Morrissey – I Am Not a Dog on a Chain
Die Gewissens- wird keinesfalls zur Gretchenfrage: Das durch einige geschmacklose Griffe unnötig frustrierende I am Not a Dog On a Chain kann als potentiell wirklich starkes Album natürlich nicht die Untiefen der Privatperson Morrissey aufwiegen.
Auch wenn sich die britische Primadonna in der abonnierten Opferrolle phasenweise ungewohnt verklausulierter und lyrisch banal durch gewohnte Ungerechtigkeiten phrasiert (also klassische Mozzer-Themen bedient, sich von all den Ignoranten da draußen jedoch nicht an die Leine nehmen lässt) spielt der in den vergangenen Jahren vom ehemaligen The Smiths-Frontmann demonstrativer zur Schau gestellte Rassismus auf seinen dreizehnten Studioalbum an sich keine Rolle, macht es aber umso ärgerlicher, dass man sich I am Not a Dog On an Chain durch die disqualifizierte Person dahinter kaum unvoreingenommen nähern kann.
Denn mit klüger nachgestellten, Morrissey selbst gegenüber weniger nonchalant inszenierten Stellschrauben hätte hieraus durchaus mehr als nur das interessanteste Album seit womöglich sogar Ringleader of the Tormentors werden können. In gewisser Weise haben nämlich sowohl Morrissey selbst, als auch Produzent Joe Chiccarelli Recht (obgleich der eine weniger, der andere mehr), wenn sie Zeilen wie „it contains the very best of me“ und „it’s too good to be true, too true to be considered good“ zu Protokoll geben, oder das Klientel mit Sätzen a la „it‘s his boldest and most adventurous album yet“ sowie „he pushed the boundaries yet again – both musically and lyrically“ locken.
Man muss Morrissey grundsätzlich zu Gute Halten, dass er nach der bereits vierten Dekade seiner Karriere endlich wieder auf der Suche nach Inspiration durchaus neue Wege zu gehen bereit ist, darüber hinaus auch Hooks parat hat, die griffiger hängen bleiben, als ein Gutteil der Songs seiner drei Studioalben aus dem vergangenen Jahrzehnt: World Peace is None of Your Business, Low in High School und California Son sind letztendlich doch weitaus eindrucksloser gealtert, als man das selbst bei ihrem Erscheinen bereits prophezeite und mittlerweile weitestgehend in der Vergessenheit verschwunden.
Noch eine derartig pflichtbewusst-routinierte Platte hätte dann wohl nicht einmal der hartgesottenste Fan gebraucht, das weiß auch der streitbare 60 Jährige, weswegen Morrissey seinen musikalischen Kosmos von Chiccarelli markant um Elemente aus dem Synthpop, Artrock und der Elektronik erweitern lässt. Ob I am Not a Dog On a Chain in seiner letztendlich ambivalenten Form als Grower mit einer zu langen Spielzeit von 50 Minuten allerdings eine substanziellere Halbwertszeit beweisen können wird als seine Vorgänger, muß sich freilich erst zeigen. Immerhin stehen der Zampano und sein Erfüllungsgehilfe einer mutig gemeinten Platte leider zu oft mit nicht geschmackssicheren Entscheidungen selbst im Weg.
Sei es etwa der unvorteilhafte Mix, der gerade die (wie immer notfalls alles retten könnende) Stimme Morrisseys mit Studio-Hochglanz bügelt, dass kaum überwältigend-packenden Emotionen mehr übrig bleiben. Dass Mowtown-Dame Thelma Houston im dramatisch gedachten Bobby, Don’t You Think They Know? als Konterpart so nervtötend überkandidelt und prätentiös als Duett-Partnerin in Szene gesetzt wird, aus potenzieller Leidenschaft schnell laute Penetranz wird, passt da ins Bild. Das tolle Knockabout World mit seinem angenehm lebendig auftrumpfenden Chorus hätte sich im Zweifelsfall wiederum die zu billig klingenden Bläser sparen können – stattdessen nutzt Morrissey sie im angenehm verträumten, den Refrain durchaus interessant durch den Computer-Shredder jagenden Darling, I Hug a Pillow für Fanfaren, was in Summe jedoch klargeht.
Aus der Balance geraten die Elemente schließlich eigentlich nur im finalen Drittel – beziehungsweise meistens gar in jenen Songs, die Morrissey nicht mit Jesse Tobias verfasst hat. Das kitschig an Spinett und Piano gestikulierende The Truth About Ruth wirft Walker’schen Oper-Irrsinn als Option auf und spielt mit dem Gedanken an stacksenden Rock und gallige Geisterbahn-Orgeln, entscheidet sich jedoch nirgendwo hinführend für keine der Optionen. The Secret of Music mäandert dagegen fast am abgedämpften Industrial-Remix groovend, eine strukturoffene Gitarre, Keyboarde, Gelächter oder Klarinetten irren orientierungslos durch die skizzenhaft als Grundgerüst verharrende Nummer. Das ist stimmungsvoll und an sich kein Ausfall – Morrissey so weit aus dem Rampenlicht zurücktreten zu sehen ist zudem eine eine faszinierende Facette. Doch wird die Nummer mit knapp acht Minuten auch irgendwann eher eine labyrinthische Herausforderung, deren hypnotisierte Trance inhaltlich nicht für den ästhetischen Aufwand entschädigt, gerade nach dem schwachen The Truth About Ruth.
Die Platte kann sich in dieser Phase gerade im übergreifenden Kontext zu keiner nötigen Konsequenz durchringen, blickt mit dem Kopf nach vorne und bleibt mit einem Bein sicherheitshalber doch dabei, ein gefälliges Alterswerk liefern zu wollen.
Wenn im abschließenden My Hurling Days are Over Streicher über einen pluckernden Beat wehen und eine Gitarre Aufbruchstimmung verbreitet, gehen cheesy Kinderchöre jedoch nur vermeintlich all in, stehen dem betont versöhnlichen Stück, können das plätschernden Gefüge aber nicht zwingend über die Klippe schicken. Das ist symptomatisch für eine manchmal zu handzahme, manchmal zu pseudo-abenteuerlustige Positionierung von I Am Not a Dog on a Chain: Jedes Stück hier hätte mit ein wenig Feintuning noch deutlich mehr aus sich herausholen können.
Das dies kein ironischer Witz auf Kosten von Morrissey selbst ist, liegt aber eben am zugrunde liegenden Songwriting, dass den Briten doch in erstaunlich guter Form zeigt, gerade in ersten Hälfte der Platte. Jim Jim Falls eröffnet dort mit einem in den 90ern modern gegolten haben könnenden Spielhallen-Beat, und setzt auf provokant die Konfrontation suchende Lyrics, bietet aber vor allem eine supergeschmeidige Melodie samt leicht psychedelisch angehauchter Sitar-Textur und eine bis zum Solo bratende Gitarre – besser, weil paradoxerweise klassischer war Morrissey lange nicht mehr. Love is on it’s Way you ist sogar noch stärker, bringt kammermusikalische Flair in die Qualität von You Are the Quarry samt Midi-Chören und verträumtem Gezupfte. Das Titelstück bleibt ein wenig schaumgebremst, stampft aber ausgelassen bis zu einem egozentrischen Finale und das zeitlose What Kind of People Live in these Houses? ist wunderbar luftige Akustik-Nostalgie, die bis zum Country flaniert, bevor Once I Saw the River Clean mit der Grandmother frisch Richtung Depeche Mode spaziert. Dass Morrissey auch hier eher bellt, als tatsächlich in der in Aussicht gestellten Größe zu beißen, lässt die abschließende Wertung vielleicht um das Quäntchen zu generös erscheinen, macht aber wohl ohnedies nur dann Sinn, wenn man gewillt ist, die Kunst vom Künstler und seinen politischen Ansichten – wie von Nick Cave gefordert – zu trennen.
photona - 20. Juni 2020
Danke für diese ausgewogene und unaufgeregte Rezension!