Neutral Milk Hotel, Amen Dunes [02.08.2014: Arena, Wien]
Es gibt natürlich einfachere Voraussetzungen für eine Reunion, als wenn man sich vor knapp 15 Jahren mit einem Szene-prägenden Jahrhundertalbum verabschiedet hat. Jeff Mangum und Co. schrammen dabei mit unverklärtem Blick krachig an der Magie der alten Tage vorbei und machen bei ihrer bisweilen triumphalen Rückkehr alles richtig.
Ein bisschen ist der Abend auch abseits der Musik und vor dem großzügig bemessenen Wavebrakerbereich wie eine kleine Zeitreise: keine unzähligen Handydisplays schmücken die Sicht auf die Bühne, um verwackelte Video- und Bildaufnahmen der Show anzufertigen. Auf Bitte der Musiker herrscht allgemeines Fotografierverbot – eine angenehme Sache, das dürfte durchaus Mode machen.
Freilich steht manch einer asozial über diesem Wunsch, selten aber war der Drang Aufnahmen von Musikern zu machen doch auch derart nachvollziehbar wie an diesem Abend: die Optik von Neutral Milk Hotel hat sich über die Jahre bis an die Grenze zur Verkleidung gesteigert und geht zumindest als zelebrierte Exzentrik par excellence durch. Jeremy Barnes hat sich ein Bronson-Bärtchen stehen lassen um sich als österreichischer Thronfolger zu bewerben; Scott Spillane ist ziemlich aus dem Leim gelaufen und platziert sich irgendwo zwischen Gartenzwerg, Weihnachtsmann und Trucker; Julian Koster wirkt als hibbeliger Wichtel gleichzeitig eingeschüchtert und aufgedreht, springt im Kreis über die Bühne als wäre er bei einem Poppunk-Konzert; und Mastermind Jeff Mangum selbst ist bis zur Unkenntlichkeit verwildert, trägt einen wohl nie in Mode kommenden Wulst aus ganzkopfbedeckenden Landstreichermähne. Adrett geht anders, herrlich schrullig genau so.
Dagegen wirken Amen Dunes in ihrem verschlampten 90er-Jahre-Slackeroutfits, Unterhemden und ausgewaschenen Richard D. James-Shirts geradezu seriös. Wie auch immer: man ist ja nicht für etwaige Modetipps hier, sondern der Musik wegen.
Und die hat anfangs noch mit ein paar Problemen zu kämpfen: der Funken zu jenem Teil des Publikums, der die Vorzüge der Vor(Mittlerweile-)band aus New York noch nicht kennt will nur bedingt überspringen. Vielleicht liegt es daran, dass die Songs live allesamt angenehm verwaschen und fahrig ausgelebt werden und damit auf dem Erstkontakt hin wohl wie ein einzelner Schwall wirken können; vielleicht am Gefühl, dass Amen Dunes auf der großen Bühne etwas untergehen und sich in intimeren Rahmen wohl noch besser entfalten hätten können; vielleicht daran, dass der Sound in absolut keinem guten Mischverhältnis steht. Damon McMahon reklamiert immer wieder Unzufriedenheiten, seine Gitarre ist im Gesamtbild kaum differenzierbar zu vernehmen.
Dennoch wirken die 45 Minuten mit verträumter Sogwirkung: Amen Dunes spielen auf der „fünften Tour in drei Monaten“ ausnahmslos Songs des grandiosen aktuellen Studioalbums ‚Love‚, launisch und in Trance: Gitarrist Jordi Wheeler schrubbt und streichelt und malträtiert seine Gitarre als noisigen Soundteppich, Parker Kindred zappelt gut gelaunt hinter dem unermüdlich polternden Schlagzeug. Neben dem energischen ‚I Can’t Dig It‚ glänzen vor allem ‚Splits Are Parted‚ als im entrückten Rausch befindlicher Tribaldrumsumpf und ‚Love‚ selbst – mangels Piano ein „zum zweiten Mal stattfindendes Experiment„, als ambientes Gitartenmeer aufbereitet in dem man sich verlieren kann. Flächiger, meditativer und ja, auch intensiver dargeboten als auf Platte sollte spätestens hiernach klar sein: McMahon hat bereits jetzt einige der schönsten und gleichsam eingenwilligsten Indiesongs des Jahres aufgenommen.
Ein paar der schönsten Indiesongs aller Zeiten haben derweil Neutral Milk Hotel der Welt geschenkt: ‚On Avery Island‚ und vor allem das unsterblich-perfekte ‚In the Aeroplane Over the Sea‚ haben der Band um Jeff Mangum abseits der Musikgeschichte einen Platz in den Herzen von Fanherrscharen gesichert – daran muss man sich zwangsläufig messen: Ein Abend wie dieser kann deswegen nicht zuletzt an der angestauten Erwartungshaltung scheitern.
Neutral Milk Hotel sind sich dessen offenbar bewusst und inszenieren ihre Wien-Aufenthalt kurzerhand als atemlose Rockshow ohne großes Brimborium, Blendwerk, Längen oder falsche Scheu vor dem eigenen Vermächtnis: mit der Kneifzange arbeitet die Band jedenfalls nicht, wenn Songs wie ‚Holland, 1945‚ von Drummer Barnes derart kraftvoll vorangetrieben werden, dass sich das Szenario förmlich zu überschlagen droht, oder ‚In the Aeroplane Over the Sea‚ plötzlich mit scheppernden Hummeln im Hintern schunkelt.
Um es vorwegzunehmen: die Arena hat bereits Reunionkonzerte erlebt, die mit einer noch erfüllenderen Glückseligkeit entlassen haben (etwa die ausgelassene Party von Pavement, der Explosivitätsrausch von Refused oder der majestätischen Erhabenheit von Godspeed You! Black Emperor). Das mag an Kleinigkeiten liegen – wie etwa jene die Impulsivität beschneidenden Momente, bei denen die Band die Bühne verlässt um ihrem Anführer Mangum das alleinige Rampenlicht zu gönnen und dann perfekt getimt wieder zurückzuschlendern; oder dass das Publikum jeden einzelnen Song frenetisch bejubelt, Mangum aber nur selten textsicher unter die Arme greift, zumeist in einer regelrecht andächtigen Bewunderung verweilt – gegen die Neutral Milk Hotel eben wiederum rasant anspielen. Die erschlagene Magie, die man zu einem derartigen Anlass verabreicht bekommen möchte, sie tritt jedenfalls letztendlich hinter die Erkenntnis einen im Grunde doch makellosen Konzertabend serviert bekommen zu haben.
Schon die Setliste lässt keine Wünsche offen: ‚In the Aeroplane Over the Sea‚ wird beinahe komplett gespielt (alleine die brillante Eröffnung mit dem Trio ‚The King of Carrot Flowers Pt. One‚, ‚The King of Carrot Flowers Pts. Two & Three‚ und ‚Holland, 1945‚ rockt die Bude gnadenlos), ‚Naomi‚, ‚Ferris Wheel on Fire‚, ‚Song Against Sex‘,….alles da und bisweilen zu wunderbar intensiven Klangwelten verwoben, der Sound ist anstandslos ausbalanciert.
Vor allem der Finalzielsprint vom unter die Haut gehenden ‚Oh Comely‚ bis zur kompakt hinausgehauenen Zugabe mit ‚Engine‚ als Spitze geraten zum dramaturgisch nahtlos verflochtenen Höhepunktlauf, in denen sich Mangum das eine oder andere Mal auch genüsslich in die Fähigkeiten seiner behände agierenden Mitmusiker/Multiinstrumentalisten zurücklehnt: Neutral Milk Hotel haben neben der gängigen Ausstattung eine wahre Flut an zusätzlichen Instrumenten mitgebracht (ein Arsenal an singenden Sägen, Akkordeons, elektronischer Dudelsack(?), E-Banjo, genug Blasinstrumente für eine ganze Sektion) und legen sich für denen Handhabung hingebungsvoll ins Zeug. Spillane singt jeden Song enthusiastisch vor sich her, die Band ist wohl gut drauf, Koster schwitzt schon nach wenigen Songs wahre Bäche. Von ihm wird auch ein der Großteil der auf ein Minimum beschränkten Interaktion mit dem Publikum übernommen, Mangum kommuniziert offenbar mittlerweile fast ausnahmslos durch Gesten – man klopft sich gegenseitig hier und da mit einer dezenten Aufrichtigkeit auf den Rücken, schenkt sich dankbar ein Lächeln: die Chemie wirkt intakt, ohne Zuneigung allzu elaboriert zur Schau zu stellen.
Eben rundum sowas wie eine No Bullshit-Show, die zu keiner Sentimentalität, keiner beweihräuchernden Überhöhung neigt, sondern das ausnahmslos hochklassige Songmaterial flott durch die Arena treibt. Womit dieses Comeback definitiv zu den guten gehört. Es ist eine Freude, die auch eine etwaige Aussicht auf neues Neutral Milk Hotel-Material absolut verlockend erscheinen lassen würde – was macht es da schon, dass diese Reunion aktuell nicht die makellose Strahlkraft übertrifft, die das Kollektiv am Ende des letztes Jahrtausends auf Tonträger gebannt hat?
Setlist Amen Dunes:
Lilac in Hand
I Can’t Dig It
Lonely Richard
Green Eyes
I Know Myself
Splits Are Parted
Love
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