Nine Inch Nails – Ghosts V: Together
Dystopische Klangwelten für dystopische Zeiten: Nine Inch Nails liefern mit den ansatzlos veröffentlichten Instrumental-Doppel aus Ghosts V: Together und Ghosts VI: Locusts den Soundtrack für ein isoliertes Leben während der Corona-Pandemie.
Das vor knapp zwölf Jahren veröffentlichte Paket Ghosts I-IV hat sicher durchaus für einen Paradigmenwechsel im Wesen von Nine Inch Nails im Gesamten gesorgt, vor allem der Karriere von Reznor neue Perspektiven erschlossen, indem ihn die 36 instrumentalen Stücke über eine verinnerlichte Partnerschaft mit Atticus Ross nicht nur endgültig als Klangästhet positionierten, sondern auch als potentiellen Soundtrackbastler.
Gerade Ghosts V: Together stellt insofern (insbesondere auch nach dem Overkill an entsprechenden Veröffentlichungen der Kooperationsmarke Reznor & Ross im vergangenen Jahr) gewissermaßen eine Synchronisierung und vorläufige Formvollendung des seit damals separat beschrittenen Score-Weges dar: Die 70 Minuten der Platte funktionieren als ganzheitliche Kumulation der Stränge, indem sie nahe an den Filmmusik-Arbeiten verankert auch den Weg des simultan veröffentlichten, ebenso gratis downloadbaren Nachfolgers Ghosts VI: Locusts als Assimilierung einer Nine Inch Nails-Kernkompetenz-zentrierteren Gangart einleiten.
Dafür gönnen sich die neuen Songs nunmehr Titel anstelle von Nummern, lassen das fragmentarische, spontan komponierte und nur ästhetisch auf Linie Wesen von Ghosts I-IV auch hinter sich, um flächigeren Kompositionen zu frönen, die mit einer neuen Stufe der Geschlossenheit etablierte Tugenden in einer voluminösen Tragweite und kohärenten Dichte ausformulieren. Die zwei Instrumental-Werke sind dabei durchaus wie die beiden ambivalenten Seiten der selben Medaille zu interpretieren, indem Ghosts V: Together trotz einer immanenten Traurigkeit die grundlegend optimistischere Rolle übernimmt, dezidiert hoffnungsvoller und (auch artworkttechnisch) heller auftritt.
Zudem sind die acht versammelten Stücke in ihrer relativ simpel konzipierten, ausladend angelegten Masse auch deutlich stärker als Stimmungsmusik konzipiert. Als ruhige Ambient-Nummern müssen sich im Umkehrschluss deswegen auch eher den Vorwurf gefallen, in ihren schwächeren Momenten keine gravierende Expansion bereits bekannter Gefilde anzubieten, kein essentielles Neuland jenseits einer selbstreferentiellen Komfortzone zu erschließen.
Gerade im Mittelteil der Platte ist dies der Fall. With Faith ist etwa über ein gar zu typisches Motiv gedacht, das zwar durch sein kultisch atmendes, meditatives auf- und abebbendes Mantra sowie retrufuturistisch nuancierte Schattierungen überzeugt, in Summe aber doch zu ziellos und verloren auftritt. Auch Apart zeigt trotz immanenter Klasse eine gewisse Redundanz, verlässt sich auf die die gesamte Platte prägende Entschleunigung, ein anziehendes Pianospiel und die eindringliche Atmosphäre, enttäuscht aber insofern, als dass der orchestral schimmernde Anstrich sich letztendlich nur als nicht weiter verfolgte Idee entpuppt – hier verschenken Ross und Reznor viel Potential zugunsten eines gehobenen Standards.
Auch das abschließende Still Right Here bleibt fragmentarisches Flickwerk mit dem Hang zum zwanglosen Mäandern – wenn zur Mitte hin aber ein wenig inspirierter Beat über angezogene Gitarrenspannungen von der Leine gelassen wird, ist das innerhalb des Kontextes eines ansonsten ausnahmslos elegischen Albums wahlweise ein geradezu befreiendes oder aus der Rolle fallendes Ventil.
Die eigentlich Agenda von Ghosts V: Together liegt eben weniger im Lösen des Drucks, als im geradezu hermetisch konzentrierten, unaufgeregten und irgendwo auch beruhigenden Verinnerlichen sowie Auftürmen davon. Und auf dieser Ebene leistet sich das das offiziell zehnte Album der Band kaum Fehler.
Letting Go While Holding On ist nicht nur ein programmatischer Titel, der Opener tröpfelt auch exemplarisch im kontemplativen Tempo, perlt dazu aber beinahe kindlich-naiv. Ätherisch Ahnungen von Stimmen wühlen sich hinten raus zu einer choral-artigen Intensität – wozu Ari Aster sein nächstes Drehbuch verfassen könnte. Das Titelstück pflegt eine traurig-plätschernde Klavier-Melancholie, so vertraut wie wunderbar. Es sind jedoch die geborgen fühlend lassenden Arrangements, wie sakral gehaucht anmutenden Esoterik-Texturen aus Badalamentis Kirche, die in ihrer subversiven Wohligkeit betören, eine gedankenverloren auftauchende Gitarre umarmt eine dräuenden Keyboard-Wellengang. Out in the Open ist eine wärmende Suche in flackerndem Kerzenschein, während rundum die sinister-abgründige Dunkelheit lauert, ohne Zugriff gewährt zu bekommen.
Your Touch lässt die Computer fiepen und erinnert sich an eine alternative Realität der Vergangenheit im modulierten Space-Kontinuum. Hope We Can Again begegnet dem Weltende dort zuversichtlich bimmelnd und gemahnt in Zeitlupe an den Postrock von Mogwai, lässt dann die Ohren mit einem ziselierten Fiepen bluten und findet seine Zufriedenheit in einer Form, die mit wenigen Justierungen zur pathosschweren 80er-Ballade ohne Kitsch verlagert werden könnte.
Dass Ghosts V: Together trotz vager Referenzen außerhalb des hauseigenen Ereignishorizontes und einer unbedingten, allgegenwärtigen Selbstreferenz dabei dennoch stets eher imaginativ als assoziativ packt, emotional eintauchen lässt und auch viel eher erhebend als erschöpfend entlohnt, ist dann vielleicht die größte Stärke einer Platte, der selbst ein paar wenige zu ausführlich Umwege in Summe in die Karten spielen: Halo 33 ist eine monolithische Bestandsaufnahmen geworden – die ihr tatsächliches Gewicht aber erst als Zeitdokument verankert Rücken an Rücken mit ihrem zweieiigen Zwilling Ghosts VI: Locusts entfaltet.
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