Nick Cave & The Bad Seeds – Wild God
Die ambienten Keyboardflächen von Ghosteen bleiben als Basis des Songwritings in unmittelbarer Nähe, Warren Ellis der einzig relevante kreative Reibungspunkt. Doch kehrt Nick Cave in die Arme seiner Bad Seeds relativ happy und voller Optimismus zurück: Wild God zeigt eine Band, deren Kopf sich wieder am Leben zu erfreuen versucht.
Vor allem das mit dem Kitsch liebäugelnde Cinnamon Horses findet (wie es der Titel mit dem bei Cave beliebten Pferde-Motiv schon andeutet) rein ästhetisch tatsächlich keineswegs weit vom 2019er-Vorgängeralbum statt. Es bindet die Bad Seeds jedoch auch nur am Rande mehr ein, als das zuletzt oft der Fall war.
Wo Jim Sclavunos, Thomas Wydler, Martyn P. Casey (dessen Bass auch gleich zu Beginn mal Colin Greenwood von Radiohead übernimmt) und George Vjestica ganz generell aus dem Schattendasein als gefühlte Zuschauern in den Rollen der passiven Erfüllungsgehilfen also entgegen vieler anders lautender Ankündigungen höchstens wieder ein Stück weit an ihren alten Status Quo heranrücken, ist die Präsenz des Double R Collective weitaus auffälliger: Neben bisweilen opulenten Streicher-Arrangements und Ben Frost-Input schmiegen sich Chöre an alle Songs und formen das durchaus wieder griffiger gewordene Songwriting zum ausgewiesenen Soul- und Gospel-Album von Nick Cave und Warren Ellis. Vielleicht auch zum distinguierten Gegenstück des verschwitzt und archaisch rocken wollenden Testosteronschubs Dig, Lazarus, Dig!!!.
Eine Sichtweise jedenfalls, die Wild God eine schöne Klammer um die Trilogie aus Push the Sky Away (2013), Skeleton Tree (2016) und Ghosteen (2019) legen ließe.
Wo die Melodien etwas ebenso flüchtiges wie erbauendes haben, geben die Texte eine Zuversicht wider, die vor fünf Jahren undenkbar schien. Im erwähnten Cinnamon Horses heißt es so etwa poetisch: „I told my friends some things were good/ That love would endure if it could/ …/ Because love asks for nothing/ But love costs everything“. Narben sind geblieben, aber das Leben geht weiter. Man darf es auch durchaus wieder schön finden. Und Wild God will diese Schönheit geradezu demonstrativ feiern.
Am ansatzweise überwältigendsten gelingt dies in Long Dark Night, das wie ein Rückblick auf die Grandezza von No More Shall We Part in die Arme nehmend schwoft und einen der besten Refrains des Cave‘schen Kanons zum Instant-Klassiker auffährt. Song of the Lake dreht seine Runden schon davor zuversichtlich lächelnd durch einen eleganten bimmelnden Ballsaal und beginnt damit gewissermaßen dort, wo die Vorgänger kein Happy End finden konnten – und als Kompromiss zwischen einem neuem Band-Kapitel und dem Epilog zur besagten vorangegangen Trilogie.
Conversion gibt sich erst still und intim zurückgenommen, nur Ellis säuselt typisch im Hintergrund einer spirituellen Esoterik, bevor der Song hingebungsvoll in den Himmel steigt und sich erhebend ausbreitet. Mit derselben Struktur hin zum erlösenden Finale verbindet das Titelstück dann gewissermaßen kammermusikalisch zum Pop schwelgend Abattoir Blues / The Lyre of Orpheus mit Push the Sky Away, setzt beispielsweise auf Cembalo, Klavier oder tröpfelnde Gitarren, während der Hall auf den Drums und der Einsatz der Streicher ein synthetisches Gefühl verleihen, bevor Cave den Knopf für einen schier hymnischen Klimax öffnet. Die auf Wild God gängige Praxis des Fade Outs kommt übrigens nur hier wirklich lieblos, weil viel zu abrupt eingesetzt daher.
Auch diese Highlights haben so zwar nicht die Urgewalt, die Cave in seinen emotional erschütterndsten Gänsehaut-Momenten bisher immer garantiert hat – sie fügen sich aber homogen in das konstante, ausfallfreie Niveau einer seine eigentliche Qualität inszenatorisch etwas überhöhenden, gelegentlich zu dick auftragenden Platte ein, deren gefällige und bisweilen opulente Ausstrahlung (vgl. den ursprünglich intimen Closer As the Waters Cover the Sea) im besten Sinne angenehm und heilsam ist.
„And I will always, I will always love you“ singt Cave in der auf auf ein in Zeitlupe schunkelndes, leicht retrofuturistusch schimmerndes Final Rescue Attempt und legt sich in das behaglich wogend angedeutete Gemeinschaftsgefühl. In Frogs erzeugen Bläser einen sanften Wellengang von majestätischer Geduld und orchestralem Panorama. Die Single funktioniert im Kontext besser, als auf sich alleine gestellt, kränkt hier aber noch mehr mit ihrem plötzlichen Ende, nachdem sich die subversiv immer dringlicher werdend Sehnsucht flehend in der Gleichförmigkeit verdichtet. Joy nimmt ein atmosphärisches Klavierstück als Basis, um das Ethno-Effekte und ein cinematographische Ambiente zwanglos geistern zu lassen, um sich transzendental aufzulösen. Die Ellis’schen Chöre wogen genauso ätherisch herabplätschern wie seit Skeleton Key patentiert, und pflegen eine mäandernde Elegie, bevor Cave der Trauerarbeit letztendlich einfach nicht entkommen kann: O Wow O Wow (How Wonderful She Is) ist mit seiner Vocoder-Verfremdung eine polarisierende, aber stimmige Hinwendung zu Bon Iver und im smooth dahinlaufenden Groove ein rührender Tribut an die 2021 verstorbene Anita Lane, der dann im vom Tonband geholten Abspann auch ein paar der schönsten Zeilen der Platte gehören, die durchaus auch für die Form religiöser Erfahrung stehen können, die Caves Musik selbst einmal mehr vermittelt: „We tried to write a contract of love/ But we only got as far as doing the border/ There was never any words in it/ Which I thought said a lot more than anything else“.
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