Noel Gallagher’s High Flying Birds – Who Built the Moon?
Die Spannweite zwischen klassischem Traditionsbewusstsein und einer relativen Unkonventionalität bleibt freilich eine übersichtliche, aber dennoch: Noel Gallagher treibt seine High Flying Birds mit Produzent David Holmes auf Who Built the Moon? tatsächlich bis zu einem Grad hinauf auf die Tanzfläche.
Gut, den Zug zur Upbeat-Disco hatte Noel in jüngerer Vergangenheit ohnedies immer wieder gerne. Besonders wenn Johnny Marr für Songs wie Ballad of the Mighty I vorbeischaute. Die Vermutung, dass das dritte High Flying Birds-Album seit dem Oasis-Split insofern aber noch einen gehörigen Schritt weiter gehen könnte, zeichnete sich jedoch bald nach 2015 ab – durch das Remix-Intermezzo Where the City Meets the Sky – Chasing Yesterday: The Remixes sowie die Wahl von Elektro-Styler David Holmes als Produzent von Who Built the Moon?. Spätestens mit den Vorabsingles war allerdings klar, dass da was im Busch ist.
Schließlich ist das inkognito daherpolternde Holy Mountain mit Paul Weller an der Orgel wahrhaftig das vielzitierte She Bangs-Cover von den Vaccines, das es so nie von den Vaccines gab – inklusive wuchtigem Rhythmus, Chören, fetten Bläsern und marscthierenden Flöten. Das lauernde It’s a Beautiful World provoziert den groovige Hüftschwung dagegen weniger durch ausgestellte Opulenz, als durch das Zusammenspiel aus einem funky-satten Bass und einem vorsichtig steppende Schlagzeug, obgleich Gallagher und Holmes viel spirituellen Raum hinter den nonchalante Tanzmoves der lavalampenartigen Atmosphäre und Charlotte Marionneaus Gastgesang lassen. Eine Shangri La-Hypnose für ein friedfertiges Manchester mit Lächeln im Gesicht und französisch Scheinabgang.
Und da reden wir noch nicht einmal von She Taught Me How to Fly, diesem nett anziehender Pop mit glitzerndem Spiegelkugel-Feeling, der so lange dünn und beliebig wirkt, bis Noel einen catchy Refrain rausrückt, der den unverfänglichen Singalong zur Infektion macht – und bei Jools Holland mal eben mit der hauseigene Scherenspielerin Marionneau aufwartete.
Böse Zungen (und natürlich The Kid selbst) wollten darin eine betont effekthascherische, überstürzt erzwungene Gegenreaktion auf den unlängst gelungenen Pragmatismus von Bruderherz Liam erkannt haben. Letztendlich funktioniert Who Built the Moon? nun aber gerade in seiner Summe erstaunlich rund – und ist freilich nur dann das konkrete Discoalbum des Noel Gallagher geworden, wenn Dig Out Your Soul seinerzeit ein waschechtes Psychedelic-Werk war.
Soll heißen: Alles eine Sache der Bemessungsgrundlage. Denn mögen die Gewichtungen sich nach Noel Gallagher’s High Flying Birds und Chasing Yesterday auch merklich hin zu mehr Beats, tollen Basslinien, transzententalem Wabbern und Experimenten im Sound verschoben haben, fühlt man sich auch auf dem polarisierende Impulse setzenden Who Built the Moon? unmittelbar zuhause. Dafür ist generelle Songwriting-Rezept und die Stimme dahinter einfach zu vertraut, zu klassisch, zu zuverlässig, zu bewährt. Gallagher und Holmes sind außerdem zu schlau, um eine waschechte Zäsur zu erzwingen – aber ambitioniert genug, um den bisherigen Horizont der High Flying Birds konsequent zu erweitern.
Wenn man Who Built the Moon? etwas vorwerfen möchte, dann, dass die Platte auf die obligatorischen Instant-Hymnen verzichtet, da Noel diesmal bewusst weniger oft auf Nummer Sicher geht, als auf Chasing Yesterday. (Dass man den strahlenden Bonustrack Dead In The Water – übrigens die einzige waschechte Ballade hier – als vielleicht schönste Nummer der Platte empfinden darf, sagt insofern eher mehr über den Puristen in einem aus, als über Who Built the Moon? selbst – während man befriedigend die vereinzelten textlichen Reminiszenzen auf die Oasis-Discografie vermerkt).
Die Songs des High Flying Birds-Drittwerks drehen sich oft im Kreis um sich selbst, lösen die aufgezeigten Motive weniger auf, als dass sie mit geschlossenen Augen über die Nacht hinaustreiben. Das gelingt ohne Ausfall, aber mit wechselhaftem Erfolg im qualitativen Ausbruch nach oben, zwischen stimmungsvollen Bagatellen und einigen Assen im Ärmel.
Das zu exaltiert in die Länge gezogene Fort Knox gibt etwa das Big Beat-Intro mit schiebendem Rhythmus, Hey Hey-Chören, die auch Kanye gefallen werden, Streichern und einem unfassbar nervigen Wecker-Inferno hinten raus – Noel hat sich hier 17 Jahre nach Standing on the Shoulder of Giants einen Nachfolger zu Fuckin‘ in the Bushes gebastelt, der näher am Soul als am toughen Sex schrillt. Keep on Reaching pocht danach Richtung Casino und betrachtet eine megalomanische Show samt schillernden Tänzerinneen und aufgepumpten Bläsern.
Be Careful What You Wish For gibt sich dagegen zurückgelehnt und anachronistisch, gibt den Blues für verschmuste Momente. Noel singt hier so vorsichtig als müsste er flüstern über die mit viel Gefühl agierende Backingband (die sich live mittlerweile zwar Teile der Konkursmasse von Oasis und Beady Eye einverleibt hat, im Studio aber aus zahlreichen namhaften Sessionexperten zusammensetzte) – vielleicht schleust er deswegen langsam weibliche Chöre in die dösende Elegie, die als immer noch beatorientierter Ruhepol der Platte die Ästhetik von Come Along mit Geschmack versehen hat.
Der lockere Twang von Black & White Sunshine hätte in seiner sehnsüchtigen Melodieseligkeit und leicht rauen Kante durchaus auch auf Chasing Yesterday stattfinden können, bleibt jedoch trotz seiner launigen Streicher und Springsteen-Dringlickeit ohne unbedingten Biss etwas zu wenig nachhaltig und ist praktisch vorbei, bevor der gute, aber eben nicht packende Song irgendwo angekommen ist.
Gerade im letzten Drittel der Platte, zwischen dem relaxten Folkgeplänkel des Chillout-Traums Interlude (Wednesday Pt. 1) sowie der geduldig weiterperlenden Vintage-Nostalgie End Credits (Wednesday Pt. 2) trumpft Noel allerdings erst wirklich groß auf, indem er den Spagat zwischen altbekannten Trademarks und einem frischen Wind im Sound am zwingendsten meistert und sein Songwriting zu typischer Größe wächst. Das überragende If Love Is the Law wird von organisch stampfenden Drums sowie einem motivierten Johnny Marr (an der Gitarre und Mundharmonika) nonchalant gezogen und legt sich mit viel zeitloser Leidenschaft in seine optimistisch angetauchte Melancholik, bevor der plättende Quasi-Titelsong The Man Who Built the Moon mit dramatischem Breitwandformat in eine Bond’sche Theatralik im Westernoutfit anschwillt.
Selbst dieser triumphale, etwas zu abrupt wieder verglühende Abschluss macht das nicht an allen Stellen restlos zu Ende gedacht wirkende Who Built the Moon? sicher trotzdem nicht mehr zur besten Noel-Soloplatte – aber zur bisher vielleicht deutlichsten, wenn es darum geht zukunftsfest zu veranschaulichen, weswegen eine Oasis-Reunion mittlerweile wohl tatsächlich von überschaubarem Reiz wäre.
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