aus dem Stand heraus an die Szene-Speerspitze katapultierte.

Seit ihrem ersten und bisher einzigen Studioalbum Prima Che Tutto Bruci von 2017 ist es ja relativ ruhig um die Senkrechtstarter aus Mailand geworden geworden, doch Sogno #3 bündelt nun, zwischen 2016 und 2022 geschrieben, quasi einen Rückblick auf die seitdem verstrichene Zeit, wie die Band selbst zu Protokoll gibt: „It is a fragmented collection of hopes, daydreams and past mistakes. We wrote and recorded these songs in the midst of line-up changes, a pandemic, and some unforgettable experiences.
Fragmentarisch klingt Sogno #3 letztendlich allerdings übrigens gar nicht, sondern rund und komplett; einem homogenen Spannungsbogen folgend und neben die rohe Emotionalität der Vocals eine wirklich wunderbare instrumentale, melodisch einnehmende Schönheit stellend, die dynamisch abholend auch die famose Produktion (sauber und klar, energisch und impulsiv, zupackend) nutzt, um wahrhaft erstklassiges Songwriting zu inszenieren, das den Skramz-Faktor stets mit einer anmutigen Attitüde des Postrock aufwiegt.

So dringlich das im Kern verzweifelt attackierende Il Tempo Che Ho Perso also auch wüten mag, erinnert die Wärme des Sounds mit seinen schroffen Kanten und poetischen Gefühlswelten schon vor der Öffnung ins epische Panorama frappant an frühe La Dispute, was für das folgende Occidente (mit Gesangs-Beistand von Viva Belgrados Cándido Gálvez) im minimal zu dichten Fahrwasser von King Park sogar noch mehr gilt:  Øjne drosseln das Tempo und brüllen über der sanft polternden Melancholie sehnsüchtig perlender Gitarren, die Musik fliest schon beinahe ätherisch, die Rhythmusgruppe hat eine federnde Spannung a la Lite, doch spätestens der Mittelteil adaptiert eine ähnliche Ausstrahlung wie Somewhere at the Bottom of the River Between Vega and Altair seinerzeit, bevor sich die Band in die für Sogno #3 allgemein typische Aufbruchstimmung schwingt, die Brechstange lange stecken lässt und dennoch einen behutsam in die Mangel nehmenden Sog entwickelt.

Icona skandiert polternd zur erhebenden, weichen knackigen Begierde der melodischen Saiten-Kommunikation, die in beruhigender Geduld die in sich kultivierte Rastlosigkeit transportiert, derweil Charneca eine relativ straighte Direktheit über der dramatischen Abgründigkeit zeigt, ohne wirklich den geradlinigsten Weg zu gehen: das Material ist wie aus einem Guss, erschließt seine Agenda eigentlich mit unmittelbarem Momentum, lässt aber dennoch viel Raum für Tiefe.
Le Vite Degli Altri hat so etwas unaufgeregtes, bis der Song zum flott schunkelnden Mitsing-Hit eingedampft werden könnte – würden die Italiener nicht lieber aufwühlendd rezitieren und sich auf die Hinterbeine stellen, mag das Finale auch noch so versöhnlich auspendelnd nachdenken. Und wie sich Quando Il Sogno Si Avvera majestätisch-spuckend, antreibend zum Horizont streckt, immer weiter nach oben hymnisch und harmonisch mit triumphal erlösenden Klimax wächst – das ist einfach großes Genre-Kino. Inmitten all der aktuellen Screamo-Highlights von u.a. Ostraca, Loma Prieta, Jeromes Dream etc. gelingt Øjne jedenfalls ein ziemlich fantastisches Comeback.

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