O’Brother – You and I
Wenig Lärm um sehr viel: O’Brother führen ihren immer schon auch ätherischen Alternative Rock mit You and I in die Selbstständigkeit und die ambient aufgelöste Transzendenz.
Ihr viertes Studioalbum veröffentlicht die Band aus Atlanta zwar abermals mit der bewährten Produzenteriege aus Andy Hull and Robert McDowell, wagt dabei aber zumindest zwei mutige Schritte: Der erste ist jener in die Unabhängigkeit, indem You and I in Eigenregie vertrieben und promotet wird – wozu auch eine für die Fan-Geldbörse wahlweise günstige Digital-Option via Bandcamp angeboten wird.
Für eine derartige Entwicklung war eine Single wie der zweite Vorbote Halogen Eye freilich eine Steilvorlage – wie wohl auch zwei sofort ausverkaufte Vinyl-Tranchen beweisen.
Und doch hätte der ausgewiesene Hit mit prominentem Zugpferd auf der Gästeliste beinahe den Aufsprung auf die Platte verpasst: „This song almost didn’t make the cut, underwent a lot of changes, turned into one of our favorite tracks and got even better when our good friend Simon agreed to lend his voice and a few guitar licks on it. Biffy Clyro have always been one of our favorite bands to tour with and we have so much love and respect for them.“
Diese Ambivalenz mit finaler Zufriedenheit lässt sich durchaus nachvollziehen: Halogen Eye ist im Kontext von You and I eine untypisch prägnante, auch unmittelbar zündende Nummer, die mit bratzenden Gitarren und Bass, einem Killer-Refrain im O’Brother-Signature Sound und der Ahnung, dass Simon Neil mit Biffy Clyro wohl nicht mehr bald derart rockig zulangen wird, eine weniger repräsentative Nummer für das vierte Studioalbum des Quintetts im Ganzen.
Immerhin übersetzen O’Brother – und das ist der zweite mutige Schritt der Band – ihre Trademarks rund um die Stimme von Tanner Merritt zwischen dem zweiteiligen, als Intro und Outro fungierenden Titelstück (als am Piano gehauchte Erinnerung an Daydreaming von Radiohead) ästhetisch ruhig und sphärisch wie nie bis in den elektronisch unterspülten Ambient, treten balladesker zurück, wählen formlosere Konturen und gemächlich fließende Strukturen, die kaum an unbedingten, flächendeckenden Breitseiten der Heavyness interessiert sind.
Dass viele Nummern von You and I ein beinahe typisiertes Anwachsen der Dichte pflegen und den Klimax des Songwritings doch mit einem härteren Anziehen der Stellschrauben aufbegehren, ist dann insofern ein Schönheitsfehler der Platte, da diese Entwicklungen für die Dynamik des großen Ganzen zwar absolut dienlich sind (obgleich die homogene Geschlossenheit auch eine gewisse Gleichförmigkeit bedingt), einige der zehn Songs (wie gerade What We’ve Lost) für sich genommen aber auch ein latent vorhersehbares Wachstum nehmen lassen – ein wechselwirkender Kontrast aus federleicht schwebender Grandezza und maschinell walzendem Apokalypse-Industrial samt patentierten Backing-Chören wie Black Tide bleibt eben auch Ausnahme von der Regel.
Insofern war Killing Spree als pure Anmut nicht nur das diese Gefahr umgehendes Ideal, sondern auch der stilistisch weitaus schlüssigeres Aushängeschild für You and I als Gesamtwerk: Ein über die Hintertür kommender Grower, der in seiner subversiven Veranlagung mehr Zeit verlangt als die Gangarten von Garden Window, Disillution und vor allem Endless Light.
Als esoterisch am Griffbrett perlende Suche schlägt Killing Spree bedächtig eine Art von Klangschale-R&B-Wurzeln, die einen wiegenden Rhythmus träumen und seinen Chorus zum Niederknien still und unscheinbar erblühen lässt, während sich die Muskeln immer weiter in vermeintlichem Zusammenhalt und Nachhaltigkeit aufspannen: „Take my name/ Love was made/ For future you and future me“.
Oder wie die Band weiter ausführt: „Killing Spree wasn’t our initial choice for a first release, we had originally opted for a song with a more immediate approach, but we feel this is the most relevant choice considering current world events. Life rarely happens according to plan and the spirit of Killing Spree is in keeping with that. We truly hope this song brings you some level of calm amidst the chaos.“
Genau so funktioniert You and I nun – in seinen stärksten Phasen gar als ein einnehmend beruhigendes Klangmeer, in das man eintauchen kann, ohne dabei eindruckslos dösend verloren zu werden.
Soma installiert die Grundzüge des Albums dabei eingangs über einem aus der Steckdose knatternden, rasselnden und knisternden Beat, der ein dramatisches Piano lange in Schach hält, jedoch für einen epischen, von stellaren Synthies unterspülten Refrain aufmacht. Man kennt die Art der Melodien von Merritt mittlerweile freilich, weswegen selbst in dieser bedächtigen Umgebung nicht zwangsläufig so viel Euphorie einstellt, wie angebracht wäre – eher eine zuverlässige Begeisterung – bevor die Band immer mehr organischen, physischen Zugriff auf das Stück nimmt, mit massiveren Drums und Gitarren grundiert und ein gar nicht so heimliches Monstrum züchtet.
Slipping positioniert sich mit einem im Hintergrund versteckten Jesse Coppenbarger (Colour Revolt, El Obo) zwischen Ethereal und Dark Wave, schickt somnambule Gitarren über einen minimalistisch programmierten Down-Beat, malt Melodien mit vergänglichem Strich auf eine dunkle Leinwand aus fragiler Sehnsucht – verführerisch, unwirklich und melancholisch. Das sedative Locus ist gefühlt näher bei The Xx als bei Thrice oder Manchester Orchestra: Unscheinbar schleicht sich die Nummer heimlich mit einem mitternachtsschwer entschleunigten Klavier in Herzen: „Love is careless, love is blind“. Das Aufbegehren hinten raus mit dröhnender Wall of Sound in der Zeitlupe ist trotzdem so organisch und homogen gewachsen.
Only Other plätschert harmoniesüchtig über gezupfte Gitarrensaiten, kippt die Stimme in den Falsett, man darf gar an ganz frühe Portugal. The Man denken. O’Brother hätten hier mit massiveren Konturen ohne vermeintlichen Aufwand auch eine kraftvollen Poprock-Hit beschwören können, belassen es aber bei einer weich fliesenden Zärtlichkeit, deren nostalgische Streicher an frühe Other Lives-Großtaten gemahnen, bevor das Geplänkel aus Gitarren und Rhythmus in Spill On the Carpet die düstere Stimmung mit Hall und retrofuturistischen Synthies anreichert, sich hinten raus majestätisch erhebend gibt.
Wenn Leave Me Out sein Klavier massiv tröpfeln lässt, theatralisch wie A Whisper in the Noise intonieren und O’Brother die Nummer einer flehenden Heavyness in Slow Motion übergeben, dabei aber nicht konsequent genug drangsalieren, um eine wirklich auslaugende Kraft zu entfesseln, fehlt dem Finale der Platte vielleicht das letzte Quäntchen Gewicht, um gerade auch im Vergleich zur pointierteren Anfangsphase gravierenden Eindruck zu hinterlassen. Der Spannungsbogen findet jedoch auch ohne den ekstatischen Klimax einer Katharsis zu einer runden Entwicklung für O’Brother: You and I sucht eben nur selten das extravertierte Momentum, sondern vielmehr die intrinsische, distinguierte Evolution.
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