Nine Inch Nails – Not the Actual Events
Als es schon beinahe so schien, als würde Trent Reznor sein Versprechen (nämlich drei Jahre nach Hesitation Marks neues Material seines Flagschiffs zu kredenzen) brechen, wurde es auf einmal doch noch ein turbulentes 2016 für Nine Inch Nails.
Gut, untätig war man im Umfeld des 51 Jährigen ohnedies nicht. Der mittlerweile fix zum Bandgefüge gehörende Atticus Ross werkelte etwa in verschiedenen Konstellationen (vor allem mit seinem Bruder Leopold und Bobby The Haxan Cloak Krlic) an diversen Soundtrack-Projekten und hob gemeinsam mit seinem Spezi Reznor zudem den Score für Patriots Day und Before the Flood aus der Taufe. Währenddessen werkelte Reznor zudem selbst an einem neuen Webshop, der neben den definitiven Versionen von The Fragile, The Downward Spiral und Broken auch die The Fragile-Vertiefung Deviations 1 anbietet. Erst einmal zurückblicken, bevor es nach vorne geht, scheint die Devise zu sein.
Einen gewissen Nostalgiefaktor ohe Gemütlichkeit kann dann auch die überraschend nebenher aus der Hüfte geschossene Not the Actual Events-EP nicht abschütteln. Nine Inch Nails verweisen in jedem der fünf neuen Songs stilistisch auf bereits bekanntes, bereisen gefühltermaßen sogar explizit einzelne Phasen ihrer Geschichte: bei Dear World, darf man an The Slip oder Year Zero denken, The Idea of You schielt zurück auf den Industrial-Metal der 90, further down the spiral quasi.
Umso erstaunlicher, dass das sprunghafte Wesen von Not The Actual Events hier über 22 Minuten dennoch als geschlossenes Ganzes funktioniert. Vielleicht, weil die grundsätzliche Veranlagung jedes Songs gleich ausgelegt ist: Reznor und Ross verlassen sich bei allen Kompositionen auf relativ simpel gestricktes Songwriting, das stets auf einer einzigen Idee ausgelegt ist, während Attitüde, Ästhetik und Sound sich ausgefeilt darüber entfalten dürfen.
Das Motiv des die Richtung vorgebenden Branches/Bones ist etwa, rockend nach vorne gedrückt immer wieder extatisch den Fuzzverstärker durchzupressen, um im aufbrausenden Schwall unmittelbar die Bresche für Dear World, zu schlagen: Ein gefinkelt programmiertes Fiepen rund um ein gezirkelte Beats, das seine sogartige Atmosphäre über alles stellt, das akribisch gebasteltes Produktionswesen jedoch immer wieder für melodische Weite lüftet. Das hypnotische She’s Gone Away (mit How to Destroy Angels–Gattin Mariqueen Maandig an den Backingvocals) wiederum verlässt sich völlig auf seinen basslastigen Groove, gibt sich entschleunigt schleichend angenehm abgründig. Reznor gibt seiner Stimme Raum zur Entfaltung, setzt sie mal beschwörend sonor und dann wieder unheilvollen sprechend ein. Irgendwann schleppt sich She’s Gone Away selbst ein wenig in Trance – nur um abrupt ein Ende zu finden. Durchaus symptomatisch für die gesamte EP: Ein wenig haftet Not The Actual Events immer ein etwas unfertiger Ausdruck an – als wäre hier stets die Grundlage für klassische Nine Inch Nails-Tracks erschaffen worden, ohne aber das vorhandene Potential in letzter Konsequenz und mit einem gewissen Willen zum Risiko abrufen zu können.
The Idea of You versteift sich neben den Powerhouse-Drums von Dave Grohl auf ein stakkatohaftes Math-Riff im Wechselspiel mit den ausgelassen über sich selbst herfallenden Refrain, ist aber im Endeffekt zu eindimensional zündend und einfach zu durchschauen. Am spannendsten gerät deswegen auch das abschließende Burning Bright (Field on Fire), das Smells Like Teen Spirit in Slow Motion über einen dissonant kreischenden, immer exaltierter gnidelnden Gitarrenhintergrund (Chapeau, Dave Navaro!) im Noise-Nebel auflöst.
Es sind auch diese kleinen Details, die Not The Actual Events Gewicht verleihen. Wo die Songs an sich nämlich nicht zu unbedingter Euphorie hinreißen können, weiß die erzeugte intensive Stimmung und Ausstrahlung der Platte doch zu überzeugen. Das hat schließlich mehr Biss und Aggressivität als zuletzt, deutet an dorthin gehen zu können wo es schmerzhafter ist, als das (nichtsdestotrotz gerne unter Wert verkaufte) Hesitation Marks seine Gefälligkeiten vergab. Kurzum: Ob diese tollen Fingerübungen hier nun Ausschussware sind oder nicht – auf dieser Einstellung lässt sich aufbauen, klare Sache. Dass 2017 für Nine Inch Nails ein geschäftiges Jahr werden dürfte, kann also bereits jetzt in Vorfreude versetzen.
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