Nine Inch Nails – Hesitation Marks
Auf dem ersten Nine Inch Nails Album seit 5 Jahren lässt sich im akribisch arrangierten Detail wohl tatsächlich erstmals so etwas wie leichter Optimismus im Klangkosmos des Trent Reznor ausmachen. Vor allem ist ‚Hesitation Marks‚ neben nicht immer zündenden Weiterentwicklungsabsichten aber durch und durch business as usual.
Was man sich erlauben kann, wenn man so wie Reznor längst sein ureigenes musikalisches Reich verwaltet. ‚Hesitation Marks‚ bewegt sich in diesem nun so versiert wie es auch How to Destroy Angels, die andere Baustelle des 48 jährigen, es unlängst tat, geht dabei ebenso elektronisch aber doch rockiger zu Werke, ist quasi die dezent härtere Kehrseite zu ‚Welcome Oblivion‚ (vgl.: ‚While I’m Still Here‚ samt Saxofon-Exkursion oder ‚Black Noise‘). Eine, die es sich durchwegs und vordergründig gestattet ausgiebig in Nostalgie zu schwimmen und Innovationen erst auf den zweiten Blick und im Detail anzubieten.
Das beginnt beim Artwork von ‚The Downward Spiral‚-Künstler Russell Mills und setzt sich bei Songs fort, die wie in den ‚Closer‚-Ansätzen in ‚All Time Low‚ immer wieder klare Erinnerungen an alte Großtaten bedienen. An eben diese kommt das achte Nine Inch Nails-Werk nun niemals heran – zu bequem macht es sich die Platte dafür über weite Strecken in der eigenen Komfortzone, zu vorhersehbar bedient sie in diesen altgediente Trademarks – Reminiszenzen an Bowie‘s aktuelle Bagatelle dürfen durchaus aufblitzen. Dennoch gelingt Reznor das wahrscheinlich beste Album unter dem NIN-Banner seit dem kurskorrigierenden ersten Comebackalbum ‚With Teeth‚ von 2005, sicher das abwechslungsreichste seit ‚The Fragile‚.
‚Hesitation Marks‚ unterstreicht zwar einmal mehr, dass Reznor mittlerweile schlichtweg besser darin ist unverwechselbare instrumentale Soundlandschaften zu kreieren und diese mit seiner originären, vielschichtigen Produktionshandschrift auszustatten (das chronisch unter Wert verkaufte ‚Ghosts I-IV‚ sowie die Soundtrackarbeiten zu ‚Social Network‚ und ‚The Girl With The Dragon Tattoo‚) – auf ‚Hesitation Marks‚ tritt er jedoch auch den Beweis an, dass er durchaus noch (oder: mittlerweile wieder) in der Lage ist, ungeachtet der im letzten Jahrzehnt stattgefunden habende Talentverlagerung seine Klangkonstrukte auch als Songwriter (also im Gegensatz zu ‚Year Zero‚ und ‚The Slip‚) in greifbare, zufriedenstellende Kompositionen zu zwängen.
Nicht immer in restlos überzeugende: ‚Everything‚ biedert sich mit wavigem Basslauf beinahe zu aufdringlich zugänglich am Popappeal von The Cure in Verbuindung mit My Bloody Valentine-Shoegazing an; ‚Satellite‚ ist als der zweite im Kern der Trackliste platzierte, verhinderte Best-of-Song zu anstrengend am Hip Hop-Beat-Experiment platziert. Die beiden ältesten Songs der Platte bieten in ihrem gespaltenen Entdeckergeist jedoch ohnedies keinen allgemein gültigen Querschnitt durch ‚Hesitation Marks‚, sondern lehnen sich weiter aus dem Fenster als das Gros der restlichen Platte.
Vor allem in der Eingangsphase neigen zahlreiche Stücke an einer ermüdenden Sucht zur Überlänge, was schon beim routinierten ‚Copy of A‚ (textlich nicht ganz ohne Wahrheitsgehalt: „I’m just a copy of a copy of a…“) beginnt: wie Reznor sich die fünfeinhalb Minuten im Geiste als spannungsaufbauende Intesitätsverdichter zurecht gelegt hat und sich live dazu auch theatralisch die Instrumente aufstapeln lässt, ist vor allem ein Paradebeispiel dafür, dass vieles auf ‚Hesitation Marks‚ in der Theorie besser und intensiver funktionieren müsste, als es das dann praktisch tatsächlich tut – allerdings eben auch doch unheimlich funktional und ohne Konkurrenz im futuristischen Industrialrock auf diesem Niveau. In die selbe überraschungsarme Kerbe schlagen Songs wie ‚Came Back Haunted‚, ein brachial pumpender Stadionhit mit schiebenden Synthies der selben breitbeinigen Steroide-Marke wie ‚The Hand that Feeds‚, oder das ebenfalls aus wiederverwerteten ‚The Fragile‚-Zutaten aufbereitete Versatzstück ‚Various Methods of Escape‚.
Spannend kann man das vielleicht kaum mehr finden, aber anstandslos souverän, zweckmäßig, unterhaltsam und außerdem: dunkle Schönheiten wie das zwischen einsamen Pianoklängen schwelgende ‚Find my Way‚ oder das epische Stadion-Ereignis ‚I Would for You‚ klingen wie die schlichte Perfektion dessen, was Depeche Mode seit Jahren nicht mehr zustande bekommen – das beherrscht niemand sonst derart formvollendet wie Reznor.
Dazu ist ‚Hesitation Marks‚ unter der Oberfläche letztendlich auch noch durchaus der Wille Reznors anzumerken seine eigene Form der Vergangenheitsbewältigung mit dezenten Erweiterungen der Zukunftsaussichten aufzupeppen: erwähntes ‚All Time Low‚ endet insgeheim mit einem von Final Fantasy entlehnten Keyboardthema, arbeitet davor aber markant mit hibbelig groovenden Funk-Licks, während ‚Dissapointed‚ von schnipsenden The Xx-R&B-Rhythmen über kalten Noise bis zum tanzflächenfüllendem Jungle presst oder ‚Running‚ sinistre Club-Atmosphäre bis zu seinen in den Abspann grätschenden Gitarren dehnt. Innovationen im Keim also, keine Lippenbekenntnisse, allerdings oft Sackgassen.
Was bleibt ist die Erkenntnis, dass von Reznor endgültig keine markerschütternden Meisterwerke mehr zu erwarten sind – der mit sich selbst ins reine gekommene Musiker es aber mittlerweile durchaus adäquat darauf zu verstehen gelernt hat, sein eigenes Erbe zweckmäßig zu verwalten.
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