Muse – The 2nd Law

von am 25. September 2012 in Album

Muse – The 2nd Law

Würden sich Muse damit begnügen das größte Rocktrio der Welt zu sein, würden sich die getriebenen Engländer wohl ihre musikalische Integrität beschneiden, ihre überbordende Ambition verneinen noch größer zu werden. Es würde aber auch grundsätzlichen Missverständnissen wie ‚The 2nd Law‚ vorbeugen.

Spannend zu bleiben, sich also auch neu zu erfinden, das ist selbst für viele Musiker, die ihren eigenen Sound gefunden haben wohl so etwas wie den Heiligen Gral der Existenz zu finden. Vollziehen andere diesen Schritt gerne einmal akut (siehe etwa Radiohead) und andere gar nicht (siehe etwa The Gaslight Anthem), so tun Muse dies seit geraumer Zeit schleichend und mit der ständigen Befürchtung selbst für hartgesottene Fans den Bogen zu überspannen. So unterboten auf den letzten beiden Studioalben ‚Black Holes and Revelations‚ und vor allem ‚The Resistance‚ immer noch klar erkennbar jene Muse die Erwartungshaltungen, die mit ihren ersten drei Alben frühe Legendenbildung an sich selbst betrieben, eben angereichert mit Vorlieben für Elektronik, Funk, Tanz und vor allem symphonischen Bombast, mehr davon denn je. Jede vorhandene experimentelle Spielwiese fand jedoch in klar abgesteckten Territorien statt und warf selbst dem veränderungsunwilligsten Fan Trademarkelemente der frühen Platten häppchenweise derartig ergiebig zu, dass die Stärken der Band klar betont blieben. ‚The 2nd Law‚ ist nun immer noch Muse, aber letztendlich nur unter dem endgültig Dokument des maßlosen über-die Strenge-schlagens, viel gravierender aber noch: der Punkt, an dem die überbordenden Ambitionen der Briten Überhand über zielführendes Songwriting bekommen, das Gesamtkonstrukt nicht mehr reibungslos funktioniert, Muse schlicht nicht mehr wirklich berühren.

Die Wurzeln des Übels sind dabei weit verzweigt, beginnen bei der allzu kantenlosen Produktion zu wuchern, die steril bis ins Mark den versprochenen Hochglanz liefert, aber eben auch kaum Reibungspunkte liefert. Dass Muse sich dazu gerne als Konglomerat verschiedenster Bands verwirklichen, ist seit ‚Black Holes and Revelations‚ kein Geheimnis mehr, exzessiver als hier kam dies jedoch noch nie zum Vorschein: ‚Supremacy‚ borgt sich seine Streicher indezent bei Led Zeppelins ‚Kashmir‚ und die märchenhafte Inszenierung kruderweise bei James Bond, ‚Madness‚ ist ‚Faith‚ für Leute, die George Michael nicht kennen. ‚Follow Me‘ wäre zur Mitte hin gerne ein beliebiger U2 Song, ‚Panic Station‚ interpretiert dann Abba mit ‚Another One Bites the Dust‚ als stampfende Grundlage. Und natürlich ist die Queen-Debatte generell weiterhin eine angebrachte, alleine, weil Bellamy nicht nur in ‚Madness‚ und ‚Big Freeze‚ astrein an Brian May geschulte Soli spielt, sondern Muse immer schon das Theatralische in sich hatten, dies aber mittlerweile mit soviel Pomp, Kitsch, Bombast und absoluter Megalomanie zugekleistert haben – quasi auf der hoffnungslosen Suche nach ihrem ‚Bohemian Rhapsody‚ sind – und damit ihrem sechsten Studioalbum im Endeffekt das Genick brechen.

Will ‚The 2nd Law‚ doch derart viel, dass die letztendliche Intention der Platte kaum mehr durchdringt. Die angedachte Dramatik, Spannung und Emotionalität wird von der Ambition sich möglichst weit aus gängigen Konventionen zu entfernen schlicht übertönt, zurück bleibt ein kalt aufgebauschter Brocken theatralischer Melodramatik und zweckentfremdeter Experimentirwut. ‚The 2nd Law‚ ist dabei nun nicht das Dubstep-Album geworden, dass ‚The 2nd Law- Unsustainable‚ vorab angedroht hat – es ist nur mitunter ein Dubstep-Album geworden. Denn Scheuklappen oder Grenzen kennen Muse hier endgültig nicht mehr: Rock, Pop, Oper, Electronic, Synthiepop, Breakbeats, Disco, Streicher, Chöre, Soli, Metal – auf ‚The 2nd Law‚ kann alles passieren, oft auch zur selben Zeit. Was man durchaus an der Band schätzen kann, nur wirklich schlüssige, durchwegs packende Songs ergibt das zu selten. ‚Animals‚ mag dennoch als träumender Groover als eines der wenigen Highlights durchgehen, das Zeitgeist-Gereite der titelspendenden Suite sogar wider Erwarten vor allem im zweiten Teil zu den einnehmendsten Momenten der Platte mutieren. Was freilich auch daran liegen kann, dass sich Bassist Chris Wolstenholme direkt davor zwei Songs lange als medikrer Songwriter und  unbegabter Sänger (!) ausleben darf, ‚Save Me‚ als dröger Aufguss von Pink Floyd das Erbe von Oceansize anzutreten versucht und ‚Liquid State‚ dann ohnedies nicht mehr ist als plumper, spannungsarm-langweiliger Alternative Rock, der gerne Metal sein würde.

Bezeichnend, dass mit ‚Explorers‚ der berührendste Song praktisch ein bloßes ‚Invincible 2.0‚ geworden ist, ‚Follow Me‚ unter dem Banner feisten Electroclashs ‚Time is Running Out‚ mit den Killers sowie der Unendlichen Geschichte zusammenbringt und dabei die Faszination eines spektakulären Autounfalles nach sich zieht, unabsprechbare Eingängigkeiten wie des von spartanischer Elektronik gestützem ‚Madness‚ auf dem Weg zu dessen Rockausbruch dann sogar gefällige Attraktionen vorzugaukeln scheinen. Weswegen ein Unmut gegen ‚The 2nd Law‘ auch viel weniger Ausdruck des Wunsches an sich ist, dass Muse wieder zu ihren Anfängen zurückkehren möchten, da man Veränderungen per se unattraktiv findet. Denn genau genommen wiederholen die Briten sich selbst und andere auf ‚The 2nd Law‚ mit überspannten Bogen nicht mehr oder weniger als bisher. Nur zündet eben kaum eine Idee mehr restlos, erfüllt damit auch nicht die hohen Ansprüche, die Muse an ihre Songs zweifellos stellen. Weniger wäre hier in jeder Hinsicht mehr gewesen und sich ein Stück weit neu zu erfinden nicht immer gleichbedeutend damit ist auch wirklich spannend zu bleiben, diese Lektion lehrt ‚The 2nd Law‚ schmerzlich ein für allemal. Bis auf Muse scheint das auch jeder verstanden zu haben.

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