Mount Eerie – A Crow Looked At Me
Am 9. Juli 2016 starb die kanadische Künstlerin Geneviève Castrée im Alter von nur 35 Jahren an Krebs. Phil Elverum versucht den Verlust seiner Ehefrau und Mutter der gemeinsamen Tochter nun mit A Crow Looked At Me zu verarbeiten – oder eher: überhaupt zu realisieren – und gebiert damit ein Mount Eerie-Werk von niederschmetternder Intimität und überwältigender Trauer.
2016 war das Jahr, das in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur von einer Flut an öffentlich registrierten Todesfällen geprägt war, sondern auch von musikalischen Werken, die persönliche Tragödien und Schicksalsschläge thematisch aufgriffen. Von David Bowies Blackstar bis hin zu Nick Caves Skeleton Tree war da gefühltermaßen eine überdurchschnittlich hohe Dichte an Alben, die sich konzeptionell mit Verlusten und Abschieden auseinandersetzen mussten; die sich bisweilen poetisch und kryptisch auf Sinnsuche begaben, Trauer in tongewordene Kunstwerke umzusetzen versuchten.
Ein kathartisches Ansatz, den A Crow Looked At Me nun nicht bedienen will, sondern so unkaschiert und direkt arbeitet, wie es Elverum überhaupt möglich ist: „It’s not for singing about, it’s not for making into art/ When real death enters the house, all poetry is dumb“ stellt er schließlich gleich im eröffnenden Real Death gebrochen fest und befreit Mount Eerie von der Mystik vergangener Alben, dringt ohne Umwege zum Kern der Befindlichkeit vor.
Er tut dies mittels einer spartanischen DIY-Folk-Inszenierung: Eine leise geschlagene Akustikgitarre, eine unaufdringlich ihren Dienst verrichtende Drummachine. Auch später werden sich nur nuancierte Ergänzungen das Klangbild erweitern – allesamt Instrumente, die Castrée gehörten. Aufgenommen in dem Raum, in dem sie starb, bilden sie das karge inszenatorische Grundgerüst der Platte: „Recorded from August 31st to Dec. 6th, 2016 in the same room where Geneviève died, using mostly her instruments, her guitar, her bass, her pick, her amp, her old family accordion, writing the words on her paper, looking out the same window.“
Nur wenige, unheimlich subtil eingeflochtene Momente (wie der aufkeimende Optimismus im zweiten Part von Toothbrush/ Trash oder die verschwimmenden Drone-Ahnungen in Soria Moria) durchbrechen diese gewollte Reduziertheit, die dezente Fragilität, die gewisse Gleichförmigkeit, die entlang beinahe lethargisch gesungener, still rezitierter Gesangslinien schwelgt. Da ist keine Wut, kein demonstratives Leiden – sondern eher ruhige Resignation, sediert geradezu. Eine ohnmächtige Frustration, kanalisiert in unsagbarer Zärtlichkeit. Da ist ein warme Intimität, eine allgegenwärtige Klarheit und Bescheidenheit. Melodien streift Elverum nur wie zufällig – sie scheinen wie alles andere völlig nebensächlich, angesichts der Umstände.
Es sind eben vor allem die Texten, die A Crow Looked At Me prägen und definieren. Die sich als Premiere im Mount Eerie-Kosmos keinerlei Kodierung oder Metaphern bedienen, sondern so unmittelbar sachlich und direkt ausgelegt einwirken. Die autobiographische Narration greift dabei kaum auf definierte Emotionen zurück, sondern hangelt sich an nüchternen Szenen entlang: Ungeschönte Momentaufnahmen einer Zeit, in der Elverum wie verloren verschwommene Eindrücke wahrnimmt. Nichts hier ist abstrakt, alles ungefiltert. Elverum dokumentiert auf A Crow Looked At Me einen fassungslos nachwirkenden Lebensabschnitt mit schockierend nackter Ehrlichkeit, einer erschöpfenden Detailtreue und ambivalenter Unmittelbarkeit.
In Seaweed verstreut Elverum etwa die Asche seiner Frau und bemerkt, dass er bereits Kleinigkeiten über sie zu vergessen beginnt („So I came here alone with our baby and the dust of your bones/ I can’t remember, were you into Canada geese?/ Is it significant/ These hundreds on the beach?/…/I can’t remember/ You did most of my remembering for me/…/I brought a chair from home/ I’m leaving it on the hill/ Facing west and north/ And I poured out your ashes on it/ I guess so you can watch the sunset/ But the truth is I don’t think of that dust as you/ You are the sunset„). Er erinnert sich vielleicht gerade deswegen selbst immer wieder an den Schmerz („Today our daughter asked me if mama swims/ I told her, „Yes, she does/ And that’s probably all she does/ Now.„), wo er später im Selbstvorwurf sogar dagegen ankämpft, die Trauer verschwinden zu lassen, weil es hieße sie zu überwinden („But slowly sovereignty reasserts itself/ I don’t want it though/ And betrayal winds/ Who and how could I/ Live?„) – obwohl der Tod doch nach wie vor allgegenwärtig ist.
„I now wield the power to transform a grocery store aisle into a canyon of pity and confusion/ And mutual aching to leave“ lebt Elverum inmitten des Mahlstroms, immer wieder droht ihn der Verlust aufs neue zu überrennen: „A week after you died a package with your name on it came/ And inside was a gift for our daughter you had ordered in secret/ And collapsed there on the front steps I wailed/ A backpack for when she goes to school a couple years from now/ You were thinking ahead to a future you must have known deep down would not include you„.
„When I take out the garbage at night/ I’m not with you then exactly/ I’m with the universe/…/ The dark window of the room that you died in/ The big empty room on the second floor/ Cold because I won’t close the window/ Just in case something still needs to leave/…/ When I take out the garbage at night/ And then have to go back in and live on“ singt er mit einer Ruhe und Stille. Das relativiert Elverums bisherige Arbeiten („Conceptual emptiness was cool to talk about/ Back before I knew my way around these hospitals/ I would like to forget and go back into imagining.„) und lässt rund um das mystische Soria Moria im finalen Crow doch noch langsam ein wenig Trost und Hoffnung aufkeimen.
Auch, wenn sich Elverum dafür ausnahmsweise stützen muß, und in der Anwesenheit einer einzelnen Krähe im ansonsten leeren Wald Zeichen erkennt. „And there she was.„
A Crow Looked At Me ist dabei stets näher dran bei Mark Kozelek und seinen Sun Kil Moon-Stream of Conscious-Werken; bei einem Storytelling, dass den Hörer teilhabend außen vor lässt, da Elverum sein privates Leben derart konkret aufgreift, all die expliziten Szenen und Episoden aus dem Eheleben und dem Danach zwar Erfahrungen vermitteln, aber gar nicht erst auf einer Ebene jenseits von todesnahen Assoziationen funktionieren wollen. Denn im Gegensatz zu Alben wie Skeleton Tree oder Blackstar erlaubt A Crow Looked At Me es dem Hörer kaum, die Verlusterfahrungen von Elverum auf einer individuell greifenden Ebene als Trostpflaster umzuarbeiten. Die Wirkungsweise hier ist eher prophylaktischer Natur. Viel eher hat man nämlich das Gefühl, einer Selbsthilfesitzung beizuwohnen, die gerade auch durch ihre sanfte und beiläufige Art tiefste Empathie weckt, einen schockierend intensiven Eindruck hinterlässt und eine unmittelbar ergreifende Anteilnahme hervorruft. Dem Außenstehenden vermittelt Elverum niemals das Gefühl, sich quasi im Leiden eines anderen zu suhlen – viel eher macht er den Verlust auf einer beinahe universellen Ebene greifbar.
Durch die Wahl des Mediums wird das achte Mount Eerie-Werk dadurch auch zu einem Album werden, dessen Tiefe so markerschütternd ist, wie es dessen Wiederhörwert natürlich relativiert. „Barely Music“ nennt Elverum das selbst nicht zu Unrecht. Denn diese Platte laugt aus, schmettert nieder. A Crow Looked At Me funktioniert insofern auch weniger als das Carrie and Lowell von 2017, als vielmehr wie ein unendlich trauriger, unendlich nahbarer, unendlich erfüllender Roman, der einem, wie bereits anderswo ganz richtig hervorgehoben, die allgemeine Zerbrechlichkeit jedweden Glücks vor Ohren und zutiefst imaginativ vor Augen führt – und einen das Leben, den Augenblick auch über die nachwirkenden 42 Minuten weg schlichtweg ein wenig mehr zu schätzen lehrt. „It’s dumb/ And I don’t want to learn anything from this/ I love you„.
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