MSW – Obliviosus

von am 5. September 2020 in Album

MSW – Obliviosus

Hell-Kopf Matthew S. Williams alias MSW reflektiert auf dem Konzeptalbum Obliviosus familiäre Probleme und leidet in der Katharsis gewohnt intensiv, findet für seinen Doom dabei aber eine bisher ungekannte Schönheit in der Finsternis.

This album was written about my brother and for my family. addiction, substance abuse, near death experiences, loss, grieving for the undead. Drugs that make you Oblivious [sic!] to the pain it’s causing elsewhere.
Trotz dieser klaren Deklaration kann es auf den Erstkontakt durchaus so wirken, als hätte MSW abseits seines angestammten Projektbanners Hell hier wie schon bei der vorangegangene Fortsetzung der Cloud-Serie auf eine an sich einzeln veröffentlichbare, jedoch konzeptionell in einer vorgegebenen (nicht der Chronologie der Veröffentlichung entsprechenden) Reihung zu hörende Arbeitsweise gesetzt. Immerhin bremst Funus, obgleich ein an sich vollwertig ausformulierter Song, den zuvor begonnenen Spannungsbogen unverdienterweise eher wie ein im Albumfluß zu früh platziertes Interlude aus: Die melancholische, langsam und tief tröstend an der Gymnopédies geschulte Klaviernummer, zu der sich die Violine von Weeping Sores-Gast Gina Eygenhuysen in wärmender Grandezza umgarnend träumt, fällt rein ästhetisch und stilistisch erhebend, aber doch zu abrupt aus dem restlichen Rahmen, den O Brother als Opener gerade erst vorweggenommen hat.

Dort beschwört MSW schweren Doom, hymnisch an der Symbiose von Bell Witch und Marriages erbaut, wenn der weihevolle, pastorale Gesang von Karli Mcnutt mit mystischer Goth-Manierlichkeit an Marissa Nadler erinnert, bevor das garstige Gekeife von Williams selbst am anderen Seite des Spektrums konterkariert, ohne die Anmut der Musik zu zerstören.
Der Wechsel aus erhebenden Phrasierungen und gnarligem Fauchen über den immer wieder bis in den Black Metal tackernden, zwischen Sludge und Funeral keinen Unterschied machenden Riffs gedeiht mit cinematographischer Sehnsucht, einer ungekannten Reinheit. Die Verbindungen zu Hell sind so zwar immer noch erkennbar, doch hat die gemeinsame Tour mit Mizmor noch deutlichere Spuren hinterlassen, bevor MSW mit psychotischem Suspence liebäugelt.
Tatsächlich mag derart viel Raum für Funus also zu diesem Zeitpunkt der Platte, nach gerade einmal sieben Minuten Spielzeit, irritieren. Letztendlich ist die Nummer aber ein schlüssiger Teil eines Ganzen, das in Summe deutlich mehr kohärentes Gesamterlebnis als Stückwerk darstellt – nicht erst, wenn der Überhang von Funus zu Humanity nahtlos und absolut organisch geschieht.

Im besten Song von Obliviosus schwelgt MSW jedenfalls bekümmert in einer nachdenklichen Traurigkeit. Sobald die Heaviness des Doom mit dissonante Gitarren und schweren Rhythmen über die Verletzlichkeit hereinbricht, zeigt Williams mit cleanen Dark Folk-Vocals zudem eine neue Seite seiner emotionalen Projektionsplattformen – irgendwo zwischen 40 Watt Sun, Stygian Bought und den Grunge-Momenten von Thou. Die ergreifende Melodie, die von den choralen Texturen und subtil unterfütternden Streicher-Arrangements mitgetragen wird, hebt die Atmosphäre auf einen höheren Level und hätte gerne noch ausführlicher ausgebaut werden können.
Anderswo mäandert MSW hingegen. Der Titelsong der Platte speist sich aus dem Drone und Postrock, erhebend und subtil nuanciert heroisch, will ein monolithischer Leviathan sein, der allerdings seine Tendenzen nicht in letzter Konsequenz aus der Beiläufigkeit auf den Punkt bekommt.
Weswegen Obliviosus – das Album – trotz einer erfüllenden Tiefenwirkung auch einen ambivalenten Eindruck hinterlässt, nicht ganz das Optimum aus seinem Potential herauszuholen: Hätte diese wunderbare Einkehr zur majestätischen Bedrücktheit womöglich entweder als knapper formulierter Epilog, um seine wenigen leeren Meter und unrunden Dramen befreit, oder umgekehrt proportional bemessen, als noch ausführlicheren Koloss, eine überzeugendere, auslaugendere Form bekommen können? Gut möglich. Dies ändert allerdings nichts daran, dass man sich den aufgefahrenen 40 Minuten mit bittersüßer Abhängigkeit hingeben will, wertungstechnisch zwischen den Punkten liegend nach oben tendiert und MSW an der Schwelle zu neuen Sphären in seiner höllischen Karriere zu erkennen meint.

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