Nicolas Jaar – Telas

von am 4. August 2020 in Album

Nicolas Jaar – Telas

Nicolas Jaar ist derzeit im Veröffentlichungs- und Experimentierrausch: Auf Telas verschraubt er scheinbar willkürlich minimalistische Elektronik-Fragmente zu vier eigenwilligen Monolithen.

Nach seinem zweiten Ausflug unter dem Against All Logic-Banner und nur wenige Wochen nach Cenizas erforscht Jaar damit über beinahe eine Stunde seine experimentelle Ader so deutlich wie lange nicht – gerade der Einstieg in Telas erweist sich dabei durchaus als schwierig, weil Telahora zwischen seinen Impulsen förmlich die Orientierung verliert.
Avantgardistisch durch den digitalen Hexler fließen lassender Free Jazz mutiert da zur rituellen Klangschalenmusik über eine hektische Percussion, die im Ambient eines astralen Flimmerns driftet, Science Fiction inhaliert. Irgendwas knarzt und knackt immer, mal verschieben sich nur mikroskopische Details und dann wieder verlagern sich die Geräusche drastisch, phasenweise ein wenig zu atemlos. Wenn eine Santaollala‚eske-Gitarre durch das subversiv fiepende Geschehen zupft, hätte man alleine diesem Part ohne Zeitgefühl noch weiter folgen können – er verschwindet jedoch ebenso unmittelbar, wie er aufgetaucht ist, bis das Stück plötzlich zu einem minimalistisch schnaufenden Mantra von maschineller Motorik im Neon-Rauschen findet, das sich letztendlich versöhnlich in den Schlaf säuseln lässt.
Das ist alles an sich gelungen, aber eben auch einfach zu überladen mit Ideen, die nicht domestiziert werden: Jaar köcheln die Ambitionen und Perspektiven über, er hetzt, hält kaum lange genug, um sich auf die Passagen einlassen zu können und lässt dadurch ein Gefühl der Willkür entstehen.

Ab dem folgenden Telencima wird Telas insofern besser. Weil Jaar hier eine Linie findet, den Flow instinktiv und nicht verkopft zulässt. Der konstantere Fokus der Nummer tut dem Track und seiner Tiefenwirkung gut – alles hier ist nachvollziehbarer, sogar, warum bei Telas von einem Schwesteralbum zu Cenizas die Rede ist.
Immerhin ist Telencima lange Zeit ein ruhige Installation, ein mystisches Hinabtauchen in entrückte Welten, die die 80er nicht als verklärte Nostalgie, sondern als Herausforderung betrachten. Quasi der Soundtrack zu einer andersweltarigen Dokumentation über ein digital schummerndes Abenteuer, das ein bisschen dort endet, wo Kid A den Kinderschuhen entwachsen ist, um Halluzinationen zu hegen.
Telahumo überträgt danach die Funkwellen einer fremden Galaxis trotz Störsignalen, bleibt durch rhythmische Wellen schlüssig. Jaar blendet für neues Segment gänzlich ab, lässt den neuen Part friedlich schlapfen, fantasiert von einem episodenhaften Mikrokosmos mit im Hall schwebenden Gesängen. Der wiederum nächste Teil wundert sich über deinen eigenen Aggregatszustand, doch selbst wenn die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen dieser Suite klar erkennbar sind, sorgst die Ordnung (im Gegensatz zu etwa Telahora) für eine weitaus homogeneres  Evolution – hier in Form einer repetitiven Saiten-Mediationen, die sich im Drone auflöst, und ein letztes Mal als esoterische Aufbruchstimmung ins Nirwana aufblendet.

Sobald in Telallás der Input nur minimal in eine weit entfernte Landkarte aus Synth-Nebeln tröpfelt, der Closer zur Mitte hin den meditative Kontemplation Konturen zugesteht, und eine unendlich geduldige Schamanenhaftigkeit mit tablaartiker Transzendenz umschließt, lässt sich mutmaßen, dass Jaar hier vier verschiedene Annäherungen an ein übergeordnetes Konzept und Muster gebastelt hat. Telas versammelt vier Formwandler, die mit unterschiedlicher Dynamik, Dringlichkeit und Intensität an ihren Phasenverschiebungen arbeiten.
Nicht alle Stücke kommen dabei gleich ergiebig an, schießen mal über das Ziel hinaus und verlieren sich auch mal in den Optionen – in Summer unterstreichen sie jedoch vor allem die eigenwillige Ausnahmestellung von Jaar, dessen dritte Platte im Jahr 2020 nicht nur vordergründig am Kontrast der beiden noch besseren Vorgänger-Veröffentlichungen scheitert, sondern auch daran, dass das Album auf sich gestellt ohne die visuelle Installation des Künstlers Somnath Bhatt sowie telas.parts einfach nur bedingt funktioniert.

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