Mount Eerie – Night Palace

by on 9. November 2024 in Album

Mount Eerie – Night Palace

In den vergangenen zwei Jahren hat Phil Elverum das elfte Studioalbum von Mount Eerie zusammengetragen: Night Palaces ist ein quasi nahtlos auf Microphones in 2020 folgendes loses Sammelsurium aus Ideen, Skizzen und Szenen, verteilt über 81 Minuten Spielzeit und 26 Songfragmente.

Mit der Ankündigung, dass Elverum mit seiner zweiten großen Projektionsfläche zu seinen Wurzeln zurückkehren wollen würde, meinte der 46 jährige also einerseits, dass die Grenzen zwischen Mount Eerie und klassischen Microphones-Verhaltensmustern mehr denn je verschwimmen würden – andererseits aber auch, dass er beim Wandern durch die selbstreferentielle Vergangenheit mit dem Implementieren von Dingen und Sounds experimentieren würde, die er noch nicht einmal notwendigerweise im peripheren Sichtfeld seiner Musik hatte, und die so eben zwischen den Zeilen neue Perspektiven nach vorne auftun würden.
Das Gitarrengeplänkel I Walk ist etwa auf minimalistischen pluckernder Indietronic gebaut, bevor scheppernde Drums es im sanften Groove davongetragen. Stone Woman Gives Birth To A Child At Night infiltriert den MO mit rasselnd klackernder Rhythmik wie ein Elketro-Remix und I Spoke With A Fish verschwimmt aus der typischen Fragilität einer Elverum-Intimität kurz in einem aus dem Nichts kommenden, rasselnden Trap-Versuch, der zwar praktisch sofort wieder verschwindet, aber dafür anmutigen chorale Arrangements zur To Love-esk schreitenden Andacht in die angestammten LoFi-Ästhetik geladen hat. To the Ground ist da gefühlt keine zwölf Jahre her.

Noch konsequenter als derartigen Impulsen nachzugeben, positioniert Night Palaces (als titeltechnischer Rückgriff auf Now Only: „and then distortion and then the silence of space, the night palace, the ocean blurring, but in my tears right now light gleams„) sich immer wieder in einer abstrakt aus der Balance gebrachten Indie Rock-Faszination: Huge Fire scheppert im Groove eines Schlagzeugs, das wie ein verwaschenes Feuerwerk um eine markante Basslinie blüht; das entspannte Broom of Wind könnte von einem verträumten Mac DeMarco stammen; Empty Paper Towel Roll gibt sich knackig und kraftvoll um hinter dem Wirbel zu bratzen, derweil sich I Heard Whales (I Think) bewusst verliert; Non-Metaphorical Decolonization geht über einen Orgel-Teppich energisch nach vorne, bis das letzte Drittel der Nummer sich Stück einem fragil aufkochenden Wechselspiel abbremst; Writing Poems fetzt seinen Rock’n’Roll fast punkig zur Kontemplation und auch der aus der Black Metal-Erinnerung an Wind’s Poem polternde Noise Rock von & Sun lässt sich beinahe beruhigend zähmen, derweil das scheppernde, flächig gebettete Co-Owner of Trees sich aus dem Beak>’schen Kraut in Drone-Ausläufer lehnt.

Manche Fragmente dauern dabei nur wenige Sekunden – Swallowed Alive ist als veritabler Samurai Sword-Nachfolger die kreischend-schreiende Rückkoppelung als Grind-Rumpelkammer und Screamo-Demo hinter the Moan und Myths Come True pt. 2 bimmelt in die schrammelnde Noise Collage, weil auch die Anmut Wind & Fog der Liebe zum phasenverschobenen Krawall nachgibt. My Canopy legt minimalistischen Singer-Songwriter-Balsam aus und (soft air) verliert seine folkloristisches Natur im strahlend glimmernden Feedback nicht, während die harmonische Idylle von Blurred World an Lost Wisdom erinnert: das Summen ist eine Archivaufnahme von Geneviève Castrée.
Doch dann steht am anderen Ende des (Spielzeit-)Spektrums mit Demolition wiederum ein zwölfminütuger Monolith, ein Spoken Word-Stream of Consciousness aus Field Recordings, Überblendungen und Stillstand, der schamanenhaft in der windigen Prärie die Transzendenz in den Äther entlässt.

Das Eine schließt das Andere auf Night Palace eben nicht aus – im Gegenteil: Als Platte der Gegensätze und sprunghaften Wendungen fügen sich die extremen Amplituden seltsam schlüssig aneinander. Als Momentaufnahme, die ebensosehr durch die bisherige Diskografie blickt wie Zukunfts-Optionen (mal besser, mal schlechter) ausprobiert, klingt Night Palace mit nur wenigen leeren Metern ebenso roh und ungeschliffen wie sanftmütig und einfühlsam. Die analoge Wärme erzeugt einen einladenden Raum voll kakophonischer Ecken und kathartischer Kanten, voll nachdenklicher und introspektiver Tiefe, wo persönliches und biographisches auf einer universellen Ebene sinniert: Elverum ist hier Zen.
In dieser fast schizophren-unbeständigen Kohärenz der Inhomogenität schmiegen sich brutzelnde Drone-Frequenzen (wie im Titelstück, der rauschhaft zum Slowcore scheppernden Avantgarde-Klangkulisse Breaths oder der pulsierend abgedämpften, sonor-ruhigen Meditation Wind & Fog pt. 2) deswegen auch wie selbstverständlich an einige der schönsten Momente, die Elverum seit Jahren auf Tonband eingefangen hat – ohne dabei jene Magie auf den Punkt zu bringen, die er bis 2009 beschwören konnte. Dass eine konzentriertere Selektion und rundere Ausarbeitung die  Highlights der Platte zu einem noch schlüssigeren, kompakteren und effektiveren Werk destilliert hätte, stimmt natürlich dennoch.

Aber der dafür nötige Fokus ist auch nicht die Sache von Night Palace. Stattdessen fesselt es mit einer instinktiven Anziehungskraft, wenn I Heard Whales (I Think) beispielsweise seine an Gitarre und Klavier plätschernde Melancholie im abstrakten Storytelling („I heard actual music riding on the wind/ Barely there/ Though it couldn’t have been/ ‚Cause I was definitely miles from any other people/ And crashing water in my ears eclipsed everything/ It sounded like„) in ein regenartiges Rauschen führt. Oder Myths Come True seinem Titel entsprechend erst wie maritime Animal Collective flimmert und dann mit funky groovenden Bass und zappelnden Drums in die Körperlichkeit mutiert. Es gibt Folklore in beschwingt (November Rain) und im abrassivem Suspense (Writing Poems), so mystisch wie menschlich. Vertraut und nuegierig machend. Wobei man sich natürlich voll und ganz auf die Stimmung und Atmosphäre einlassen wollen muß, um vom versprengten Albumfluß und dem skizzenhaften Narrativ dieses Kaleidoskops gefesselt werden zu können, bevor I Need New Eyes als Ab(oder eben gar Vor-?)spann noch einmal alle Elemente der Platte zusammenführt, in behaglicher Heaviness langsam marschierend.
Tatsächlich scheint Elverum nach all den Jahren der Schicksalsschläge zu guter Letzt sogar eine neue, zweckoptimistische Aufbruchstimmung und Klarheit gefunden gefunden zu haben, die sich endlich über den Fatalismus hinwegsetzt: „I spent decades going on about how nothing doesn’t change/ …/  The constant catastrophes pound on the wall/ And who isn’t my neighbor on this flaming globe?/ Now I’m staring at a boulder trying to tell myself/ „This didn’t arise“/ I need new eye„.

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