No One Knows What The Dead Think – No One Knows What The Dead Think

by on 11. September 2019 in Album, Heavy Rotation

No One Knows What The Dead Think – No One Knows What The Dead Think

Was sich selbst angesichts der unerfüllbar geschürten Erwartungshaltung kaum leugnen lässt: No One Knows What the Dead Think haben (trotz bald noch nachfolgender, potentiell konkurrenzfähiger alter Bekannter) mit ihrem selbstbetitelten Debüt ziemlich sicher die Grindcore-Platte des Jahres aufgenommen.

The definitive ending to the piloted bullet hell grind album series started in 1992“ also. Ob sich Rob Marton und der hierfür nach dem epochalen 2014er-Ende von Gridlink mit Longhena exklusiv aus dem vorzeitigen Ruhestand zurückgekehrte Jon Chang einen Gefallen damit getan haben, No One Knows What the Dead Think derart explizit als Kumulation der gemeinsamen Geschichte ihrer ehemaligen Band Discordance Axis zu platzieren?
In die Fußstapfen der Grind-Legende tritt es sich eben trotz personeller Zweidrittel-Überschneidungen in der prolongierten Beinahe-Reunion keineswegs so einfach. Und das, obwohl die (weiterhin ihre Zeit bei den ihren Heysdays hinterherhinkenden Municipal Waste verschwendende) Bestie Dave Witte durch den ehemaligen Cohol-Drummer Kyosuke Nakano durchaus annähernd adäquat ersetzt wurde. Spätestens dass das Trio nach dem Sample-Interlude Red Echoes (mit seiner aus dem hallenden Äther kommenden Rede) jedoch kurzerhand über eine Neuinterpretation der Discordance Axis-Nummer Dominion (ihres Zeichens der Opener des ersten Studioalbums Ulterior) als Closer von No One Knows What the Dead Think den Kreis schließt, verdeutlicht: Unter einem weniger dreckig-rohem Sound, einer aufgeräumteren Performance und weniger archaisch-unwirscher Urgewalt-Brutalität knüpfen Marton und Chang nicht kopierend, sondern traditionsbewusst unter neuen Vorzeichen an die eigene Vergangenheit an, verstehen diese nicht nur als selbst auferlegte Bürde (an der man zwangsläufig scheitern muß), sondern auch als Qualitätsmerkmal, Booster und Chance.

No One Knows What the Dead Think erfindet das Genre und die hauseigene Messlatte also  nicht neu, referenziert gerade den unerreichbaren Klassiker The Inalienable Dreamless als stilistischen Ankerpunkt ( wo Gridlink höchstens für Desihn und Ästhetik vage Pate standen), auch wenn der so  relativ punktgenau zu erwartende Sound in seiner technisch extremen Präzision kontrollierter agiert, als Discordance Axis dies in der Vergangenheit jemals taten. Vielleicht kann man dem unfassbar tight und mitreißend auftretenden Trio deswegen vorhalten, dass die zehn Songs nie den Eindruck entstehen lassen, trotz all des wahnwitzigen Tempos und rasenden Wut könnten die nun aus Post-Cyberpunk-, Games-Kulturen- und nerdige Sci-Fi-Verweisen gespeisten Kernkompetenzen jemals in einem tatsächlichen Kontrollverlust eskalieren.
Die Katharsis, das weiße in den Augen und der Schaum vorm Mund – vieles, was Discordance Axis (und selbst die nur wenig dahinter rangierenden, eigenwilligeren, ambitionierteren Gridlink) auszulösen wussten, gelang bei den innovativeren Blaupausen insofern noch ein klein wenig hemmungsloser, euphorischer, erschöpfender und fordernder. Dennoch fühlt sich das stattdessen mit schärferen Klingen ausgestattete No One Knows What the Dead Think wie ein modern adaptiertes Feuerwerk an, dass alle Stärken des Genres in neuem Glanz auf ein Podest hebt, während Chang in der Produktion von Kevin Antreassian wohl besser denn je klingt.
Dieser Berserker von einem Sprinter macht schlichtweg grindigen Spaß, ist intensiv und hungrig, unbändigbar dynamisch, strotzt vor Energie und Spielfreude und entwickelt eine unstillbare Sogwirkung, die ungeachtet eines hinten raus minimal zerfahrenen Spannungsbogens noch so viel kurzweiliger erscheint, als es die tempogetriebenen 19 Reißwolf-auf-Speed-Minuten ohnedies sind.

Jeder Augenblick hier ist unbedingtes Ventil dafür, wie versiert Marton, Nakano und Chang in dem sind, was sie tun; das hier jede Szene aus der puren Freude an diesem Können entstanden ist; und dass da vor allem Songs waren, die schlichtweg raus mussten.
Immerhin hyperventiliert Yorha von der ersten Sekunde mit manischem Geschrei und bösem Gebrüll, dringlich-zwingenden Achterbahn-Gitarren und furiosen Blastbeats. Das brillante Autumn Flower tackert wie ein Reißwolf, growlt und keift, krönt sein brillante Riff mit einem tollen Break zur Mitte – doch das vermeintliche Ende ist eine Finte: Hinten raus lässt Marton die Saiten beinahe poppunkig mutieren. Mit welcher Leichtigkeit die Allstar-Kombo stets für neue Spannungen und Wendungen sorgt, ist also spätestens in der Eingangsphase beachtlich.
Dagger Before Me darf sein Schlagzeug in die Auslage stellen und kühlt den Siedepunkt kontinuierlich hinunter, um in einen doomigen Groove zu verfallen, pocht und kocht beharrlich, freilich zu aggressiv für einen relativen Ruhepol. Grandios! Rakuyo hantierte mit Elementen des Screamo und das absolut überragende Cinder triumphiert im Kontrast aus der offenen Gitarren und den akzentuiert bollernden Rhythmen, zwischen dessen Hook Chang mit dem die Stereo-Seiten wechselnden Gefauche das Szenario immer wieder ins ansatzweise Chaos stürz. Sayaka versteckt hingegen eine feine Melodien und Kaine assimiliert eine tollwütige Death-Kante – No One Knows What The Dead Think variiert sein Spektrum, ohne es aufzubrechen.
Die besten Momente der Platte verhalten sich damit als kompetentes Update tatsächlich ansatzweise so, wie es Blade Runner 2049 zu seinem Original-Vorgänger tut; die weniger genialen Augenblicke drumherum erweitern die gefühlte Discografie-Schnittstelle hingegen zumindest mit einer solch würdigen Klasse, die in ihrer eigenen Liga spielt und als Fortsetzung mit polierten Lens Flare-Effekten, aber der selben Seele funktioniert – wenn auch eben nicht ikonisch und somit nicht das letzte Quäntchen in Richtung Meisterwerk überschreitend.
Das Songwriting, die Ästhetik, das Songwriting: Alles hier ist im Grunde abseits der aufgezwungenen Maßgebung des angetretenen Erbes jedoch beinahe makellos. Womöglich sollte man diese atemlosen Stafette an bestechendem Material deswegen auch weniger als von der Vergangenheit überschattetes Abschlusskapitel sehen, sondern außerhalb des verabreichten Kontextes vielmehr wie einen für sich selbst stehen könnenden, so infektiösen Triumphzug durch den zeitlosen Status Quo des Grindcore, in dem die (eigens vermessene) Luft nach oben längst so verdammt dünn ist.

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