O’Brother – Endless Light
Nicht, dass ihr drittes Studioalbum tatsächlich ohne Dunkelheit auskommen würde. Aber mit der Rückkehr des Manchester Orchester-Doppels Andy Hull und Robert McDowell neben dem langjährigen gemeinsamen Kumpel Brad Fisher auf den Produzentenstuhl lüftet sich die erschlagend dichte Heavyness des Vorgängers Disillusion auf Endless Light doch eklatant.
Das schwierige Zweitwerk von 2013 gleicht auch heute noch einem dunklen Malstrom, einer drückend-dichten Herausforderung für Band und Hörer, die O‚Brother offenkundig sich selbst finden und über nicht geringe Wachstumsschmerzen eine ureigene Verortung erarbeiten hat lassen. Aus dieser Ausgangslage heraus lockert Endless Light die Klammern der Spannung nun wieder und sucht wie bereits das Debüt die Produktion von Hull und McDowell.
Wo das pointierte ‚Garden Window‚ aber nicht selten sehr deutlich von der Handschrift des Manchester Orchestra-Duos geprägt war, kann ‚Endless Light‚ nun eben auf eine größere Selbstsicherheit bauen und den mittlerweile ausformulierten Sound-Charakter einer Band, die weiß was sie kann und will. (Das Händchen von Death Of Day-Betreuer Fisher spielt freilich sicher auch eine Rolle). Vom martialische stampfenden, bedrohlich schiebenden Kriegsrhythmus im eröffnenden Slow Sin (da darf man kurzzeitig durchaus an den Einstieg in die AFI-Glanztat [amazon_link id=“B00008GQVU“ target=“_blank“ ]Sing the Sorrow[/amazon_link] denken) bis zum leise verglühenden Finale von Realm of the Physical entwickelt sich Endless Light so über eine erst immer dichter gestaffelt intensivierte, dann beharrlich selbst beruhigende, verzweigtere Spannungskurve zu einer weniger klaustrophobischen, leichteren und bisweilen auch luftigeren Variation des zähflüssigen Disillusion.
Also eine luzidere Version des installierten O’Brother-Amalgams, das sich mehr denn je wie ein ureigen assimilierter Schmelztiegel der Einflüsse ausbreitet, diese aber zugänglicher interpretiert als zuletzt. Dennoch verlangt und fordert Endless Light Zeit und Geduld, bevor es sich entlang introvertiert auftretender Gesten zu einem erschlagenden Ganzen verwächst, wie seine Vorgänger nur langsam seine tatsächliche Größe Preis gibt und seine Schönheit stets hinter einem undurchdringbar harten Panzer zu kultivieren scheint: Endless Light ist auf einer feingliedrigen Schwere erbaut, die sich von der hymnischen Alternative Rock-Tauglichkeit der späten Thrice zu der Wucht der Deftones zu träumen scheint – und O’Brother dabei mehr denn je wie keine andere Band da draußen klingen lässt.
Endless Light strotzt noch formvollendeter und reichhaltiger vor den gespenstisch durch alle Schichten der vieltexturierten Produktion hallenden „Aaah„s- und „Oooh„s, den verwunschenen Harmoniegesängen in den Arrangements rund um Tanner Merritts so sensationellen, androgynen Falsettgesang, der sich neben energisch zupackender Aggressivität genauso wohl fühlt, wie in den ätherischen Höhen von Jeff Buckley oder der Dramatik von Matthew Bellamy. Überhaupt darf man nicht nur während Complicated End Times dann tatsächlich darüber sinnieren, wohin es Muse verschlagen hätte können, wenn sie nicht dem Mainstream verfallen wären – dass Tanner Merritt im Zuge von Endless Light von „Apocalyptic Space Pop“ spricht, ergibt dennoch auf zahlreichen Ebenen Sinn.
Vor den sinnsuchenden Texten steigen die Melodien sphärisch und verwunschen auf, kommen ohne klare Konturen aus und können sich nichtsdestotrotz in eine immense Massivität zurücklehnen. So vieles an dem üppigen Endless Light scheint unterschwellig zu passieren, provoziert die immanente Katharsis nicht nach einer genrespezifischer Formelhaftigkeit. Die raumfüllende Präsenz der Kompositionen dreht sich hartnäckig um sich selbst und löst ihre Intensität nur selten durch konkrete Ausbrüche auf, die überwältigende Atmosphäre der abstrakt-kompakten Soundlandschaften fühlt sich eher wie ein immer nachdrücklicher einwirkender Sog an. Endless Light ruft die ganze Bandbreite seiner Emotionen mit einer Ästhetik des Unwirklichen, Transzendentalen auf, agiert aber gleichzeitig mit der kompakten Härte einer erhabenen (Post-) Metalband und kultiviert in einem unverrückbaren Spannungsfeld aus Post Hardcore, experimentellen Grunge- und psychedelischen Sludge-Versatzstücken sowie der Weitläufigkeit des Postrocks einen Reigen unerbittlich faszinierender Eigenwilligkeiten voller fesselnder Erhabenheit und dystopischer Tiefe, die aus verbrannter Erde hin zu einem letztendlich leise glimmernden Funken Hoffnung steuern.
„I saw the end of time/ I saw the world burning“ klagt Merritt im verschleppten Groove des mit später wahrhaftig großen Refrain aufmachenden Deconstruct, auch das mit beißendem Bass grummelnde Your Move drückt mit biblischer Schwere wie die stärksten Momente der jüngeren Dustin Kensrue-Vergangenheit, bleibt dabei aber angenehm uneindeutig und nicht belehrend, wo Endless Light ohnedies über weite Strecken als ein Mysterium an der Grenze zu süchtig machenden Ohrwürmern funktioniert. Nahezu die gesamte erste Hälfte der Platte flirtet so mit einer komprimierten Eingängigkeit, liefert sich der theoretisch vorhandenen, erschlagenden Hittauglichkeit aber nie aus – am fesselndsten nachzuhören vielleicht eben in Complicated End Times, dass weniger Interesse daran hat als Single zu taugen (und damit auf sich alleine gestellt abseits des Kontextes wie vieles auf Endless Light nicht restlos befriedigend wirken kann), denn als hypnotisierendes Loch ohne Boden einen Paradigmenwechsel im primär forcierten Gesamtwerk heraufzubeschwören – ab dem zuerst so launig-beruhigend treibenden, dann eruptiv gen Caspian brodelnden Burn legen O’Brother ihr Songwriting noch oszillierender, epischer und bewusst weniger knackig aus.
Bloodlines benötigt gerade einmal viereinhalb Minuten, um sich immer manischer in seine Emo-Schale zu sprengen, der Titelsong gehört in seiner weihevoll pulsierenden, immer dringlicher verzweifelnden Melancholie zum Besten, was 2016 bisher hervorgebracht hat. Black Hole wandelt dagegen vom zurückgenommenen Akustik-Einsiedler zum streifenden Rhythmus-Leviathan und geben damit das Programm vor. O’Brother bleiben auch in Folge strukturell schwer auszurechnen, wechseln immer wieder Tempo und Auslage, schlängeln ihr Songwriting um das Silbertablett.
Dass dem Quintett aus Atlanta hinten hinaus in dieser progressiven Gangart trotz einer verletzlich forcierten Intimität gelegentlich der Fokus abhanden kommt und Endless Light ein wenig ziellos in seiner Einzigartigkeit schwelgt, beschert jedoch nur Abzüge in der B-Note. Alleine schon deswegen, weil das abschließende Realm of the Physical seine majestätische Lagerfeuer-Stimmung umso reizvoller in eine beharrlich ausfadendes Nichts zieht und den herbeibeschworenen finale Ausbruch vergeblich suchen lässt. O’Brother ziehen Endless Light stattdessen in ambient schimmernde, dösende Soundscpapes, in deren Unergründlichkeit man sich endgültig verlieren kann: „There is a time and a place/ For a miracle/ I hope this is it/ I need it now in the realm of the physical/ Time is leaking in„. Alle Silhouetten lösen sich hier versöhnlich auf, bescheren einen jener nachhaltigen Momente der unklaren Eindringlichkeit, wie ihn nur diese Ausnahmeband zu kreieren versteht, und beenden damit eine letztendlich bisweilen magische Odyssee.
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