Nick Cave & Warren Ellis – Carnage
Carnage, ein im Corona-Jahrgang 2020 mangels Tourmöglichkeiten (und neben Solo-Klavierkonzerten) spontan entstandenes Kooperations-Werk, legt Zeugnis an: Die Cave and Ellis AG produziert nun nicht mehr nur Soundtrackarbeiten unter ihrem Duo-Banner.
Insgeheim war ja bereits die jüngste Bad Seeds-Trilogie, bestehend aus Push the Sky Away (2013), Skeleton Tree (2016) und Ghosteen (2019), als Konzentration auf die kreative Achse aus Nick Cave und Warren Ellis eigentlich primär eine Ausdrucksform jener Kooperation, die seit The Proposition im Jahr 2005 eine ausgiebige Stafette an gemeinsamen Film-Scores abgeworfen hat.
Nun aber sind die Bad Seeds selbst aus der Rolle der Erfüllungsgehilfen für das australische Doppel getreten, wovon eventuell auch die Aufteilung der Buchstaben des Titels Carnage als Initialen-Platzhalter (vielleicht – neben womöglich anderen Dingen?) am Cover hinweist .
Ein Bekenntnis zum Status Quo jedenfalls, der den Bogen stilistisch nicht nur über besagtes Triumvirat der 10er-Jahre spannt, sondern vereinzelt gar in einer Zeit blickt, in der der haarige Universalmusiker Ellis noch eine weniger gewichtige Rolle im Wirken des Bandgefüges einnahm. So ist Carnage ein ebenso fragmentarisches wie homogene Sammelsurium aus erstaunlich kompakten und zugänglichen Einzelsongs geworden, dessen Mosaikstücke selten an Entwicklungen interessiert sind, sondern sich strukturell nahezu ausnahmslos um etablierte Motive drehen, die Form des Songwritings als szenische Selbstreferenz begreifen und damit ebenso die Vorzüge wie Schattenseiten der Synergie von Cave und Ellis unterstreichen.
Für letzteres sorgt übrigens beinahe im Alleingang das katastrophale White Elephant, leider auch in der Funktion als sechsminütiges Herzstück der Platte. Im erst noch atmosphärisch tollen, elektronisch schlapfenden Drone rezitiert Cave distanziert in Angriffsstellung und droht als Grinderman „I’ll shoot you in the fucking face!“, während die Streicher irgendwann unangenehm billig aus der Dose gekrochen kommen. Spätestens sobald der Song ab der Hälfte in einem pathetischen, substanziell extrem dünnen und gleichzeitig viel zu dick auftragenden „The time is coming!“-Chor aufgeht, ist das ein pseudo-sakrales Destillat aus all dem Kitsch, der bereits an Ghosteen übersättigen konnte – nur noch eindimensionaler und bemühter, penetranter und schablonenhafter. Wenn im Hintergrund Bläser flanieren und im Hypeman-Modus jubilierend gecroont wird, wirkt das gar wie eine Selbstpersiflage. Die Balance von O Children ist eben lange, lange her und White Elephant einer der schlechtesten Songs in Caves gesamten Repertoire.
Drumherum sind es glücklicherweise jedoch höchsten einzelne Details, die abseits des Fokus minimal stören können und ohne Frustration verhindern, dass Carnage eine wirklich magische Ausstrahlung oder die emotionale Tiefenwirkung der Bad Seeds-Standards erreicht. Der Opener Hand of God wäre etwa in seinem Goth-Flair noch faszinierender ausgefallen, würde der pumpende House-Club-Beat als zugegebenermaßen per se interessantestes (weil unorthodoxeste) Element des Songs nicht auch das am simpelsten (weil so unbeirrbar monoton) gestrickte sein. Einstweilen gehen die nautischen Streicher elegisch und nostalgisch, sehnsüchtig und schwer in einer Mystik auf, die zu gleichen Teilen erhaben und diffus neben der Spur treibt.
Der Rest gleicht einer spirituellen Fingerübung. Das famose Old Time erinnert mit seinem lauernd abgedämpften, bedrohlichem Bass, dem Rhythmus und den aufbrandenden Streichern an eine angepisste Perspektive auf Skeleton Tree: Ellis streift seine Violine zwischen Noise-Ideen und Schuld-und-Sühne-Western, erzeugt ein verzaubertes, zielloses Flair. Der ebenbürdige Titelsong lässt sich mit ätherischen Chören orchestral sanft und körperlos in Zeitlupe pulsierend vom schöngeistigen Wesen eines Ghosteen-Nachhalles schieben, öffnet sich verträumter Melodieseligkeit und badet in der Komfortzone. Albuquerque sucht in dieser Ausgangslage den Hybrid-Schulterschluß mit Love Letter von No More Shall We Part. Klavier und Synthie umarmen sich sphärisch, pinseln sich entschleunigt als kuscheliger Wohlfühlfaktor ohne Gänsehaut den Bauch, verklingen in pastoraler Anmut.
Lavender Fields ist ein majestätischer, subversiver Streicher-Score, nachdenklich in seiner Repetition wiegend. Die überblickten Felder scheinen endlos, kleiden sich in Details und sprießen sorgsam arrangiert – man kann sich in diesen ambienten Kosmos elysisch verlieren, bevor Shattered Ground eine versöhnliche Klangwelt skizziert, in der der Schmerz von Distant Sky nicht verklungen ist, aber doch alles wärmer und weicher, optimistischer scheint, und der beschwörende Vortrag eine tröstende, kaum greifbare Grandezza im Abschied findet, mit dem Carnage letztendlich seinen Frieden zu schließen scheint: „Goodbye, goodbye, goodbye/ Oh baby, oh baby.“
Dass die finalen Meter dann eine geradezu versöhnlich Aufbruchstimmung („And what doesn’t kill you just makes you crazier„) und auch Romantik („This morning is amazing and so are you„) im Minimalismus einer verletzlichen Klaviernummer finden, nach der Schwere der Trauer-Alben gewissermaßen durchlüften, ist der womöglich schönste Aspekt eines Albums, das in erster Linie viel Last von den Schultern der kommenden Bad Seeds-Veröffentlichung nimmt.
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