Nun Gun – Mondo Decay
„Nun Gun is the award-winning multimedia collaboration between visual artist Brad Feuerhelm, and musicians Lee Tesche and Ryan Mahan of the acclaimed band Algiers.“ Es gibt allerdings noch mehr über Mondo Decay zuerfahren.
Weitschweifend erklärt der Zusammenschluss die Intentionen, Inspirationen und Praktiken hinter dem Debütalbum: „Mondo Decay focuses the group’s critical practice on the genre of horror itself, most notably the troubling sights and sounds of 60s and 70s Italian Mondo, cannibal and zombie exploitation films by Gualtiero Jacopetti, Umberto Lenzi, and Lucio Fulci.“
Das Kollektiv bringt „tape music vanguard Halim El-Dabh, Vladimir Ussachevsky and Delia Derbyshire; dub and bass culture innovators King Tubby and Scientist; and Houston dance music and rap pioneers Darryl Scott and DJ Screw“ oder „Riz Ortolani, Roberto Donati, and Fabio Frizzi“ als Einflüsse ins Rennen, nutzt „antiquated resources—various tape recorders, tape echoes, low-bit-rate samplers, and short wave radio equipment“ und lädt auf die Gästeliste „Pop Group’s Mark Stewart; Chicago no-wave industrial gospel godfathers ONO; Cleveland, Ohio’s genre and gender non-conforming Black Culture amalgam Mourning [A] BLKstar; renowned authors Blake Butler, Sohail Daulatzai and Michael Salu; Brazil-born, Berlin-based visual artist Luiza Prado; and musician/designer Farbod Kokabi“.
Soweit so gut. Auf weniger obskuren, oder zumindest naheliegenderen Anhaltspunkte bezogenen Orientierungspunkten, klingt Mondo Decay dann wie der von allen Konvention befreite, radikale Nachhall zu den auf There Is No Year gezeigten Tendenzen. Am deutlichsten wird das in On Neurath’s Boat, das wie eine wunderbar sedative Annäherung an Algiers, obgleich die Hooks soulig als Nachtschattengewächs erblühen.
Selbst hier – und noch mehr das Gesamtwerk betrachtend, assimiliert der gleichermaßen anziehende wie subtil beklemmende Kopfkino-Soundtrack-Rahmen im ästhetisch homogenen Ganzen stilistische Versatzstücke des Post Punk sowie -Industrial oder No Wave, dekonstruiert Strukturen und Formen, und bastelt daraus vitale, cinematographisch funktionierende Experimente, die im ständigen Verfall zu agieren scheinen, eben wie entschleunigte Liebeserklärung an Genre-Schocker von vor vierzig bis fünfzig Jahren, um den Horror im Kapitalismus zu finden.
Der psychedelisch entrückte Ambient in The Spectre lotst eine maschinell dösende Downbeat-Zeitlupe in die klaustrophobische, düstere Melancholie, rezitiert zu Noise-Gitarren über einem wehklagend-beruhigend, verführenden Abgrund, erzeugt hypnotische Halluzinogene, später beinahe retrofuturistisch. Stealth Empire verleibt sich den Disco-Synthwave mit kaputten 80er-Flair samt fiebrig treibendem Saxofon ein. In Beef Diet scheppern karge Rhythmen, pluckern somnambul an der Distortion in Richtung Suicide. Gold Mine zieht die Zügel mit sinistrem Groove straighter an, während More Viscous Than Dawn dessen beunruhigender Unaufgeregtheit mit beklemmendem Suspense artikuliert, jazzig und delirant, als würde die Imagination langsam schmelzen und verwischen, dabei aber stets gleich fesselnd bleibend.
Excusable Homicide geht diesen Weg mit doomjazzigen Saxofon und Piano zum Trip Hop-Ungemach weiter, während The Aesthetics of Hunger abstrakt-trappigem Alptraum-Hip-Hop und Under the Throne dem Dub dient, bevor das nahtlose Trio aus Addio Zio Sam, I Used to Wear a Face und America Addio den minimalistischen Weg des symbiontischen, globalen Postrock-Score jenseits von Grails und Earth in den Drone wandelt und so leise, so geduldig verglüht. Die Ästhetik ist dabei so faszinierend, wie die Klanglandschaften auch als durchkompomponierte Songs funktionieren, was Mondo Decay zu einem Werk macht, dass den Hintergrund eindringlich einnehmen kann, mit der nötigen Zuwendung jedoch mit Haut und Haaren frisst. Auch nach knapp einem halben Jahr Rotation (und einer nachfolgenden Dub-Variante) hat der Einstand von Nun Gun jedenfalls nichts von seinem mysteriösen, dystopischen und auch apokalyptischen Reiz verloren.
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