Muse – Will of the People
Best of the Worst: Muse rekrutieren auf Will of The People nahe der Selbstpersiflage für den Kampf des kleinen Mannes gegen die Obrigkeit – mit Songs, die klingen, als wären sie für knallbunte Space-Kitsch-Kriege geschrieben worden.
Der erste Kontakt mit dem neunten Studioalbum der Briten ist zwangsläufig grotesk – diesmal überspannen Matt Bellamy, Chris Wolstenholme und Dominic Howard den Bogen endgültig! Spätestens beim fünften Durchgang macht dieser herrlich zerschossene Unsinn dann allerdings doch irgendwie Spaß – so abstrus sind Muse mittlerweile eben einfach.
Das Werk der Band ab 2009, inklusive nun eben Will of The People, mit ihren ersten vier Alben zu vergleichen, ist aber ja bekanntlich ähnlich sinnvoll, wie die selben (qualitativen) Wertmaßstäbe bei beispielsweise Tiger & Dragon und Miami Connection anzusetzen.
Alleine auf inhaltlicher, emotionaler Ebene gibt einem die Band jedenfalls mittlerweile, allerspätestens jetzt, kaum noch etwas, mit ihren primär formelhaften, eindimensionalen Parolen, Schlagwortsammlungen und Zeilen wie „We need a revolution/ So long as we stay free“.
Selten aber doch gelingt Muse die annähernd berührend-aufwühlende Melodramatik dann allerdings schon noch – wie etwa in Ghosts (How Can I Move On), einer anmutig-einfühlsamen Klavierballade mit der Vergebung als Leitthema, in der sich die Band alleine auf die Stimme ihres Frontmannes und kraftvolle Tasten neben dem Pathos verlässt, den Bellamy auch ohne jedes opulente Brimborium kreieren kann – während gerade die beiden (tollen!) Metal-affin von Origin of Symmetry geschulten Ausflüge Won’t Stand Down (ein von der grundlegend oppulenten Produktion bombastisch ausgeleuchteter Rock-Stomper, der abseits seiner stacksenden Strophe den Refrain auf ein Podest hebt und später sogar fauchend tackert) sowie das heavy Kill or Be Killed (ein fetter Gitarren-Reißwolf, wie ihn Royal Thunder und Co. immer schon aus den Rippen von Tom Morello drücken woltten) aufzeigen, dass das Trio aus Teignmouth noch zu musikalisch packenden Songs jenseits der Guilty Pleasure-Front fähig ist.
Jedwede subjektive Geschmacksicherheit (und entgegen der inhaltlichen Ebene auch kritisch zu denken versuchendes Hirn) über Bord kickend und sich stattdessen im brachialen Entertainment-Modus gehen lassend, funktioniert Will of The People (auch aufgrund seiner kompakten Kürze von atemlosen 38 Minuten) effektiver als die meisten seiner Vorgänger und löst sein Versprechen ein „Greatest Hits Album – mit neuen Songs“ sein zu wollen auch durchaus ein. Aus der Best of The Worst-Perspektive halt.
Der Titeltrack ist Stadion-Animationsprogramm der banalsten Art, ein extrem funktionaler Stampfer, der absolut dreist an Summertime Blues und Will Pool mit seinem Beautiful People-Chor nervt und live sicher ebenso ausgelassen zelebriert werden will wie Compliance, dessen käsige Synthies mit voller Jump-Breitseite so extrem catchy in den Formatradio-Pop auflaufen. Noch simpler das unbedingt Stimmung machen wollende Euphoria, in dem die Grundmotive von Time is Running Out stromlinienförmig für die Dancefloor-Überholspur gescheucht werden.
Liberation adaptiert The Show Must Go On, als bedürfe es einer Erinnerung daran, dass Muse bei jeder Gelegenheit Queen imitieren. Dass sich die Band mehrstimmig ans Klavier setzt und polternd klimpert ist da nur konsequent. Verona erträumt sich im Arena-Funkeln einen Platz zwischen U2 und Coldplay, derweil Synthies klingen, als hätten Beach House Steroide gefressen, um Feuerzeuge im Stadion zu schwenken. Respekt aber dafür, wie geduldig sich die Nummer Zeit im Aufbau nimmt, um der getragenen Sentimentalität zu frönen.
Eines der größten Schreckgespenster der gesamten Karriere Muse’schen Karriere gibt es dann mit You Make Me Feel Like It’s Halloween, einen am Grusel-Wühltisch konstruierter Gruppen-Tanz im Werwolf-Kostüm unter der Orgel-Disco-Kugel und synthetisch verfremdeten Roboter-Vocals: ebenso geschmacklos, wie das ein verdammter Ohrwurm ist, der dann auch noch das aus dem Nichts kommende Bratpfannen-Solo auspackt.
Vielleicht ist das der ultimative Junp-the-Shark-Moment von Will of the People – und sogar von Muse ganz allgemein. Zur Sicherheit legen die Briten aber trotzdem noch We Are Fucking Fucked nach. Der Closer tarnt sich erst halbseiden als grungig-düsterer Rocker, der in seinem Chorus aber inhaltlich wie musikalisch so theatralisch über alle Stränge schlägt, wie um zu unterstreichen, dass hier jedem Beteiligten absolut bewusst ist, was die Band für einen absurden Over-the-Top-Zirkus jenseits der Selbstparodie in Gefilden betreibt, wo selbst überkandidelte Green Day wie blasse Leuchtreklamen auf der Regenbogenstrecke wirken würden. Dass man längst in Gefilden unterwegs ist, wo man keine Rücksicht mehr auf die Gefühle der dienstältesten Fans nehmen muss, weil die loyale Maße offenbar eh alles mitmacht, verschafft eben eine gewisse Narrenfreiheit.
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